Grüne und Verbrauchsverzicht: Abstand zur Askese
Selten war die Bereitschaft zum Konsumverzicht so groß wie in diesen Tagen. Doch anstatt zu motivieren, warnen Grüne vor den Folgen eines Boykotts.
D as Desaster mit dem Veggie-Day liegt fast ein Jahrzehnt zurück, trotzdem wirkt es bei den Grünen nach. Es war der Bundestagswahlkampf 2013, als die Partei einen fleischlosen Tag pro Woche in öffentlichen Kantinen forderte. Der Vorschlag stand zwar nur in einem Unterkapitel des Wahlprogramms, CDU und Bild reichte das aber für den Start einer Kampagne: Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten!
Die Wahl ging in der Folge verloren, das Trauma sitzt in der Partei tief – und wirkt bis hinein in die Frage, wie im Jahr 2022 auf Russlands Krieg in der Ukraine zu reagieren ist. Um Verzicht zu bitten oder ihn durch staatliche Maßnahmen gar einzufordern: Nach dem Veggie-Day und ähnlichen Erfahrungen sind die Grünen da vorsichtig geworden. In der Klimapolitik war das zuletzt am häufigsten zu beobachten.
Man will nicht der Spielverderber sein, sondern gesellschaftliche Mehrheiten durch die Suggestion schaffen, dass jeder sein Leben in der gewohnten Form weiterleben könne und die Welt allein durch richtige Rahmenbedingungen und technische Innovationen gerettet werde. Wie sagte es der damalige Fraktionschef Toni Hofreiter im letzten Wahlkampf im taz-Interview? „Sie können von mir aus einen Schweinebraten essen und danach nach Mallorca fliegen, so oft Sie wollen.“
Und so läuft es jetzt eben auch mit dem Ukrainekrieg. Genauer gesagt: Mit den umstrittenen Importen von russischen Energieträgern, durch die Deutschland das Putin-Regime stützt. Man kann den Grünen natürlich nicht vorwerfen, dass sie für die verkorkste Energiewende und die Abhängigkeit von Russland verantwortlich wären. Auch untätig sind sie nicht.
Importstopp oder Tempolimit
Wirtschaftsminister Robert Habeck gibt sich Mühe, fossile Rohstoffe aus Russland durch fossile Rohstoffe aus anderen Ländern zu ersetzen und gleichzeitig den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen. All das dauert aber – und darüber hinaus passiert wenig. Die Deutschen sollen von der Wende in der Energiepolitik möglichst nichts merken. Die Energieträger werden ausgetauscht, der Energieverbrauch darf aber derselbe bleiben.
Russland wird im Rohstoffgeschäft somit erst mittelfristig auf deutsches Geld verzichten müssen, nicht aber kurzfristig. Das wäre nur durch eine Verbrauchsreduzierung auf dem ein oder anderen Weg zu erreichen: Erstens durch den vollständigen oder teilweisen Importstopp, der die verfügbaren Rohstoffe auf absehbare Zeit verknappen würde. Zweitens, als milderes Mittel, durch staatliche Vorgaben in einzelnen Bereichen wie ein Tempolimit. Dadurch könnten die Importe zumindest reduziert werden.
Oder drittens, wenn es alles andere wirklich nicht sein soll, dann durch PR-Kampagnen und Aufforderungen zum freiwilligen Verzicht. Heizung runter gegen Putin – jenseits des Prekariats müsste da in einigen deutschen Haushalten noch Spielraum sein. Nichts davon unternimmt die Bundesregierung. Das liegt natürlich nicht allein an einem Koalitionspartner, aber von den Fossil-Parteien SPD und FDP ist dahingehend ohnehin wenig zu erwarten.
Wenn jemand die Verbrauchsreduktion vorantreiben könnte, dann die Grünen. Aber auch die halten eben Abstand von allem, was auch nur entfernt nach Askese klingt. Ihr Verzicht auf den Verzicht hat dabei sogar eine neue Stufe erreicht: Bisher wollten sie nur den Eindruck vermeiden, die Deutschen umerziehen zu wollen; sie von Verhaltensänderungen zu überzeugen, die eine Mehrheit eigentlich ablehnt. Im Fall der russischen Rohstoffe wäre diese Mehrheit jetzt aber greifbar.
Mehrheit für Boykott
In Umfragen gibt es große Zustimmung zu einem Boykott, sogar die Union könnte sich diesmal anschließen. Und die Grünen? Versuchen die Mehrheit mit aller Kraft davon zu überzeugen, dass sie falsch liegt. Zum Teil haben sie dabei gute Argumente, keine Frage. Ein genereller Boykott würde den Preisanstieg beschleunigen. Die Industrie müsste wegen Gasmangels die Produktion runterfahren. Eine Rezession wäre garantiert und umstritten ist unter Expert*innen nur, wie gravierend sie ausfiele.
Zum Teil aber, und hier wird es ärgerlich, zeichnen die Grünen auch Szenarien, die mit der Realität wenig zu tun haben. Letzte Woche warnte Annalena Baerbock davor, „dass wir in Kindergärten keinen Strom mehr haben, dass wir Krankenhäuser nicht mehr wirklich am Laufen erhalten können“. Klingt heftig, macht Angst, ist aber falsch: Trotz allem basiert die Stromerzeugung in Deutschland ja nur zum Teil auf russischen Rohstoffen.
Und sollte der Strom irgendwann doch nicht mehr für alle ausreichen, ist in Gesetzen und Krisenplänen klar geregelt, wer bei der Versorgung besonders geschützt ist: unter anderem Kindergärten und Krankenhäuser. Ein bisschen erinnert das auch wieder an den Veggie-Day: Politische Forderungen überzeichnen und ihre Folgen dramatisieren – darauf basierten in der Vergangenheit oft Kampagnen gegen die Grünen. Als Regierungspartei werden sie diese Methode jetzt hoffentlich nicht auf Dauer übernehmen.
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