Generationenkonflikt in der Klimadebatte: Das Schweinsbraten-Syndrom

Die Generation Boomer sucht nach Lösungen für die Klimakrise im eigenen Konsumverhalten. Jüngere betrachten das große Ganze.

Ein Mann sitzt unter einem bunten Sonnenschirm vor dem Berliner Reichstag, neben ihm brennt ein leerer Kinderwagen

Eine Protestaktion der „Letzten Generation“ Anfang Juli in Berlin Foto: Christian Mang

Wenn ich mit Boomern über die Klimakrise spreche, fühle ich mich oft an den Familienesstisch meiner Jugend zurückversetzt. Dort sprachen wir mit den Eltern über die Erderhitzung als Konsumthema – es ging etwa um unsere Ernährung oder um das Fliegen. Die beste Lösung schien es zu sein, den klimaschädlichen Konsum runterzuschrauben.

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Wenn ich mich im Freundeskreis umhöre, gewinne ich den Eindruck, dass die vermeintliche Klimalösung meiner Familie stellvertretend für die vieler weiterer bürgerlicher Familien mit Boomereltern steht – und, bis zu einem gewissen Punkt, für die von Boomern allgemein.

Ein weiteres Beispiel: Ende letzten Jahres erschien eine Klimakolumne in der taz, in welcher ein 54-jähriger Kollege seine Liebe für Schweinsbraten beschrieb. Die Kolumne beginnt mit zwei Paragrafen Essenspornografie für Fleischliebhaber:innen, danach wiegt mein Kollege seine Konsumentscheidungen gegeneinander auf: keinen Führerschein und fair produzierte Unterwäsche, aber dafür Schweins­braten. Er möchte suggerieren, so meine Interpretation, dass er, wie wir alle, nicht perfekt ist.

Für mich ist die Frage, ob man noch in Frieden Steak genießen darf, wenn man sich dafür anderweitig engagiert, die falsche. Sie ist eigentlich unbedeutend. Wenn ich an die Klimakrise denke, kommen mir weder Schweinsbraten noch nachhaltige Mode als Erstes in den Sinn. Ehrlich gesagt, denke ich dann gar nicht so sehr an mich selbst. Und das liegt nicht daran, dass ich mir nie Gedanken über meinen zu großen ökologischen Fußabdruck mache.

Der Globale Norden lebt über die ökologischen Verhältnisse

Ich bin 1995 geboren, für Menschen wie meine Eltern macht mich das zum Millennial oder Gen-Zler, aber auf jeden Fall zugehörig zur „Generation Klima“. Meine Top 3 Klima-Buzzwords sind multinationale Großkonzerne, Globaler Norden, Top 1 Prozent der Bevölkerung. Multinationale Großkonzerne profitieren von den globalen Freiräumen für extraktiven, umweltverachtenden Kapitalismus.

Der Globale Norden lebt über seine ökologischen Verhältnisse, ist historisch wie aktuell zum großen Teil für die Klimakrise verantwortlich. Die Reichsten der Reichen? Sie stehen symbolisch wie real für einen ökologisch entkoppelten, zerstörerischen Lebensstil. Hier sollte Klimaschutz anfangen.

Deutlich lassen sich die unterschiedlichen Blickwinkel auf die gleiche Krise auch anhand des Buchs „Noch haben wir die Wahl“ erkennen. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer (24) und Bernd Ulrich (61), stellvertretender Chefredakteur der Zeit, nehmen die Klimakrise als Anlass für ein gedrucktes Gespräch.

Ulrich, als Repräsentant der Boomer-Generation, spricht in seiner „Klimabiografie“ zwar über seinen „Friedens-/Umwelt-/Anti-AKW-“Aktivismus, doch vor allem schildert er sein Konsumverhalten. Er beschreibt seine „Volvo-Phase“, in der er zu viel geflogen und gefahren sei, noch dazu viel gekauft habe. Später habe er seinen Lebensstil zurückgeschraubt, sei kleinere Autos gefahren, habe sich ökologischer ernährt und nachhaltigere Kleidung getragen.

Jede Generation führt ihre eigenen Debatten

Ulrich bereut, dass sein Lebensstil zur Klimakrise beigetragen hat. Neubauer hingegen widmet sich nach einem kurzen Abriss ihrer emissionsstarken Jahre direkt den großen Themen. „Es ist für mich immer noch eine offene Frage, was genau die Rolle der Privilegierten ist, auf dem Weg Richtung Klimagerechtigkeit“, schreibt sie, als Ulrich sie auf ihre Klimabiografie anspricht.

Neubauer stellt ihr Konsumverhalten, anders als Ulrich, nicht in den Mittelpunkt. Möchte sie uns etwas verheimlichen? Ich glaube nicht. Die eigene Konsumvergangenheit, so scheint es mir, erkennt sie an, sogar als weltanschauungsverändernden Faktor. Aber sie hält sich nicht damit auf. Ich denke, dass sie es für unnötig hält, denn die entscheidenden Fragen und Lösungen sind andere.

Hier führen verschiedene Generationen unterschiedliche Debatten über die gleiche existenzielle Krise. Wir sprechen aneinander vorbei

Und hierin besteht der Unterschied, der Konflikt, wenn man so will. Für die ältere Generation ist der eigene Konsum das Ventil der Veränderung. Es ist ihr individueller, reflektiver Check, ob sie sich genug fürs Klima engagieren. Jede Generation führt ihre eigenen Debatten, das ist normal. Doch hier führen verschiedene Generationen unterschiedliche Debatten über die gleiche existenzielle Krise. Wir sprechen aneinander vorbei.

Dabei unterscheiden sich Begriffe und Meinungen zum Thema Klima auch innerhalb meiner Generation gewaltig. Neubauer und Ulrich fassen diese Meinungsheterogenität in ihrem Buch treffend zusammen: „Fürs Klima sein ist in etwa so wie Demokratie gut finden.“ Will heißen: Fast je­de:r ist dafür, aber dieses „Dafür-sein“ muss man auch erst mal mit Leben füllen. Da gibt es große Kontraste.

Boomer haben den Großteil der politischen Macht

Doch beim Mittel der Wahl, um Veränderung herbeizuführen, ist meine Generation sich weitestgehend einig: Wir gehen auf die Straße, wenden uns mit unseren Ideen und Forderungen an eine möglichst breite Öffentlichkeit, einige leisten zivilen Ungehorsam. Diejenigen, die das nicht machen, verurteilen den Protest nur selten.

Wir versuchen natürlich auch, unseren Lebensstil den Klimarealitäten anzupassen, aber vielen ist klar, dass das nicht zu den großen, schlagartigen Veränderungen führt, die die Welt jetzt braucht. Der Fokus liegt nicht bei uns selbst, sondern bei den Mächtigen.

Diese generationell unterschiedlichen Assoziationen zur Klimakrise stellen junge Menschen vor ein großes Problem. Denn politische Entscheidungsprozesse funktionieren in Deutschland besser, wenn sie auf die Gedankenwelten und Weltanschauungen der älteren Generationen zugeschnitten sind. Exemplarisch dafür steht das Bundeskabinett von Olaf Scholz: Den Kanzler in diesem Fall ausgenommen, hat die Truppe eine Altersamplitude von 18 Jahren. Das jüngste Kabinettsmitglied Annalena Baerbock ist 41 Jahre alt, Karl Lauterbach mit 59 Jahren das älteste.

Noch dazu liegen 10 von 16 Kabinettsmitglieder alterstechnisch eng beieinander, doppelt vertreten ist das Alter 51, 52, 53, 54 und 56. Diejenigen, die älter sind, wie Scholz (63) und Steinmeier (66), haben, letzterer eher theoretisch, noch mehr Macht. Die Statistiken lesen sich wie ein bauchiges Bierglas: Unten ist wenig Platz, ab der Hälfte öffnet es sich. Ganz oben wird das Glas wieder ein wenig schmaler. Ein Großteil der politischen Macht verteilt sich auf die gleiche Altersgruppe.

Die Jungen haben recht

Nun dreht es sich in der Bundespolitik nicht um individuelles Konsumverhalten innerhalb des gesetzlichen Rahmens, sondern um den gesetzlichen Rahmen für individuelles Konsumverhalten. Aber, so meine Erfahrung, in den Köpfen der Generation, die diesen Rahmen bestimmt, ist das private Verhalten als Klimalösung hoch im Kurs.

Vielleicht erklärt sich so, warum Bundesagrarminister Özdemir ein fünfstufiges, informatives Fleischlabel einführen möchte, an dem sich Ver­brau­che­r:in­nen orientieren können, aber systematische, effektive Klimalösungen wie der Kohleausstieg für das Jahr 2038 geplant sind und damit viel zu spät.

Ob es nun ein Generationenkonflikt ist oder nicht, in diesem Fall haben die Jungen recht. Das Konsumverhalten sollte nicht Kern der Klimadebatte sein. Das Schweinsbraten-Syndrom der älteren Generationen verhindert bei vielen, die Klimakrise über das eigene Leben hinaus zu denken. Doch genau das sollten wir.

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