Ziviler Ungehorsam der Klimabewegung: Demokratisch ungehorsam

Der vehemente Protest der jungen Generation ist angesichts des Klimanotstands nachvollziehbar. Er sollte nicht billig abgetan werden.

Eine Person auf dem Boden

Aus Notwehr festgeklebt: Protest der „letzten Generation“ vor dem Brandenburger Tor in Berlin Foto: Christian Mang/Reuters

In einem selbst veröffentlichten Video spricht Klimaaktivistin Luisa Neubauer offensichtlich witzelnd über ihre Bemühungen, den Bau einer Ölpipeline zu verhindern, und hält dabei ein Buch mit dem Titel „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ ins Bild. In einer Stellungnahme versichert sie: „Wir sprechen mit der französischen Regierung, mit möglichen Investoren und Versicherern der Pipeline und mobilisieren über soziale Netzwerke, damit diese Klimakiller-Pipeline niemals gebaut, sondern endlich abgeblasen wird.“

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Trotzdem rücken sie Teile der politischen Elite im Chor mit der Bild-Zeitung in eine Ecke mit Terroristen. Die vehemente Form des Auftretens von Klimaschützern darf allerdings deren politisches Engagement nicht abqualifizieren, in einem demokratischen Dialog schließen sich vielmehr drei Fragen an: Ist die Inszenierung von radikalen Protesten gegen unterlassenen Klimaschutz als Notwehr inhaltlich nachvollziehbar, ist sie demokratisch legitim, und ist sie geeignet, Klimaschutz zu verbessern und zu beschleunigen?

Um die Jahrtausendwende geborene Menschen erleben, dass die von der Forschung nachgewiesenen „Kipppunkte des Erdsystems“ in nicht allzu ferner Zukunft, also in ihrer Lebenszeit, eintreten können und dann in der ebenfalls wissenschaftlich plausibilisierten Kumulation in eine globale Katastrophe führen würden, wobei das Überleben der Spezies Mensch aufs Spiel gesetzt wäre. Die Selbstbezeichnung mancher Klimaaktivisten als „letzte Generation“ etwa verweist auf eine reale Gefährdung. Nachvollziehbar ist sie auch angesichts der bis dato insgesamt kaum erfolgten Verlangsamung der Erderwärmung oder des Artensterbens. Es ist die Eigenart und das gute Recht von Jugend(protesten), erkannte Missstände in aller Deutlichkeit, mit drastischen Übertreibungen und performativen Schocks herauszustellen.

Ein historisches Beispiel mag das illustrieren: Die außerparlamentarische Protestbewegung gegen die Notstandsgesetzgebung in den 1960er Jahren malte eine Faschisierung des politischen Systems der Bundesrepublik an die Wand, deren Eintrittswahrscheinlichkeit gering war. Dass die Befürchtungen nicht eintraten, machte den Protest nicht nutzlos. Denn er verwies auf überkommene autoritäre Strukturen und trug zur Herausbildung einer selbstbewussten Zivilgesellschaft bei. Die bedauerliche Kehrseite war die Radikalisierung einer Minderheit der außerparlamentarischen Opposition. Deren Frontalangriffe waren demokratisch nicht legitim, was ebenso für heutige militante Aktionen gelten kann.

War damals die unzulässige Ausrufung eines Notstands der Protestanlass, ist es bei der „letzten Generation“ die Unterlassung der Ausrufung des Klimanotstands. Wenn diese Prämisse stimmt und auch eine grüne Regierungsbeteiligung an der Sachlage wenig ändert, ist dann nicht ziviler Ungehorsam gerechtfertigt? Dieser ist im Sinne seiner Verfechter von Henry David Thoreau über Martin Luther King bis Gene Sharp grundsätzlich friedlicher Natur, beinhaltet aber kon­trol­lier­te, der breiten Öffentlichkeit gut kommunizierte Regelverletzungen.

So gut wie kein demokratisches Recht, etwa das Wahlrecht von Frauen, ist ohne symbolische und faktische Regelverletzungen durchgesetzt worden. Insofern ist ziviler Ungehorsam Teil und nicht Gegenteil von Demokratie, seine Verfechter in die Nähe von Antidemokraten zu rücken ist absolut verfehlt. Man darf nämlich sagen, dass das Auftreten zivilen Ungehorsams auf demokratische Defizite und Repräsentationslücken verweist, die es ohnehin zu schließen gälte. Die sinkende Wahlbeteiligung in vielen (nicht mehr so) repräsentativen Demokratien kann auch nicht mehr durch business as usual behoben werden, neue Formen der Bürgerbeteiligung müssen gefunden werden.

Die große aktuelle Herausforderung demokratischer Gesellschaften ist die rasante Verknappung der Zeitspanne, in der der Klimawandel noch einzudämmen sein wird. Demokratien kaufen üblicherweise Zeit, um Kompromisse zu schließen; doch genau dem schiebt nun die Physik des Erdsystems einen mächtigen Riegel vor. Große Eile ist geboten! Nicht legitimierbar sind diverse Sabotageakte, die zwar nicht von Neubauer, sehr wohl aber von einigen Sprechern der „letzten Generation“ offen befürwortet werden, weil die damit verbundenen Risiken für die Allgemeinheit unüberschaubar sind. Wichtiger noch, sind solche Akte auch ungeeignet, das deklarierte Ziel des Klima- und Artenschutzes voranzutreiben.

In der Rhetorik der „letzten Generation“ und von Extinction Rebellion, allgemein in der Argumentation von „Kollapsologen“, die das Ende der Menschheit für beschlossene Sache erklären, sind Vorkehrungen der Mitigation und Adaptation bereits überflüssig. Da ist es ein Widerspruch, sich gleichwohl an politische Repräsentanten zu wenden. Aus dem begründeten und ethisch legitimen Protestschrei der „letzten Generation“ würde dann ein „Nach mir die Sintflut“ – eine ganz paradoxe Haltung für eine Alterskohorte, deren Anliegen lange ignoriert wurden. Die von Klimaaktivisten geforderten Maßnahmen von der Agrarwende bis zur Verkehrswende sind allesamt gut zu begründen und bei entsprechend veränderter Prioritätensetzung technisch wie finanziell machbar.

Die politischen Eliten sollten sich hüten, mit der Kritik am „unpassenden“ Auftreten radikaler Protestgruppen deren Zielsetzungen zu desavouieren – und erst recht, sie als radikale Minderheiten abzuwerten, deren Forderungen von den „Menschen draußen im Lande“ nicht geteilt würden. Die Zustimmung zu engagierterem Klima- und Artenschutz ist bekanntlich sehr breit. Die Frage an die vehementen Klimaaktivisten lautet also, ob sie diese Unterstützung nutzen oder sie durch ungeeignete Protestaktionen aufs Spiel setzen wollen. Die Forderung an die politischen Repräsentanten lautet dann, die existenziellen Motive der Protestbewegung zu erkennen und sie nicht als Kinderkram oder „grüne RAF“ zu denunzieren, sondern auch dem eigenen politischen Handeln zugrunde zu legen.

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