Fake News liegen im Trend: Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Politik besteht zunehmend aus falschen Erzählungen. Wer sie glaubt, den wird es vermutlich nicht kümmern, dass die Fakten nicht stimmen.
I n der letzten Ausgabe des Spiegel füllte das Gesicht von FDP-Chef Christian Lindner das Cover des Nachrichtenmagazins. Darüber in Großbuchstaben: „Der Täuscher“. Die FDP hat es nicht leicht in diesen Tagen.
Ihr großes Problem: die Glaubwürdigkeit. Hintergrund ist die sogenannte D-Day-Affäre. Die Parteispitze ist, so scheint es, beim offenen Lügen erwischt worden. Die Empörung war groß. Wer die Begriffe „FDP“ und „Glaubwürdigkeit“ googelt, wird sehr schnell sehr viele Einträge finden.
Ist das, was die FDP da getan hat, wirklich so schlimm? Oder hat sie nur den Fehler gemacht, allzu offensichtlich zu lügen?
Die politische Lüge ist wahrlich keine Seltenheit. Man könnte auch sagen, dass sie integraler Teil von Politik ist. Und das muss erst einmal nichts Schlechtes sein. Es gibt viele Situationen, in denen ein Staat, zum Beispiel aus Sicherheitsgründen, der Bevölkerung nicht die Wahrheit sagen sollte.
Manche Lügen gehören aufs diplomatische Parkett
Wenn Journalist:innen die US-Regierung in den Monaten vor der Tötung Osama Bin Ladens gefragt hätten, ob die Regierung den Aufenthaltsort des Attentäters wisse, werden sie wohl kaum die Wahrheit erfahren haben. Auch über den Stand diplomatischer Verhandlungen oder über Geheimdienstinformationen sollte ein Staat oft besser Stillschweigen bewahren.
Lügen oder Unwahrheiten – ein Begriff, der oft lieber genutzt wird, damit es nicht zu hart klingt –, können aber auch andere Funktionen haben, und da wird es schon heikler. Denn Politiker:innen sagen manchmal auch die Unwahrheit, weil dahinter Strategie oder Machtstreben steckt.
Eine der wohl berühmtesten politischen Lügen der Zeitgeschichte waren diese Worte: „I did not have sexual relations with that woman.“ US-Präsident Bill Clinton stand damals, im Jahr 1998, vor der versammelten Presse, um die Welt und vor allem sein Land davon zu überzeugen, dass er kein sexuelles Verhältnis mit „dieser Frau“ gehabt habe.
Wie man heute weiß, stimmte das nicht. Zum einen wollte Clinton wohl seine Autorität und damit seine Präsidentschaft retten; zum anderen steckte hinter der Lüge wahrscheinlich auch ganz einfach die eigene Scham.
Trump nutzt Fake News skrupellos
Ein anderer US-Präsident, Donald Trump, ist ein Meister der politischen Lüge. All seine Lügen zu zählen, die an einem Tag zusammenkommen, ist fast unmöglich.
Trump eignet sich gut als Beispiel, weil er politisch motivierte Lügen sehr offen nutzt. Als er in der Präsidentschaftsdebatte mit Harris im September 2024 behauptete, haitianische Migrant:innen würden „die Hunde und Katzen“ der Amerikaner:innen aufessen, erfüllte diese Lüge den Zweck, eine der zentralen Erzählungen seiner politischen Karriere zu füttern: Migranten schaden unserem Land. Migranten schaden euch.
Und Menschen glaubten ihm, und zwar unabhängig davon, ob diese eine konkrete Aussage wahr war oder nicht. Diese Erzählung ist einer der wichtigsten Gründe, warum Trump das Weiße Haus wieder erobern konnte.
Wir sehen die Welt, wie wir sie sehen wollen
Erzählungen schlagen Fakten: Aus diesem Grund funktioniert diese Art der Lüge gut. Die Wahrnehmung des Menschen hängt von der Realität ab, an die er glaubt. Wer Liebeskummer hat, sieht plötzlich überall verliebte Paare. Die Dichte verliebter Paare hat sich nicht verändert, die Wahrnehmung hingegen schon. Der Fachbegriff lautet Bestätigungsfehler.
Im Prinzip sehen wir die Welt, wie wir sie sehen wollen. Wir sehen die Welt nicht mit unseren Augen, sondern mit dem, was hinter unseren Augen ist: durch die Erzählungen, an die wir glauben.
Ende November war der bayerische Ministerpräsident Markus Söder Gast in der ARD-Sendung „Caren Miosga“. Er sprach unter anderem über Sozialleistungen: „Beim Bürgergeld, jemand mit zwei Kindern, bekommt am Ende mehr […] als ein Bürokaufmann, Busfahrer, eine Arzthelferin oder Bäcker. Und das ist einfach in Deutschland falsch.“ Genauso wie diese Aussage, die ohnehin nicht allzu viel Sinn ergibt.
Tatsächlich gilt in Deutschland: Arbeitende Menschen erhalten mehr Geld als nicht arbeitende Menschen. (Das gilt natürlich nicht für jene Gruppe von Menschen, die von Vermögen und Kapital lebt und nicht arbeitet – sie hat tatsächlich mehr Geld als die arbeitende Bevölkerung.)
Söder nutzt Trump'sche Strategie
Somit kann man sagen: Markus Söder hat gelogen. Diesen Satz wird man allerdings selten lesen oder hören. Es wird höchstens mal einen „Faktencheck“ geben. Denn der CSU-Politiker bestätigt hier eine bei weiten Teilen der Bevölkerung beliebte Erzählung: Die „Faulen“ liegen den „Fleißigen“ auf der Tasche. Wer an diese Erzählung glaubt, den wird es vermutlich nicht kümmern, dass die Fakten nicht stimmen.
Auch deswegen wird diese Art der Lüge selten infrage gestellt – irgendwie könnte sie ja doch stimmen, und selbst wenn nicht: Es klingt irgendwie wahr. Die politische Lüge wird normalisiert.
Das ist die Trump’sche Strategie: So viel lügen, bis es keinen Unterschied mehr macht, ob es wahr ist oder nicht. Hauptsache, man hat damit eine Gruppe in der Bevölkerung auf der eigenen Seite, die groß genug ist, um die politische Macht zu sichern.
Erfolgsrezept autoritärer Kräfte
Das ist auch das Erfolgsrezept autoritärer Kräfte. Mithilfe wohlgesinnter Medien wie Nius und durch die Algorithmen der sozialen Medien werden Lügen verbreitet – über „Ausländer“, „Migranten“, die „Altparteien“ usw. – mit dem Ziel, die spalterischen Erzählungen zu „beweisen“.
Die Ausländer, die Sozialhilfeempfänger, die LGBTIQ-Gemeinschaft – sie sind daran schuld, dass es euch schlecht geht. Der gesamte Erfolg der AfD basiert auf diesem Mechanismus: Menschen mithilfe von Lügen zu überzeugen, dass sie andere Menschen verachten sollen.
Lügen liegt im Trend. Die FDP macht nichts anderes als das, was viele politische Kräfte ebenfalls tun: Die Fakten so darzustellen, dass sie in die eigenen Erzählungen passen.
Ob bei der FDP oder bei anderen Parteien: Man sollte sich nicht scheuen, Lügen bloßzulegen. Erzählungen verdecken Probleme, sie verhindern, dass strukturelle Krisen richtig analysiert werden – auf diesen wiederum gründen autoritäre Kräfte ihren Erfolg. Denn: Erzählungen schlagen Fakten.
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