Ende des Assad-Regimes in Syrien: Syrien ist frei
Aus eigener Kraft hat Syrien das Assad-Regime abgeschüttelt. Die Welt sollte dies anerkennen und den Menschen ermöglichen, ihr Land selbstbestimmt aufzubauen.
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S yrien ist frei. Nur elf Tage hat es gedauert, seit Rebellen aus den Bergen in Idlib zur Offensive ansetzten. Das Assad-Regime brach am Ende in der Nacht zu Sonntag lautlos zusammen wie ein Kartenhaus. Assad ist kommentarlos verschwunden. Die siegreichen Rebellen übernehmen die Macht friedlich und geordnet, die Menschen können ihr Glück kaum fassen.
Die Bedeutung dieses Moments ist nur schwer in Worte zu fassen. Das Assad-Regime, das über ein halbes Jahrhundert lang Syrien knebelte und knechtete, galt als eines der stabilsten der Welt und zugleich als eines der brutalsten. 600.000 Getötete im Krieg, sechs Millionen Geflüchtete im Ausland und weitere sieben Millionen innerhalb Syriens. Ein Land des Unrechts und der Gewalt – das ist Assads Bilanz.
Zum panarabischen Nationalismus und Sozialismus bekannte sich die Baath-Partei bei ihrer Machtergreifung in Syrien am 8. März 1963. Nach dem Militärputsch von Luftwaffenchef Hafis al-Assad im Jahr 1970 war eine Terrorherrschaft der Baath-Partei im Geist des Nationalsozialismus die Folge. Erst allmählich offenbart sich das volle Ausmaß der gigantischen Überwachungs-, Unterdrückungs- und Vernichtungsmaschinerie, gerichtet gegen die eigene Bevölkerung.
Ein Ende der Folterhaft
Für viele Syrer ist die Öffnung der Gefängnisse die emotionalste Dimension dieser Tage der Befreiung: Häftlinge treten nach teils jahrzehntelanger Folterhaft ohne Kontakt zur Außenwelt auf die Straße. Viele Menschen werden jetzt nach ihren vermissten Angehörigen suchen. Viele Vertriebene und Geflüchtete werden sich auf den Heimweg machen, um ihre Liebsten wiederzufinden.
Die Außenwelt stellt viele skeptische Fragen. Die HTS-Rebellen, deren Offensive aus Idlib auf Aleppo den Sturz des Regimes einläuteten, haben eine Vergangenheit im militanten Islamismus. Aber in der Gegenwart ihres Krieges zeigen sie Verantwortung, halten ihre Kämpfer diszipliniert, achten andere Gruppen und Akteure.
Selbst die Machtübernahme in Damaskus war unblutig, offensichtlich in einer Art Vereinbarung mit jenen Amtsträgern, die nicht die Flucht ergriffen haben, jedoch ohne Assad machtlos sind. Syrien brauche Institutionen statt eines Ein-Mann-Regimes, sagen die Rebellen. Damit treffen sie den Nerv der Bevölkerung.
Dies ist eine Revolution aller Syrerinnen und Syrer. Landesweit haben auch andere Akteure der unterdrückten friedlichen Proteste gegen Assad wieder Mut gefasst und sind selbst zur Tat geschritten, um das Regime abzuschütteln. Sie haben nicht auf Hilfe von außerhalb gewartet.
Der erste Schritt zur Freiheit besteht darin, sich selbst von der Angst zu befreien – wie das geht, hat Syrien dieser Tage eindrücklich unter Beweis gestellt. So ist Syrien heute ein Vorbild für die Welt. Und die Welt sollte jetzt die Leistung der Menschen in Syrien anerkennen und ihnen Zeit und Raum geben, ihr Land selbstbestimmt aufzubauen.
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