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Ein Jahr Pflicht für Tethered CapsBefreit die Deckel!

Unsere Autorin trinkt gern Smoothies, Milch- und Proteinshakes. Aber die neuen Deckel, die es seit einem Jahr gibt, empfindet sie als Stressfaktor.

Die fest mit der Flasche verbundenen Deckel sind vor allem nervig Foto: Norbert Schmidt/imago

N un gibt es sie schon ein Jahr, und immer noch frusten mich Tethered Caps regelmäßig. Zur Erinnerung: Tethered Caps sind die im Juli 2024 eingeführten neuen Verschlusskappen, die fest mit der Getränkeflasche verbunden sind und über die seither leidenschaftlich diskutiert wird. Auch mir sind bereits etliche Flaschen ausgelaufen, weil ich den pseudorevolutionären EU-Deckel nicht richtig zugeschraubt hatte, ohne es zu merken.

Nervös bin ich nun, wenn sich Laptop und Wasserflasche in derselben Tasche befinden. Manchmal verzichte ich ganz pragmatisch auf das Getränk. „Hol dir einfach eine Mehrwegflasche und füll sie mit Leitungswasser auf“, höre ich schon einige sagen. Doch das fade Leitungswasser würde in meinem Rucksack nur noch fader werden.

Ich bevorzuge Kohlensäure und Geschmack beim Trinken – kommt beides nicht aus dem Wasserhahn. Auch Soda-Mixer sind keine Lösung; wer ständig unterwegs ist wie ich, für den ist das einfach impraktikabel. Früher ging ich oft spontan in den Supermarkt und holte mir das Getränk, auf das ich Lust hatte. Oder gleich zwei. Stressfrei und sorglos transportierbar. Das ist vorbei.

Ich trinke gern Smoothies, Milch- und Proteinshakes. Für mich als ADHS-Betroffene waren Trinkmahlzeiten bis zur Einführung dieser Zwangsdeckel eine entspannte Frühstücksalternative und schnelle Zwischenmahlzeit. Morgens, wenn die Medikamente noch nicht wirken und ich besonders schusselig bin, möchte ich weder mit Messern hantieren noch Müslischüsseln umwerfen. Trinkmahlzeiten waren die Rettung.

Doch seit der EU-Richtlinie ist das entspannte Expressfrühstück passé. Oft tropft mir Flüssigkeit, die sich nach dem Schütteln im Deckel gesammelt hat, über den Pulli oder auf den Boden.

Mittlerweile schneide ich die Caps manchmal einfach ab – wenn ich gerade eine Schere griffbereit habe. Selbst dabei gab es anfangs noch Rückstoßprobleme, die zu Flecken führten. Das passierte auch, als ich bei Tetrapacks den Verschluss zu schnell nach oben zog. Plopp, und schon war die Milch auf dem Shirt. ­Tethered Caps kotzen mich an: meistens metaphorisch, manchmal buchstäblich.

Dabei hatte ihre Einführung durchaus ein hehres Ziel, nämlich die Zahl der in der Landschaft herumliegenden Plastikdeckel zu reduzieren. Ich wäre allerdings auch vorher nicht auf den Gedanken gekommen, einen Deckel separat wegzuschmeißen. Wieso auch? Bei leeren Flaschen sorgte er dafür, dass Resttropfen auf dem Weg zum Müll oder zur Pfandstation nicht ausliefen.

Apropos Pfand: In Deutschland werden 97 Prozent der PET-Flaschen zurückgegeben, 95 Prozent davon mit Deckel. Das Problem wurde also schon 2003 mit der Pfandpflicht ziemlich erfolgreich angegangen, Jürgen „Dosenpfand“ Trittin sei Dank.

Für mich sind die neuen Deckel ein ungesunder Stressfaktor. Ich trinke weniger Wasser, lasse Mahlzeiten aus, kaufe mir seltener Milch und Orangensaft im Tetrapack. Weil ich weder Lust habe, den Deckel beim Einschenken festzuhalten, noch darauf, dass die Plörre beim Eingießen plötzlich über den Deckel hinweg die Ausfahrt Richtung Küchenplatte nimmt. Außerdem kriecht die Flüssigkeit oft in den Deckel, trocknet an und riecht ekelhaft, dann kippe ich den Inhalt angewidert weg. Natürlich gibt es Alternativen wie Glasflaschen, aber die sind meist teurer.

Dass ich mit meiner Kritik zu Tethered Caps nicht allein bin, hat gerade erst eine Umfrage des Nürnberger Instituts für Markt­entscheidungen gezeigt – 63 Prozent der Befragten fanden die neuen Verschlüsse weniger praktisch als herkömmliche.

Und das Deutsche Institut für Normung (DIN) hat schon Ende 2024 herausgefunden, dass ­insbesondere Menschen mit eingeschränkter Handkraft, Ältere und Menschen mit starker Sehbeeinträchtigung nun Schwierigkeiten beim Öffnen und Schließen der ­Flaschen haben. Alltagsverwirrung haben Befragte in der Studie ebenfalls kritisiert. Auch für mich sind die vielen unterschiedlichen Verschlusssysteme ähnlich kompliziert wie die tägliche Frage, ob der obere oder der untere Lichtschalter zur Küchenlampe gehört.

Die Lass-mich-dran-Deckel sind also nicht nur nervig, sie sind zudem auch nicht barrierefrei. Dass Plastiktüten und Strohhalme verboten wurden, kann ich verstehen. Aber die Deckel? Haben Probleme geschaffen, wo vorher keine waren.

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Klaudia Lagozinski
Nachrichtenchefin & CvD
Immer unterwegs. Schreibt meistens über Kultur, Reisen, Wirtschaft und Skandinavien. Meistens auf Deutsch, manchmal auf Englisch und Schwedisch. Seit 2020 bei der taz. Master in Kulturjournalismus, in Berlin und Uppsala studiert. IJP (2023) bei Dagens ETC in Stockholm.
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14 Kommentare

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  • Was war denn jetzt die genaue Begründung für die Einführung, wie immer kolportiert, dass es Honks gibt, die die Deckel wegwerfen?



    Sollte das wirklich so sein, müsste man das Pfand soweit erhöhen, dass es wehtut. Nebenbei müsste man dann auch Filterzigaretten verbieten oder ein Pfandsystem dafür und für viele andere Dinge die achtlos weggeworfen werden, wie z.b. Kaugummi einrichten.

  • Als ich das erste Mal von diesem Problem hörte, dachte ich, sie machen Witze. Man, als Synonym für Mann und Frau, schafft es nicht, dieses Problem zu lösen? Warum? Ganz ehrlich, wie groß ist diese Blamage denn? Sie benutzen Scheren, Lichtschalter und Kugelschreiber. Sie schaffen es, in ein Flugzeug einzuchecken, mit Autos durch die Gegend zu fahren, die von der Bedienung her komplexer sind als die Saturn-Rakete, und schaffen es nicht, einen Flaschendeckel sorgfältig zu verschließen?

    Kurz: Deckel aufsetzen, oben draufdrücken und nach links drehen, bis es schnapp macht, und dann rechtsherum drehen, bis er fest sitzt. Ich meine jetzt das echte Links und Rechts, nicht das jeweils andere.

    Und wer noch den Mut hat, den offenen Deckel beim Trinken links oder rechts neben den Mund zu kippen, egal ob das echte oder andere Links oder Rechts, der wird auch problemlos trinken können.

    Solltet ihr jetzt noch die Bedienungsanleitung für Tetra-Packs im Speziellen benötigen, dann tut es mir leid. Dafür reichen die Buchstaben nicht mehr. Dennoch Tipp: Nachdenken hilft, und Probieren ebenfalls. Was nicht hilft, ist gedankenlos und unfähig durchs Leben zu eiern.

    Viel Glück.

  • Wie eigentlich immer, wenn die Rede von Barrierefreiheit ist, muss man sich auch hier fragen: (Nicht) Barrierefrei für wen?

    Als vollblinder Mensch bin ich für die angeleinten Deckel sehr dankbar: Endlich fallen mir die Deckel nicht mehr herunter, endlich muss ich nicht mehr über den Boden kriechen, um einen derart verschollenen Deckel wieder aufzusammeln.

    Übrigens sind auch 5 % der 97 % zurückgegebener Mehrweg-PET-Flaschen, bei denen der Deckel verlustig geht, eine nicht zu vernachlässigende Menge Plastik, zumal es hier ja um Mehrweg-PET-, Einweg-PET- und Tetrapack-Flaschen geht.

    Ich halte die neue Deckelvariante also sowohl für sinnvoll als auch für nützlich und die beschriebenen Probleme habe ich bisher auch nicht gehabt - ich drehe mir den Deckel halt immer so, dass er beim Einschütten nicht im Weg ist.

    Gleichwohl: Dass andere Personen mit dem Design ihre Schwierigkeiten haben, stelle ich nicht in Abrede. Pauschal mit Barrierefreiheit hat das aber eher weniger zu tun, oder vielmehr ist die Frage, für wen welche Design-Variante besser ist - im Grunde also ein Fall von Wasserbett-Effekt.

  • Wenn man keine echten Probleme hat muss halt ein Deckel dafür herhalten.

  • Ich mochte die Deckel am Anfang auch nicht besonders habe mich aber mitlerweile damit arrangiert:



    Deckel aufschrauben, umklappen und zur Seite drehen, schon nervt da garnix mehr beim Trinken.



    Alternative: eigene Trinkgefäße (Trinkflasche aus Kunststoff, Glas oder Metall, Thermoskanne etc.), diese lassen sich übrigens nicht nur mit Leitungswasser sondern auch mit anderen Getränken füllen. Wenn man Morgens dazu keine Muse hat, dann bereitet man das am Vortag vor, man kann aber genausogut unterwegs Zutaten kaufen und in den Flaschen zusammenmixen. So mache ich mir momentan täglich meinen eigenen zuckerfreien Eistee, im Winter habe ich immer ein Heißgetränk dabei, man kann Dinge krieren und ausprobieren, z.b. verschiedene Kräuter mit ins Wasser, verschiedene Säfte kombinieren etc. All das ist oft gesünder als die fertigen Getränke die man so kaufen kann und spart auch noch Müll und Ressourcen. Und es lässt sich mit der richtigen Planung auch Umsetzen wenn man viel Unterwegs ist.



    Warum die Verschlüsse für Menschen mit eingeschränkter Handkraft ein Problem sein sollen erschließt sich mir nicht, zum Aufdrehen der Flaschen benötige ich genau die gleiche Kraft wie vorher auch.

  • Wenn schon das bisschen Deckel als Zumutung empfunden wird; und gleichzeitig in anderen Artikeln massive Einschnitte ins Leben und in de Alltag gefordert werden.

  • Wenn man allerdings viel in der Natur unterwegs ist, insbesondere an Gewässern, sieht man sehr wohl, dass deutlich weniger Plastikdeckel von Flaschen rumliegen und so in den Mägen von Tieren wandern können. Ich finde es sehr schade, dass Menschen aus reiner Bequemlichkeit nicht auf Plastik verzichten wollen. Bei uns trinkt die ganze Familie Sprudelwasser und füllt es sich in Flaschen um, auch wenn wir reisen. Geht alles, muss man nur wollen! Beschäftigen Sie sich doch bitte mit der Vermüllung der Gewässer und dem vielen Mikroplastik in Nahrungsketten, bevor Sie behaupten, solche Deckel seien unnötig. Die sind durch ihre runde Form, die in Luftröhren stecken bleiben sogar besonders gefährlich. In solchen Angelegenheiten können wir nicht mehr derart anthropozentrisch denken. Die Weltmeere sind ohnehin schon so gut wie leer.

  • Ich nehme ihren Beitrag mal als etwas positives. So gerne hätte ich Ihr Problem.



    Entschuldigung, aber es bringt mich wirklich zum lachen, Danke!

  • Statt Mehrwegflaschen mit "fadem Leitungswasser" aufzufüllen und dann die Kohlensäure zu vermissen, kann man in vielen Geschäften bereits mit Kohlensäure versetztes Wasser in Mehrwegflaschen kaufen. Auch mit Geschmack.

    Die paar Mal, an denen ich Getränke aus diesen Einweg-Wabbel-Plastikflaschen getrunken habe, fand ich es super praktisch, dass der Deckel jetzt an der Flasche ist: Kann nicht mehr herunterfallen, man kann ihn nicht mehr verlegen, und man hat die zweite Hand frei, in der man den Deckel bisher während des Trinkens halten musste.

    Aber manche Leute regen sich einfach gerne über jede Veränderung auf.

  • Deckel mit einem kräftigen Ruck abreißen, aber natürlich nachher trotzdem zusammen mit der Flasche entsorgen. Nebenbei verstehe ich eh nicht, wie jemand auf die Idee kommen kann, den Deckel separat wegzuwerfen. Man behält ihn doch sowieso so lange bis die Flasche leer ist. Typische Lösung für ein nicht vorhandenes Problem.

  • Ich musste schon Getränke entsorgen, weil sich der Deckel einfach nicht mehr anbringen ließ. Wenn es kein Wasser ist, ist das auch durchaus nicht ganz unproblematisch.

    Es gibt aber durchaus große Qualitätsunterschiede bei den Deckeln. Bei vielen fällt es überhaupt nicht auf, z.B. gerne bei Sojamilch. Bei anderen ist der Deckel zum Teil nicht mehr benutzbar oder kann schnell zu kleinen Verletzungen führen.

  • ".. die Zahl der in der Landschaft herumliegenden Plastikdeckel zu reduzieren"



    Ganz ehrlich: ich habe in den letzten Jahrzehnten höchst selten einen Plastikdeckel in freier Wildbahn entdeckt. Hingegen massenweise Kronkorken, weil die lassen sich auch nicht mehr auf die Flasche schrauben, wenn sie einmal ab sind.

    Ich vermute andere Gründe, wenn man sich auch das Pfandsystem näher betrachtet. Die Alkohol- und speziell die Bierindustrie wird vor zu starken Regularien geschützt. 8 Cent für die Flasche Bier ist ein Witz und führt dazu, dass die leeren Flaschen stehen und liegen gelassen werden, wo man gerade den letzten Schluck raus geschlürft hat. Und selbst das mutwillige Zerschlagen kann man sehr oft beobachten.



    Und der Großteil verhält sich auch noch generös heuchlerisch, in dem die 8 Cent den Flaschensammlern überlassen werden. Müllentsorgung mit dem "guten Gewissen". ps. um auf 10 Euro zu kommen, müsste ein Sammler über 5 Kästen zusammen sammeln - circa 43 Kilo.

  • Ich kann damit auch nicht warm werden. Ich pieck mir dauernd die Lippe an der Stelle auf wo man den Deckel abgerupft hat.



    Und die Deckel hab ich auch vorher schon immer drauf gelassen, sonst würde ich mir ja die ganze Küche zu sauen, ich sammel die immer in nem Netz Sack zum weg bringen.



    Ich halte das für eine dieser typischen Massnahmen mit denen Konzerne versuchen ihre Verantwortung für die Umwelt auf die Kunden abzuwelzen.



    Nach dem Motto "Nein wir sind nicht die Bösen weil wir jetzt millardenfach Plastik statt Glasflaschen verfüllen, die Kunden sind die bösen weil ~3 % von ihnen manchmal nen Deckel weg schmeißen..."

  • Die Deckel könnte man alternativ einfach virtuell per App an die Flasche koppeln. Einfach den QR-Code auf dem Deckel einscannen, dann den matchenden QR-Code auf der Flasche einscannen. Bei Rückgabe/Entsorgung derselbigen dann gleiches Prozedere nochmal plus Foto, das belegt, dass die Flasche plus Deckel gemeinsam abgegeben/entsorgt wurden. Als Belohnung gibt es dann 0,5 Payback-Punkte und es werden Hero-of-nature-Emojis freigeschaltet.