Digitaler Impfnachweis: Einladung zur Fälschung
Vieles musste unter Pandemie-Bedingungen pragmatisch entschieden werden. Doch dieser digitale Impfpass ist eine gefährliche Nachlässigkeit.

P ragmatisch? Oder nachlässig? Das ist eine Frage, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder gestellt hat im Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung. Und der Grat, der zwischen beiden Ansätzen liegt, ist oft ziemlich schmal. Zum Beispiel bei den Schnelltestzentren.
Davon brauchte es viele, und zwar zügig, wenn es durch Tests abgesicherte Öffnungen geben sollte. War es also pragmatisch, die Einrichtung der Zentren unbürokratisch zu ermöglichen? Ja. Und war es nachlässig, dabei nicht einmal eine Plausibilitätskontrolle einzubinden, um zumindest die gröbsten Betrugsversuche zu erkennen? Ja, vermutlich auch. Aber hinterher kritisieren ist immer leichter.
Die nächste Situation, deren Lösung zwischen Pragmatismus und Nachlässigkeit liegen wird, ist der digitale Impfpass. Die IT-Infrastruktur läuft, die Apps sind da. Jetzt fehlt – neben der Impfung, auf die viele immer noch warten – das Zertifikat. Ist es pragmatisch, dass nicht nur Ärzt:innen und Impfzentren diese ausstellen sollen, sondern, damit viele Menschen schnell an ihren digitalen Nachweis kommen, auch Apotheken?
Klar. Ist es nachlässig, weil bereits einiges an gefälschten Impfpässen unterwegs sein dürfte und die Apotheken nicht beim Arzt oder Impfzentrum anrufen werden, um zu fragen, ob die Inhaberin des gelben Papierausweises wirklich dort geimpft wurde? Vermutlich. Und ein einmal ins Digitale umgewandelter gefälschter Impfpass lässt sich gar nicht mehr als Fälschung erkennen.
Pragmatisch war es auch, den gelben Impfpass sein zu lassen, als sich längst abzeichnete, dass er künftig eher Eintrittskarte als Schubladenhüter sein wird. Und dass Ideen, die eine Fälschung erschwert hätten – wie Aufkleber mit Hologrammen – politisch so gar nicht aufgenommen wurden. Klar, Fälscher:innen wird es immer geben. Aber man kann es ihnen einfacher machen (Impfpass) oder schwieriger (Euro-Noten).
Vielleicht lässt sich der Frage, ob in einer Situation Pragmatismus wünschenswert ist oder zu leicht in problematische Nachlässigkeit kippen wird, an Hand eines Gedankens nähern, nämlich: Was, wenn es schiefgeht? Abrechnungsbetrug bei Testzentren – kostet Geld, fällt aber angesichts der gesamten Pandemiekosten kaum ins Gewicht.
Schlampig gemachte Abstriche in Testzentren, die dazu führen, dass infektiöse Menschen ihre Großeltern besuchen – schon ein Problem. Ebenfalls: Wenn Menschen ohne Impfung ihren gefälschten Impfpass in ein digitales Zertifikat umtauschen und dann nicht getestet, aber infektiös durch die Welt reisen und das Virus so weitertragen können. Es wäre wichtig, die Folgen solcher Entwicklungen schon im Vorfeld ernster zu nehmen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator