Die Linke in der Krise: Wer ist schuld an der Misere?
Es gibt mindestens sechs Gründe, warum die Linkspartei so schlecht dasteht. Dass diese sich mitunter widersprechen: Das ist Dialektik.
1. Die SPD
Wer hat uns verraten? Im Zweifel ist immer die SPD schuld, das gilt in der deutschen Linken seit der Zustimmung zu den Kriegskrediten im Jahr 1914. Jetzt hat die SPD etwas gewagt, das aus Sicht der Linken noch verbotener ist als ein Weltkrieg: Sie ist einfach zu links geworden und hat der Linken damit viele Stimmen abgenommen. Im Wahlkampf forderte sie die Vermögensteuer, einen höheren Mindestlohn, eine Bürgerversicherung für alle. Dass sie in einer Koalition mit der FDP wenig wird durchsetzen können, hat kaum jemanden abgeschreckt. Natürlich wollen WählerInnen Parteien wählen, die ihre Versprechen umsetzen. Aber zwei sozialdemokratische Parteien? Braucht kein Mensch.
2. Sahra Wagenknecht
Ganz klar: Sahra Wagenknecht ist schuld. Sie hat im Wahljahr ein Buch herausgebracht, das ihre Partei beschuldigt, die Arbeiterklasse zu verraten. Zum Dank wurde sie auf den ersten Platz der Landesliste in NRW gewählt, kurz danach aber ihr Parteiausschluss gefordert. Das klingt wie der Plot einer Vorabendserie, überzeugt allerdings deutlich weniger Zuschauer.
Es ist vor allem Wagenknechts Verdienst, dass die Linke zerstritten auftrat und kein Wähler wusste, was er bekommt, wenn er die Partei wählt. Wer den Wahlabend lieber mit einem Spiegel-Reporter im Restaurant verbringt als mit seiner Partei, dem ist Narzissmus wichtiger als Sozialismus. Sahra Wagenknecht ist auch schuld, weil sich ihre Gesellschaftsanalyse als falsch erwiesen hat: Die Linke verlor nur wenige Wähler an die AfD.
3. Die Lifestyle-Linken
Man kann aber auch sagen: Mehr Sahra Wagenknecht hätte der Partei gutgetan. Bei der Wahl 2017 freute man sich über die Stimmen von linksliberalen Großstädtern, die was mit Medien machen und die Grünen irgendwie uncool fanden. Aber die, und da hatte Wagenknecht recht, bilden nicht das Zielpublikum für eine sozialistische Partei. Sie wendeten sich bei erster Gelegenheit ab und kehrten zurück in den Schoß von Grünen und SPD. Da bringt es nichts, beim Klimaschutz grüner als die Grünen sein zu wollen. Die Linke, das zeigten Wahlanalysen, wurde unterdurchschnittlich von Arbeitern gewählt. Und sie hat fast so viele Wähler ans Lager der Nichtwähler verloren wie an die Grünen. Will sie eine Zukunft haben, muss sie die Prekären, die mit niedrigen Löhnen und Renten, für sich gewinnen.
4. Die Plakate
Die Linkspartei mag langfristige Arbeitsverträge. Leider gilt das auch für ihre Wahlkampagne. Seit 2005 ist die gleiche Agentur verantwortlich, und das sieht man: Die Plakate der Linkspartei sahen so aus wie immer. Hauptsatz, Ausrufezeichen, schwarz-weiß-rot. Eine sprachliche und ästhetische Zumutung (ja, hier schreibt die Lifestyle-Linke). Es sieht aus wie die Bild-Zeitung, deren Auflage und Attraktivität ja auch nachlässt. Wenn die Linke erfolgreich sein will, muss sie sexy werden.
5. Die Linke
Trotzdem wäre es zu einfach, der Kampagne die Schuld zu geben. Letztlich hat die Linke nicht geklärt, was sie sein will: Ostpartei? Ein Korrektiv der SPD? Oder eine radikale Opposition, die nicht an Wandel im Parlament glaubt?
6. Die Wähler
Kennen Sie die Tageszeitung neues deutschland? Ihre Auflage liegt mittlerweile nur noch bei 17.000. Die Redaktion kämpft mit Händen und Füßen, aber ihr Gegner ist stärker: Es ist der Tod.
So wie ihrer Parteizeitung geht es auch der Linken, vor allem im Osten. Viele Mitglieder sind in den letzten Jahren gestorben. Gegen die Biologie hilft kein Klassenkampf. Das Sein bestimmt das Bewusstsein – aber ohne Sein gibt’s auch keinen Wahlschein.
Der Wähler ist auch deshalb schuld, weil er der Linken ein sehr uneindeutiges Ergebnis geschenkt hat: 4,9 Prozent, aber Fraktionsstatus. Wähler an die Grünen verloren, aber auch an die SPD. So kann jeder Flügel in der Partei jene Lehren aus dem Ergebnis ziehen, die am besten ins jeweilige Weltbild passen.
Gut möglich, dass die Linke sich weiter durchwurschtelt und sich nicht neu erfindet. Das wäre der größte Fehler.
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