Debatte über Bürgergeld: Das gute Leben ohne Geld
FDP und CDU wollen die Erhöhung des Bürgergelds bremsen und den ärmsten Teil der Bevölkerung ärmer machen. Sie haben den Bezug zur Realität verloren.
W enn die weitsichtigen Politiker der FDP und Union fordern, dass das Bürgergeld im kommenden Jahr doch nicht wie geplant erhöht wird, dann tun sie das, weil nicht immer das gerecht ist, was auf den ersten Blick als gerecht erscheint.
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen für den Bundeshaushalt 2024 aktuell 17 Milliarden Euro. Um diese abstrakte Zahl etwas greifbarer zu machen: Wenn man sie durch die Einwohnerzahl Deutschlands teilt, dann kommt man auf 202 Euro. So viel kostet derzeit ein günstiger fünftägiger Pauschalurlaub auf Mallorca in der Nebensaison (1 Person, Halbpension). Es ist also nicht nur parteipolitisches Gelaber, es geht hier um etwas.
Wer rechnen kann, weiß, dass die wenigen Milliarden (4 bis 5), die die Erhöhung des Bürgergeldes kosten wird, neben anderen Beträgen Peanuts sind. Zum Beispiel neben den 100 Milliarden, die dem Staat jährlich schätzungsweise durch Steuerhinterziehung verloren gehen. Oder den 65 Milliarden, die sich durch die Abschaffung von klimaschädlichen Subventionen einsparen ließen. Oder den vielen weiteren Milliarden, auf die der Staat wegen zahlloser wie grundloser Steuerprivilegien verzichtet.
Aber das eben nur auf den ersten, kurzsichtigen Blick; weil die Politiker der FDP und Union weitsichtig agieren, zeigen sie Fingerspitzengefühl: Ein Verzicht in Millionenhöhe tut schließlich viel mehr weh als 61 Euro weniger, die einem Bürgergeldempfänger nach Erhöhung zustehen würden. Einen Mallorca-Urlaub kann der sich ja auch damit nicht leisten.
Keine normalen Menschen
Aber es geht hier nicht nur um Zahlen. Die weitsichtigen Politiker der FDP und CDU wissen, dass sich Menschenleben nicht auf Ziffern reduzieren lassen. Darin unterscheiden sie sich von ihren Kritiker:innen, die in ihnen möglicherweise eine schwarz-gelbe Querfront sehen und immer nur mit Zahlen kommen. Es mag sein, dass diese weitsichtigen Politiker gerade dabei sind, das nächste höchstrichterliche Urteil zu provozieren, weil das Verfassungsgericht ein Existenzminimum vorschreibt.
Es wäre dann so, dass sie Abgeordnetendiäten von mehr als 10.000 Euro erhalten, damit viel mehr als andere verdienen, aber es trotzdem nicht schaffen, Politik legal zu gestalten. Das mag dann einer Arbeitsverweigerung gleichen und zeigen, dass ein großer Abstand zwischen Lohn und Sozialleistung nicht automatisch dazu führt, dass Menschen auch arbeiten.
Aber Bundestagsabgeordnete sind eben keine normalen Menschen. Deswegen sehen sie durch die Bürgergelderhöhung den Anreiz für Normalsterbliche gefährdet, sich in Beschäftigung zu begeben, statt einfach Bürgergeld zu kassieren. Arbeit muss sich schließlich lohnen. Natürlich könnten Unternehmen Löhne erhöhen, um das Lohnabstandsgebot zu gewährleisten. Aber darauf hat Politik ja bekanntlich keinen Einfluss. Leider.
Falls sich die Sparideen der weitsichtigen Politiker nun aber doch nicht durchsetzen, muss keiner verzweifeln. „Ich bin überzeugt, man kann auch sehr gute Politik ohne Geld machen“, sagte Finanzminister Lindner gerade in einem Interview. Das zeigt, dass dieser Politiker nicht nur weitsichtig, sondern auch bodenständig ist. Denn er nimmt sich selbst nicht von dem Anspruch aus, den er mit seinen Sparplänen an Millionen bedürftige Menschen in Deutschland stellt: Man kann auch ohne ausreichend Geld ein sehr gutes Leben führen!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins