Debatte über Bürgergeld: Das gute Leben ohne Geld

FDP und CDU wollen die Erhöhung des Bürgergelds bremsen und den ärmsten Teil der Bevölkerung ärmer machen. Sie haben den Bezug zur Realität verloren.

Viele Menschen an einem Strand

61 Euro mehr Bürgergeld: den Mallorca-Urlaub kann man sich auch damit nicht leisten Foto: Enrique Calvo/reuters

Wenn die weitsichtigen Politiker der FDP und Union fordern, dass das Bürgergeld im kommenden Jahr doch nicht wie geplant erhöht wird, dann tun sie das, weil nicht immer das gerecht ist, was auf den ersten Blick als gerecht erscheint.

Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen für den Bundeshaushalt 2024 aktuell 17 Milliarden Euro. Um diese abstrakte Zahl etwas greifbarer zu ma­chen: ­Wenn man sie durch die Ein­woh­ne­rzahl Deutschlands teilt, dann kommt man auf 202 Euro. So viel kostet derzeit ein günstiger fünftägiger Pauschalurlaub auf Mallorca in der Nebensaison (1 Person, Halbpension). Es ist also nicht nur parteipolitisches Gelaber, es geht hier um etwas.

Wer rechnen kann, weiß, dass die wenigen Milliarden (4 bis 5), die die Erhöhung des Bürgergeldes kosten wird, neben anderen Beträgen Peanuts sind. Zum Beispiel neben den 100 Milliarden, die dem Staat jährlich schätzungsweise durch Steuerhinterziehung verloren gehen. Oder den 65 Milliarden, die sich durch die Abschaffung von klimaschädlichen Subventionen einsparen ließen. Oder den vielen weiteren Milliarden, auf die der Staat wegen zahlloser wie grundloser Steuerprivilegien verzichtet.

Aber das eben nur auf den ersten, kurzsichtigen Blick; weil die Politiker der FDP und Union weitsichtig agieren, zeigen sie Fingerspitzengefühl: Ein Verzicht in Millionenhöhe tut schließlich viel mehr weh als 61 Euro weniger, die einem Bürgergeldempfänger nach Erhöhung zustehen würden. Einen Mallorca-Urlaub kann der sich ja auch damit nicht leisten.

Keine normalen Menschen

Aber es geht hier nicht nur um Zahlen. Die weitsichtigen Politiker der FDP und CDU wissen, dass sich Menschenleben nicht auf Ziffern reduzieren lassen. Darin unterscheiden sie sich von ihren Kritiker:innen, die in ihnen möglicherweise eine schwarz-gelbe Querfront sehen und immer nur mit Zahlen kommen. Es mag sein, dass diese weitsichtigen Politiker gerade dabei sind, das nächste höchstrichterliche Urteil zu provozieren, weil das Verfassungsgericht ein Existenzminimum vorschreibt.

Es wäre dann so, dass sie Abgeordnetendiäten von mehr als 10.000 Euro erhalten, damit viel mehr als andere verdienen, aber es trotzdem nicht schaffen, Politik legal zu gestalten. Das mag dann einer Arbeitsverweigerung gleichen und zeigen, dass ein großer Abstand zwischen Lohn und Sozialleistung nicht automatisch dazu führt, dass Menschen auch arbeiten.

Aber Bundestagsabgeordnete sind eben keine normalen Menschen. Deswegen sehen sie durch die Bürgergelderhöhung den Anreiz für Normalsterbliche gefährdet, sich in Beschäftigung zu begeben, statt einfach Bürgergeld zu kassieren. Arbeit muss sich schließlich lohnen. Natürlich könnten Unternehmen Löhne erhöhen, um das Lohnabstandsgebot zu gewährleisten. Aber darauf hat Politik ja bekanntlich keinen Einfluss. Leider.

Falls sich die Sparideen der weitsichtigen Politiker nun aber doch nicht durchsetzen, muss keiner verzweifeln. „Ich bin überzeugt, man kann auch sehr gute Politik ohne Geld machen“, sagte Finanzminister Lindner gerade in einem Interview. Das zeigt, dass dieser Politiker nicht nur weitsichtig, sondern auch bodenständig ist. Denn er nimmt sich selbst nicht von dem Anspruch aus, den er mit seinen Sparplänen an Millionen bedürftige Menschen in Deutschland stellt: Man kann auch ohne ausreichend Geld ein sehr gutes Leben führen!

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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