Ausstieg aus der Atomkraft: Ein Festtag, trotzdem

Die letzten deutschen AKWs gehen vom Netz. Doch die Partystimmung ist getrübt. Warum wir dennoch feiern sollten.

Illustration einer Sonne, dem Symbol der Atomkraftgener und -gegnerinnen mit einem Partyhut

Nein danke? Na bitte! Illustration: taz

Die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland werden abgeschaltet, und eigentlich müssten an diesem Wochenende Tausende, ach was, Zehntausende Menschen auf den Straßen tanzen.

Was für ein Triumph einer Bewegung! Hervorgegangen war sie aus nur wenigen, eher regionalen Gruppen, die sich in den 70er Jahren gegen den Bau von Atomkraftwerken wandten, wurde dann zunehmend bundesweit tätig und verschmolz mit der Umweltbewegung. Theoretisch überbaut war sie mit Kritik am kapitalistischen Atomstaat, wurde von einer eigens gegründeten Partei in die Parlamente getragen, die schließlich mitregierte und mit der SPD im Jahr 2000 den ersten Ausstieg maßgeblich herbeiführte, der dann 2010 von Union und FDP rückgängig gemacht wurde, bevor er 2011 zum zweiten Mal beschlossen – und zuletzt unter dem Eindruck des Ukrainekrieges noch einmal leicht verzögert wurde. Ganz leicht verzögert.

Wenn die Zeichen nicht trügen, war’s das dann wirklich mit der Atomkraft in Deutschland, jedenfalls für sehr lange Zeit. Und viele der taz-LeserInnen können sagen, dass sie dabei gewesen sind – so wie die taz ja auch.

„Stillegen, aussteigen! Atomkraft Nein Danke“, lautete die Titelzeile in mittlerweile als um­stritten gelten dürfender Rechtschreibung und ohne jeden Versuch, sich journalistisch auch nur durch Gänsefüßchen abzusetzen, am 26. Mai 1986: Aufgerufen wurde zu Protesten an mehreren deutschen AKW-Standorten im Nachgang der Katastrophe von Tschernobyl.

Identitätsstiftender Kampf

Auf einigen Dutzenden von Titelseiten hat die taz den Kampf gegen die Atomkraft begleitet und, ja: auch geführt. Denn diese Zeitung ist ein Kind der sozialen Bewegungen der 70er Jahre, auch und namentlich der Anti-Atomkraft-Bewegung, die zunächst keinen Widerhall und erst recht keinen Zuspruch in den Medien fand und sich deshalb zusammen mit anderen ­Initiativen eine eigene Zeitung schuf.

Wie für alle Groß­themen hatte die taz auch für Energie und Atomkraft immer eigene FachredakteurInnen in ihrem Wirtschaft-und-Umwelt-Ressort, regelmäßig wurden die weggekauft und machten dann andere Zeitungen besser. Doch die starke Vermutung, dass Atomenergie nichts Gutes, sondern eine Art Knotenpunkt der systemischen Großübel sei – Verachtung des Planeten, Ignoranz gegenüber kommenden Generationen, kurzfristiges Profitdenken, scheinheiliger Schulterschluss von Politik und Konzernen, um nur ein paar aufzuzählen –, war stets verbindender Geist des ganzen Hauses.

Ungezählte taz-KollegInnen haben in den 80er Jahren an Bauzäunen gestanden, in den 90er Jahren vor Castortransporten gesessen, und in den Nullerjahren gegen die Laufzeitverlängerung demonstriert. Wer einmal von einem Polizeitrüppchen bei Atomtransporten im Wendland durch den Wald geprügelt wurde, begreift dies als Ereignis, das die Sichtweise auf Staat und Energiepolitik, aber auch auf das Selbst – wo gehöre ich hin, welches ist meine Seite der Barrikade – für ein paar Jahrzehnte prägt.

Und doch, und doch. Vielleicht war es Al Gore, der das Pflänzchen des Zweifels, das im JournalistInnen-Hirn ja ohnehin stets keimen sollte, bewässerte und wachsen ließ. Zur selben Zeit, als der rot-grüne Atomausstieg – für viele Anti-AKW-Bewegte unbefriedigend genug, dieser sündteure Deal mit Restlaufzeiten – gezimmert wurde, machte sich der im Jahr 2000 so knapp gescheiterte US-Präsidentschaftskandidat auf den Weg, für ernsthafte Klimapolitik zu werben, also mit Schwerpunkt auf CO2. Allerdings mit Atomkraft.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

An der Notwendigkeit, den Kohlendioxidausstoß zu begrenzen, zweifelte in der seriösen deutschen umwelt- und energiepolitischen Szene natürlich schon damals niemand, und ganz sicher niemand in der taz. Ja, die zarten Hinweise etwa der französischen GenossInnen hatte man schon auch vernommen.

Doch war etwa Cattenom diesseits des Rheins hinreichend als Schrottmeiler bekannt, und die grande-nationale Atomversessenheit galt hier irgendwie niemandem als Vorbild. Dass aber der Klimaschutz zunehmend dem Wunsch nach Atomausstieg ins Gehege kommen könnte, das überlegten sich vielleicht manche, die die beeindruckende Kampagne Al Gores damals verfolgten.

Durch Jahrzehnte der klimapolitischen Kulissenschieberei in den Industrieländern ist der Klimanotstand nun da, und die Aussichten sind finster. Das ist nicht Schuld der Antiatombewegung: Sie hat immer für erneuerbare Energien gefochten und gewiss nicht für umfassende Abhängigkeit von russischem Gas.

Laufzeitverlängerung steht auch für Verdruss

Aber sie muss nun erdulden, wie die klima­igno­ranten Parteien die Atomkraft beschwören, um im Schatten des Ukrainekriegs weiterhin ihr zerstörerisches Lebens- und Wirtschaftsmodell zu verfolgen. Was dazu führt, dass auch die nachhaltigsten und glaubwürdigsten AktivistInnen wie Greta Thunberg sagen: Wenn es dem Klimaschutz dient und die Meiler da sowieso herumstehen, dann lasst sie doch noch ein kleines bisschen laufen.

Dieser Ampelkompromiss, die Verlängerung der allerletzten Restlaufzeiten der allerletzten Reaktoren bis auf dieses Wochenende im April, er steht auch für das Quantum Verdruss, das nun die Freude über den Atomausstieg verfärbt und verfälscht. Die Wut darüber, wie das Thema Atomkraft jetzt für parteitaktische Spiele genutzt wird, die Ohnmacht angesichts des Ukrainekriegs und wie er die politischen Prioritäten verschoben hat – sie wollen dann eben doch keine echte Partystimmung aufkommen lassen.

Der Kampf für nachhaltige Energien ist noch lange, lange nicht am Ende. Womöglich ist der Ausstieg aus der Atomkraft dafür nur ein weiterer Beginn.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.

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