Marode Meiler sorgen für hohe Preise: Frankreichs AKWs heizen Inflation an
Wegen Wartung und Pannen steht jeder zweite Reaktor in Frankreich still. Das führt zu höheren Energiepreisen, nicht nur in Deutschland.
Paris taz | Der Sommer in Frankreich ist wieder sehr heiß und trocken – die neue Energieministerin Agnès Pannier-Runacher gerät aber nicht nur deshalb derzeit ins Schwitzen. Denn wegen geringer Niederschläge und ungenügenden Mengen an Schmelzwasser sinken die Pegel der Flüsse.
Wenn sich dort das Wasser erwärmt, bekommen die Kühlsysteme der französischen Atomkraftwerke heftige Probleme. Sobald bestimmte Temperaturgrenzwerte erreicht werden, muss die Stromproduktion reduziert oder ganz eingestellt werden. In Normalzeiten kommt 70 Prozent des französischen Stroms aus Atomkraft. Aber dieses Jahr ist, mal wieder, nicht normal. Das hat fatale Folgen für die Stromversorgung im Land – und die Energiepreise in ganz Europa.
Zum Schutz von Fauna und Flora darf nämlich auch das in die Flüsse zurückgeleitete Kühlwasser nicht zu warm sein. In diesem Jahr musste aus diesem Grund der AKW-Betreiber EDF bereits im Mai einen der vier Reaktoren der südwestfranzösischen Anlage Blayais an der Mündung der Gironde vorübergehend herunterfahren. Ähnliches passierte im Juni in Saint-Alban an der Rhone. Weitere Abschaltungen: nicht ausgeschlossen.
Schon in früheren Jahren waren wegen des Ausfalls mehrerer AKWs während der Hitzeperiode die Stromkapazitäten um rund 10 Prozent zurückgegangen. Aber wegen der generellen Klimaerwärmung und den damit verbundenen frühzeitigen Hitzephasen häufen sich nun diese Situationen. Deswegen wurde schon nach den „Hundstagen“ von 2003, 2005 und 2006 die Höchsttemperatur für das abgeleitete Kühlwasser heraufgesetzt. EDF erklärte, in derartigen Fällen würden eben die Kontrollen verstärkt: „Bisher waren allerdings kaum thermische Konsequenzen auf die Ökosysteme zu beobachten.“
Alle vier Reaktoren in Cattenom außer Betrieb
Trotzdem kommen die Hitzefolgen für die Energieproduktion höchst ungelegen. Derzeit sind nämlich bereits rund die Hälfte der 56 Reaktoren des Landes wegen Reparaturen und Wartungsarbeiten außer Betrieb, teilweise noch bis Ende des Jahres.
Zum ersten Mal seit der Inbetriebnahme 1986 sind so alle vier Reaktoren in Cattenom an der Grenze zu Luxemburg aus unterschiedlichen Gründen abgestellt: Bei Reaktor 1 wegen seit Langem geplanter Kontrollen und für die Erneuerung der Brennstäbe, bei Nummer 2 muss eine defekte Ventilation repariert werden, bei den Reaktoren 3 und 4 muss (wie in mehreren anderen AKWs) Korrosion in den Rohrleitungen der Notkühlung analysiert und beseitigt werden. Die Laufzeiten der zum Teil hochbetagten Anlagen soll dank der Wartungen von 40 auf 50 Jahre verlängert werden.
Statt wie in anderen Jahren seinen Atomstrom exportieren zu können, ist Frankreich nun auf die Versorgung aus den Nachbarländern angewiesen – vor allem aus Deutschland. Die eigene Produktion reicht nicht mehr aus. Dabei laufen auch die elf mit Gas betriebenen thermischen Kraftwerke auf vollen Touren.
Sie liefern nur 6 Prozent der Elektrizität in Frankreich und können darum die AKW-Ausfälle nicht kompensieren. Auch deshalb musste bereits Frankreichs Kohleausstieg verschoben werden. Das Kohlekraftwerk in Saint-Avold nahe der Grenze zum Saarland soll im Winter wieder vorsorglich angeschaltet werden. Es war Ende März vom Netz gegangen, bis auf ein weiteres Reservekraftwerk war es der letzte Kohlemeiler in Frankreich.
Achillesferse Atomkraftwerke
EDF rechnet noch das gesamte Jahr mit Stromproblemen. Insgesamt sollen 2022 nur noch 295 bis 315 Terawattstunden (TWh) Strom produziert werden, im Vorjahr waren es noch 360 TWh. Die Atomindustrie, mit der Frankreich seine „Souveränität“ in der Energieversorgung sichern wollte, ist zur Achillesferse geworden.
Frankreichs Energiekrise hat bereits jetzt Auswirkungen auf den gesamten europäischen Energiemarkt – und verschärft die Inflation. Wenn die Nachfrage bei knappem Angebot steigt, gehen die Preise rauf – auch in Deutschland. In Frankreich sind allerdings die Endpreise für die EDF-Kunden reglementiert. Weil der langjährige Konzernchef Jean-Bernard Lévy kritisierte, dass EDF wegen des Strompreisdeckels 8 Milliarden Euro weniger einnimmt, muss er nun gehen.
Gleichzeitig kündigte die Regierung in der vergangenen Woche an, die Teilverstaatlichung des Stromriesen EDF von 2005 rückgängig zu machen. Wegen des „Klimanotstands“ und der Krise bei der Energieversorgung seien „radikale Entscheidungen“ erforderlich, sagte Premierministerin Élisabeth Borne in einer Regierungserklärung vor der französischen Nationalversammlung.
Leser*innenkommentare
Newjoerg
Alle Taz Leser, die Angst vor Atomstrom haben, hätten sich in den 80er oder 90ern im Taz-Kleinanzeigenteil einen "Atomstromdeflektor" kaufen können, kein Witz. (angeblich korrelierte der Verkaufserfolg negativ mit dem IQ)
Wer so ein Ding hat kann beruhigt weiterschlafen und im Winter - falls es beim Gas hart auf hart kommt- ruhigen Gewissens mit Strom heizen. Aber aufgepasst: schnell noch einen "Kohlestromdeflektor" anschaffen!
Andre Marg
Hier gibt es mehr Information en zum Thema Atomkraft allgemein und hier speziell zu Frankreich: www.worldnuclearre...rg/+-France-+.html
Der Zustand der Anlagen ist inzwischen meist bedenklich, der einzige Neubau Flammanville ein ökonomisches und energiesystemisches Desaster. Kosten nach derzeitigem Stand: Faktor 6, Bauzeit Faktor 5 und jedes Jahr wird die Netzanbindung verschoben. Vor allem 2 Gründe sprechen gegen den weiteren Ausbau de Atomkraft: Lange und unsicher Planungsphase (ausser in China, die dem EPR vergleichbare Reaktoren "plangerecht" ans Netz gebracht haben und vor allem die Kosten. Endlagerung der Abfälle, aber auch der Rückbau ist derzeit in F nicht ausreichend "eingepreist".
Der französische Netzbetreiber hat jüngst eine Untersuchung zur Energiezukunft Frankreichs 2050 veröffentlicht und siehe da: In einem der Szenarien ist 100 % Erneuerbare vorgesehen und: sogar günstiger!
assets.rte-france...._Key%20results.pdf
tomás zerolo
@DESCARTES
Flamanville, Olkiluoto, Hinkley Point.
Noch was?
Descartes
Momentan laufen die frz. Atommeiler auf 50% Kapazität. Das reicht völlig aus, da Frankreich sowieso Überkapazitäten in der Kernenergie hat, dazu genügend Photovoltaik, Windkraft, Wasserkraft und Erdgas.
Die Importe aus Deutschland sind geringer als die zeitgleichen Exporte nach Italien und deshalb aus französischer Sicht unnötig.
Die herbeifantasierte Abhängigkeit Frankreichs von deutschem Windstrom ist reines Wunschdenken der hiesigen EE-Fraktion samt Anti-AKWler. Es ist vielmehr Norditalien, das stark von Importen abhängig ist. Der italienische Bedarf wird durch Nachbarländer, u.a. Frankreich, durchgereicht.
Es ist absehbar dass Frankreich wie schon seit vielen Jahren auch in Zukunft übers ganze Jahr gesehen Deutschlands größter Netto-Stromlieferant bleibt.
scotty
@Descartes Woher nehmen Sie Ihre Zahlen? Wenn Sie richtig argumentieren, dass Frankreich viel vom Import durchreicht, müssen Sie das Argument auch für Deutschland gelten lassen. Deutschland hatte in den letzten beiden Jahren einen Stromexportüberschuss von ca. 20 TWh, in früheren Jahren noch mehr, ist also mitnichten "übers ganze Jahr gesehen" netto Importeur. Deutschland hat in diesem Jahr bereits 15 TWh netto exportiert, das ist ziemlich exakt die Produktion der 3 verbliebenen Kernkraftwerke, die also - wenn man rein Strommengen betrachtet - nur für den Export laufen. Meine Quelle: Fraunhofer Institut, energy-charts.info
Descartes
@scotty Da widerspreche ich Ihnen gar nicht. Deutschland ist insgesamt in Summe über alle Nachbarländer seit 2003 Netto-Exporteur.
Deutschland 2021: 70 TWh exportiert und 50 TWh importiert, macht 20 TWh netto Export.
Das Land aus dem die größte Menge Stroms importiert wurde war 2021 Frankreich (9,8TWh).
www.destatis.de/DE...D22_116_43312.html
Frankreich 2021: 87 TWh exportiert und 44 TWh importiert, macht 43 TWh netto Export.
bilan-electrique-2...-france-echanges/#
Jetzt (12.07. 21:00) laufen die frz. Kernkraftwerke auf 44% der installierten Leistung. Frankreich importiert momentan von Deutschland 1,4GW und exportiert 1,6GW nach Italien. Der französische Strom hat momentan 94g CO2/kWh, der deutsche 360g CO2/kWh.
Daraus ist noch keine Abhängigkeit zu erkennen. Der Trend geht aber dahin dass Deutschland wieder Netto-Importeur wird, falls man mit dem Kohleausstieg ernst macht (worauf ich nicht viel wetten würde).
Nachtsonne
@Descartes Hey, keine Fakten bitte! Die Bundesregierung reaktiviert gerade die Steinkohlekraftwerke. Sogar die Braunkohlekraftwerke werden aus der Reserve genommen! Und hier wird von Überschusslieferungen nach Frankreich gefaselt. Unglaublich.
nzuli sana
"Wegen Wartung und Pannen steht jeder zweite Reaktor in Frankreich still."
Das ist super!
Für die weltweite Stilllegung aller Atomanlagen! Keine Macht dem Areva-Konzern!
Nachtsonne
Wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, erhöht dies die Preise und deshalb möchten Sie die Atomkraftwerke abschalten? Äh, OK.
Dietmar Rauter
Am Anfang lockt der Profit, Abfall und Betriebskosten auf Dauer spielen zunächst keine Rolle. Auch hier kommt die Abhängigkeit von Rohstoffländern zum Tragen, wenn die Blase platzt und Uran teurer wird, die Meiler erneuert werden müssen, weil die Hüllen vergammeln etc. Das Abwracken und der Müll werden nicht einkalkuliert, dafür gibt es ja sicherlich auch eine Lösung, vielleicht gewöhnen sich die nachfolgenden Generationen ja an Strahlung, Krebs, Hitze und kürzere Überlebenszeiten. Wer hat diese Managergeneration überhaupt machen lassen ? 'Demokratische' Politiker, die ihren Wähler_innen immer reinen Wein eingeschenkt hatten ?
Dieter M
Die Stromminderproduktion ist primär ein Problem für thermische Kraftwerke, also gleichermaßen für Gas-, Kohle-, oder Kernkraftwerke.
www.umweltbundesam...mischer-kraftwerke
Frankreich steht bei diesem Problem schlechter da als Deutschland, nicht weil es auf Kernenergie setzt, sondern weil:
- es in Frankreich trockener ist
- in Deutschland 40% des elektrischen Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen wird.
Opossum
@Dieter M .. und halt doch weil es nicht auf erneuerbare Energien setzt sondern auf die teuere Atomkraft
esgibtnureinengott
@Opossum Ich verstehe auch nicht wie der zweite Punkt von Dieter M ein Argument dafür sein soll. Der sagt doch, dass Deutschland was anders gemacht hat. Das hätten die Franzosen auch gekonnt.
Was Frankreich anders hätte machen müssen, wenn sie weiter ihren Kernkraftpfad verfolgen wollten, wäre vor einigen Jahren anfangen neue Kraftwerke/Reaktoren zu bauen, um die alten zu ersetzen. Dann hätten sie aber festegestellt, dass das heutzutage gar nicht mehr so günstig ist, wie gerne behauptet wird.
82286 (Profil gelöscht)
Gast
Hier wie da. Es ist ein Scheißspiel um Profit um jeden Preis. Vor ca. 40 Jahren gab es in Östringen (BaWü, Kraichgau) einen "Verrückten" der vorschlug oder forderte, daß die Abwärme der Chemieanlagen bzw. des nahegelegen AtomKraftswerks Philippsburg den Bürgern kostenlos zur Verfügung gestellt werden solle und im Winter Straßen und Fußwege gewärmt anstatt mit Salz freigestreut werden sollten.
Wie gesagt: ein "Verrückter".
82286 (Profil gelöscht)
Gast
@82286 (Profil gelöscht) Oh man, ist das so schwierig? Natürlich wollen die Bürger im Sommer nicht ihre Fussbodenheizung anschmeißen. Aber warm duschen wollen sie trotzdem. Und wenn zum Kaffeekochen vorgewärmtes Wasser aus dem Hahn kommt, spart auch das Energie und damit Kosten. usw. usf.
Herma Huhn
@82286 (Profil gelöscht) Würde im Sommer trotzdem nicht helfen, da wollen die Bürger die Abwärme nicht.
Mopsfidel
@82286 (Profil gelöscht) Der Profit ist der große Bruder der Wirtschaftlichkeit. Die Straßen und Fußwege mit der Abwärme eines AKW zu beheizen klingt als nette Idee, jedoch wirtschaftlich betrachtet ein absoluter Sockenschuss. Für wie viele Tage im Jahr käme dies in Frage? Was kostet der Einbau einer "Straßenheizung" (pro Km)? Wie viele Jahrzehnte kann man mit diesem Geld einen Streudienst finanzieren?
Die Anführungszeichen bei dem Wort "Verrückter" können Sie in diesem Fall weg lassen.
82286 (Profil gelöscht)
Gast
@Mopsfidel OK. Sie haben nicht recht. Es geht selbstredend auch um Fernwärme für die Firmen und Haushalte.
Die Kühltürme braucht man dann eben nur noch im Sommer.
Mopsfidel
@82286 (Profil gelöscht) Sie können die Idee so lange schönreden wie Sie möchten. Nennen Sie doch mal eine Zahl, wie viel der Kilometer "Straßenheizung" kosten würde. Oder was es kosten würde, jeden Anlieger mit einer separaten Dampfdruckleitung anzuschließen. Zusätzlich zu den Kosten eines jeden Anliegers für einen Dampf-Heißwasser-Wandler.
Und haben Sie auch mal (annähernd) recherchiert, wie viele Haushalte Sie an einen einzigen AKW-Reaktor hängen müssten, um auf die Kühltürme verzichten zu können? P.S: mehr als 200.000
82286 (Profil gelöscht)
Gast
@Mopsfidel Sie erkennen schon, dass wir das Problem von zwei unterschiedlichen Seiten betrachten: Ihre Ansicht ist die, Profit um jeden Preis. Meine Ansicht ist die: auch wenn es mehr kostet (zunächst, wie wir soeben erleben), wäre es auch schon damals sinnvoll gewesen, die Abwärme den umliegenden Gemeinden zur Verfügung zu stellen.
Im Sommer mag die Kühlung über ein weit verzweigtes Verteilernetz nicht ausreichend sein - aber auch die Kühltürme würden weniger Energie verbrauchen.
PS: Fernwärme, schon mal davon gehört?
Sonnenhaus
Mehr privatwirtschaftlicher Einfluss bei EDF`s Kernkraftwerken! das wird nicht gut gehen. Das bedeutet letztlich weniger Sicherheit.
Der nächste Kernkraftwerksunfall wird aufgrund des Alters und der Menge an Kernkraftwerken sicher in Frankreich stattfinden. Die Frage ist nur wann - vielleicht schon morgen?
Mit Solar- und Windenergie hätte Frankreich dieses Problem nicht, dafür aber auch kein waffenfähiges angereichertes Kriegsmaterial.
Doch was ist wichtiger, eine dezentrale resiliente Energieerzeugung oder zentrale Stromerzeugung stationäre atomare Streumunition.
Immer wieder ernüchternd wie Politik des eigenen Machterhaltes mit dem Wohlergehen seiner Bürger umgeht.
82286 (Profil gelöscht)
Gast
Hallo Herr Balmer,
jetzt tragen Sie bitte noch Sorge dafür, dass Ihr Kommentar auch vom Bayrischen Ministerpräsidenten gelesen wird.
Wenn ich nicht total falsch erinner, laufen die letzten drei deutschen Atomkraftwerke schon jetzt mit Sondererlaubnis (wg. anstehender, aber ausgesetzter Servicemaßnahmen).