Aufrüstung: Wir sind wieder wehrtüchtig – aber wofür eigentlich?
Deutschland rüstet massiv auf. Kaum noch jemand hinterfragt, ob es all diese Waffen wirklich braucht – beziehungsweise, zu welchem Zweck.

D eutschland hat seine Militärausgaben im vergangenen Jahr um stolze 28 Prozent gesteigert – das hat das Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) jüngst errechnet. Erstmals liegt die Bundesrepublik damit nach den USA, China und Russland weltweit an vierter Stelle – und vor allen anderen Ländern Westeuropas, wie das schwedische Friedensforschungsinstitut bilanziert. Die Steigerung verdankt sich dem Sonderbudget, das die Ampel-Koalition dafür eingerichtet hat. Nach der Lockerung der Schuldenbremse steht ein weiterer Schub bevor.
Die Rüstungsindustrie boomt, während andere Wirtschaftszweige wie die Automobilbranche oder die Bau- und Immobilienwirtschaft in der Krise stecken und Stellen abbauen. Diese Entwicklung wird Deutschland verändern. Und die kommende Regierung will staatliche Gelder vorrangig in Drohnen, Panzer und anderes Kriegsgerät stecken, statt in den Bau von Sozialwohnungen, in Windräder oder in die Entwicklung von Umwelttechnologien zu investieren. Dafür haben Union, SPD und Grüne das Grundgesetz geändert.
Dass die Sozialdemokratie das unterstützt, wundert nicht: Immerhin schafft die Rüstungsindustrie Arbeitsplätze, die anderswo wegbrechen. Aber dass die einstmals so friedensbewegten Grünen damit so gar kein Problem mehr haben, erstaunt dann doch. Nicht nur, weil immer mehr Waffen nicht immer mehr Frieden schaffen. Sondern auch, weil Waffenproduktion und Kriege nun mal ein Klimakiller sind – allem Gerede von einer „grünen Nato“ und einer „klimaneutralen Bundeswehr“ zum Trotz.
Die Aufrüstung wird einen Mentalitätswandel beschleunigen, der ohnehin allenthalben angemahnt wird, Stichwort „Kriegstüchtigkeit“. Schon vor ein paar Jahren schlugen sich ehemals friedensbewegte Promis, die einst den Wehrdienst verweigerten, reumütig auf die Brust und bekannten, sie würden dies heute bestimmt nicht mehr tun. Neuerdings erklären uns Leitartikler stolz, sie würden ihre Kinder gerne in die Bundeswehr schicken, um sie zur Verteidigung des Vaterlands fit zu machen.
Vorwürfe an Pazifisten in fragwürdigem Sound
Auf der anderen Seite schlagen dem Bestseller-Autor Ole Nymoen Wut und Empörung entgegen, bloß weil der „niemals für sein Land kämpfen würde“, wie er in seinem viel beachteten Buch schreibt. Der Vorwurf des „Lumpenpazifismus“, der gegen ihn erhoben wird, klingt dabei wie ein Echo der alten Anschuldigung von der „Wehrkraftzersetzung“.
Kaum jemand hinterfragt noch, ob es diese massive Aufrüstung wirklich braucht. Schon jetzt ist die Nato Russland militärisch haushoch überlegen. Putin wird nicht morgen vor der Tür stehen. Aber Deutschland will innerhalb der Nato eine größere Rolle spielen als bisher und in der Lage sein, seine Interessen notfalls auch militärisch durchsetzen zu können. Dazu braucht es die innere Zeitenwende. Von einer „Entmilitarisierung“, von der nach dem Zweiten Weltkrieg noch die Rede war, ist das Deutschland von heute so weit entfernt wie noch nie. Wir sind wieder wehrtüchtig. Gut ist das nicht.
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