Asylrecht des Einzelnen infrage gestellt: CDU dreht frei
Der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei, kritisiert das Individualrecht auf Asyl. Aus seiner Partei kommt viel Zuspruch.
Frei meinte, das europäische Asylrecht und damit auch die deutsche Asylpraxis gründeten auf einer „Lüge“. „Wir gestalten unser Asylrecht als Individualrecht aus und sind zugleich nicht bereit, den Anspruch in unbegrenztem Umfang einzulösen, der daraus resultiert.“ Der CDU-Politiker aus Baden-Württemberg schlug vor, dass die Europäische Union stattdessen jährlich ein Kontingent von 300.000 oder 400.000 Schutzbedürftigen direkt aus dem Ausland aufnehmen und in den teilnehmenden Staaten verteilen solle.
Die Organisation Pro Asyl kritisierte, Frei lege mit seinem Vorstoß „die Axt an den internationalen Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz“. Die Pläne bedeuteten „den Ausstieg aus der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der EU-Grundrechtecharta“, sagte Pro-Asyl-Sprecher Karl Kopp. „Es ist bitter, dass die Union damit die Positionen der Rechtsextremen übernimmt.“
Aus der CDU erhielt der Parlamentarische Geschäftsführer viel Zuspruch. Die gesellschaftlich liberal gesinnte Kultusministerin aus Schleswig-Holstein, Karin Prien (CDU), bezeichnete den Beitrag Freis bei Twitter als „diskussionswürdig“. Sie sprach sich dort zwar für ein „Recht auf politisches Asyl“ aus, bezeichnete aber die gegenwärtige Rechtskonstruktion im Grundgesetz als „in der Praxis dysfunktional“. Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn stimmte bei Twitter mit der Diskussionslogik Freis überein.
Die Bundesregierung kritisiert den Vorstoß
Doch Frei erntete auch harten Widerspruch aus den eigenen Reihen. „Unser Asylrecht gründet nicht, wie Thorsten Frei meint, auf einer Lüge, sondern auf dem christlichen Menschenbild und der Genfer Flüchtlingskonvention“, sagte Christian Bäumler, stellvertretender Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) der taz.
Die Umwandlung des Asylrechts ginge nur über eine Abschaffung der europäischen Grundrechte-Charta. „Die Politik sollte nicht den Ast absägen, auf dem wir alle sitzen“, so Bäumler. „Die Abschaffung des Asylrechts würde zudem keinen einzigen Menschen davon abhalten, nach Europa zu flüchten.“
Auch aus allen drei Regierungsparteien und der Linkspartei kam Kritik an Freis Vorstoß. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese bezeichnete den Vorschlag als „realitätsfremd“, da er illegale Migration nicht stoppen werde. „Warum es unmenschlich sein soll, dass jemand erst mal vorträgt, warum er Schutz braucht, das geht mir nicht in den Kopf“, sagte der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai verwies gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland auf die Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems. „Es wäre gut, wenn die CDU mit Ernsthaftigkeit diese Bemühungen unterstützen würde.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen