Man muss Schily unterstützen“

■ Auch die Bremer Rechtsprofessorin Sibylle Tönnies fordert die Abschaffung des Anspruchs auf Asyl. Die Genfer Flüchtlingskonvention – die Deutschland unterzeichnet hat – reiche völlig aus

taz: Genauso wie Bundesinnenminister Schily fordern Sie die Abschaffung des im Grundgesetz gewährten Anspruchs auf Asyl. Ist Tabubruch die Antwort der Linken auf schwierige ausländerpolitische Fragen?

Sibylle Tönnies: Ich fordere seit 1985, das subjektive Recht auf Asyl abzuschaffen. Damals gab es noch gar keine Asyldebatte.

Das macht die Forderung nicht besser.

Ich habe damals in der rein theoretischen Auseinandersetzung mit dem Asyl erkannt, dass es seiner Natur nach kein Anspruch sein kann. Asyl ist kein Menschenrecht. Es taucht nicht auf in dem klassischen Set an Menschenrechten, die aus der Aufklärung kommen.

In fast allen Kulturen wird die Übung des Asyls zwar erwähnt, aber niemals als ein Recht der Asylsuchenden, sondern als eine großzügige, gönnerhafte Geste der aufnehmenden Gemeinschaft. Mit dem Asyl ist es wie mit der Gastfreundschaft, die ja auch von der Freiwilligkeit des Gastgebers lebt. Wenn es so etwas gäbe wie eine Gastpflicht, dann würde die Gastfreundschaft erliegen. Es muss immer zur Disposition des aufnehmenden Staates stehen, ob er aufnimmt oder nicht. Wenn man davon abweicht, dann muss man zu solchen müden Konstruktionen wie dem Asylkompromiss von 1993 kommen.

Laut Grundgesetz hat Asyl sehr wohl etwas mit dem Anspruch eines Flüchtlings zu tun. Was ist daran schlecht außer der Tatsache, dass dieser Anspruch auf Asyl möglicherweise keine uralten historischen Wurzeln hat?

Die einzige Säule, auf der dieser nur in Deutschland gewährte und völkerrechtlich unbekannte Anspruch des Flüchtlings auf Asyl beruht, ist die moralische Verantwortlichkeit für den Holocaust. Ich meine, dass diese Säule zu wenig tragfähig ist. Dadurch, dass das Asyl sich in kein staatsrechtliches System einordnet, steht es wackelig da. Ein Staat, der Einwanderern einen Anspruch gibt zu bleiben, verzichtet auf seine Gebietshoheit und damit auf ein Kernstück seiner Souveränität.

Welche Probleme treten auf? Die Flüchtlingszahlen gehen seit 1993 zurück.

Sie gehen zurück, weil das Recht auf Asyl seit dem Asylkompromiss 1993 nur noch eine Fassade ist. Dieser Kompromiss hat das subjektive Recht auf Asyl dermaßen eingeschränkt, dass es peinlich und der Verfassung prinzipiell schädlich ist.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Asyl nicht als subjektives Recht, sondern als Institution zu garantieren. Man sollte die Gelegenheit nutzen, den Holocaust überhaupt einmal im Grundgesetz zu erwähnen. Man könnte den Asylparagraphen beispielsweise durch eine Formulierung ersetzen wie: „Im Bewusstsein ihrer Verantwortung für den Holocaust sieht sich die Bundesrepublik verpflichtet, in besonders großzügiger Weise politisch Verfolgten Asyl zu gewähren.“

Im Übrigen brauchen wir aber keine eigene Regelung, weil Deutschland die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat, die eine sehr umfangreiche und humanitäre Interessen berücksichtigende internationale Regelung darstellt.

Welche Vorteile bietet die Genfer Konvention gegenüber dem deutschen Asylrecht?

Die Genfer Konvention spricht nicht von politisch Verfolgten. Politisch Verfolgte sind ja nicht per se gute Menschen. Es gibt zum Beispiel islamische Fundamentalisten, die von demokratischen Regierungen mit Recht verfolgt werden. In der Genfer Konvention hingegen geht es um Flüchtlinge, die in Not sind. Die Konvention sieht vor, dass niemand abgeschoben werden darf, dessen Existenz oder Leben in seinem Heimatland bedroht ist, egal ob durch den Staat oder andere verfolgende Kräfte. Zudem bietet die Genfer Flüchtlingskonvention die Möglichkeiten, dass die Flüchtlingsaufnahme von der Sicherheit und Ordnung im eigenen Land abhängig gemacht wird.

Bei uns dagegen wird über die innenpolitische Lage, die Zuwanderung erwünscht oder unerwünscht macht, bestenfalls heimlich und hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Ich glaube, dass Arbeitslosigkeit und Ausländerfeindlichkeit Argumente sein können, den Ausländerzuzug zu drosseln.

Braucht Deutschland ein Einwanderungsgesetz?

Ja, ich denke, dass wir so ein Gesetz haben sollten. Aber das hat nichts mit Asyl zu tun. Die Asyldebatte zumindest wird auf einen Kampf hinauslaufen, bei dem ich meine, dass man Schily unterstützen muss.

Interview: Heike Haarhoff