Christian Lindner zur Finanzpolitik: „Noch lange Freude an der FDP“

Finanzminister Lindner spricht sich in der taz für die Einführung des Klimagelds aus. Dass er nur aufs Sparen aus sei, sei ein Missverständnis.

Christian Lindner sitzt an einem Besprechungstisch in seinem Büro

Christian Lindner in seinem Büro während des taz-Gesprächs Foto: Doro Zinn

wochentaz: Herr Lindner, würden Sie sich selbst als Leistungsträger bezeichnen?

Christian Lindner: Ja.

Was zeichnet einen Leistungsträger aus?

Mehr zu tun als seine Pflicht.

Christian Lindner bekleidet seit Dezember 2021 das Amt des Finanz­ministers. Der 45-Jährige aus Wermelskirchen ist 1995 in die FDP eingetreten und seit 2013 Partei­vorsitzender.

In einem FDP-Beschluss werden Leistungsträger als Menschen bezeichnet, die „unser Land mit Mut, Risikobereitschaft und neuen Ideen voranbringen“. Was sind denn Ihre neuen Ideen?

In Deutschland wird erstmals in der gesetzlichen Rente die Kapitaldeckung eingeführt. Wir lassen also zukünftig die internationalen Kapitalmärkte dafür arbeiten, die Beitragszahler zu entlasten. Wir schaffen erstmals ein Bundesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität, damit nicht nur die kleinen Fische bei der Geldwäsche ins Netz gehen. Ansonsten gibt es viele Einsichten, die nicht neu sind, die aber immer wieder erneuert werden müssen. Zum Beispiel jene, dass der Staat nicht auf Dauer mehr Geld ausgeben kann, als er einnimmt.

In Deutschland gibt es einen enormen Investitionsbedarf. Selbst das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft sagt, dass in den kommenden zehn Jahren 600 Milliarden Euro öffentliche Ausgaben notwendig sind. Warum verordnen Sie einen Sparkurs?

Das ist ein Missverständnis. Ich verordne eine qualitative Konsolidierung. Das viele Geld, das die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dem Staat zur Verfügung stellen, muss besser eingesetzt werden. Deshalb können wir auch auf Rekordniveau in die Digitalisierung, die Energie­wende, die Bundeswehr und in unsere Verkehrsinfrastruktur investieren.

Aber nur 12 Prozent des Haushalts fließen in diese langfristigen Investitionen.

Im Vergleich zum Vorkrisenniveau von 2019 ist dennoch die Investitionsquote wesentlich höher. Dazu kommen noch viele Milliarden Euro aus dem Sonderprogramm für die Bundeswehr und die Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds zur Förderung klimafreundlicher Technologien. Noch höhere Investitionsmittel würden übrigens nicht zwingend einen Effekt haben, da ja die volkswirtschaftlichen Kapazitäten begrenzt sind. Stichwort Fachkräftemangel. Dann heizt man eher die Inflation an.

Fast alle Wirtschaftsinstitute und auch der Internationale Währungsfonds fordern, die Schuldenbremse zu reformieren. Erzählen die alle Quatsch?

Ich selber habe doch auf dieser Linie Veränderungen vorgeschlagen

Das müssen Sie uns noch mal in Erinnerung rufen.

Die Wirtschaftsforschungs­ins­ti­tute oder die Bundesbank beziehen sich mit ihren Vorschlägen auf eine Situation, in der wir wieder eine Schuldenquote von unter 60 Prozent erreichen, so wie es die EU vorgibt. Gegenwärtig sind wir bei 64 Prozent. Wenn wir wieder bei unter 60 sind, können wir den Tilgungszeitraum der Pandemie-Notlagenkredite und des Sonderprogramms für die Bundeswehr neu organisieren. Das ergäbe gut 10 Milliarden Euro zusätzlich, die wir jährlich investieren können.

Das ist doch keine Reform der Schuldenbremse, Sie wollen einfach sparen. Selbst wenn wir jetzt mehr Geld aufnehmen, würden wir mit dem prognostizierten Wirtschaftswachstum bald bei einer Schuldenquote von unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts landen.

Leider nicht. Aufgrund der ausgeprägten Wachstumsschwäche gehen wir aktuell für 2028 von 62 Prozent Schuldenquote aus. Ein weiterer Beleg, dass wir dringend eine Wirt­schafts­wende benötigen, mit Bürokratieabbau, marktwirtschaftlichem Klimaschutz, mehr Mobilisierung am Arbeitsmarkt und steuerlichen Impulsen. Dann sinkt die Schuldenquote schneller, und wir erreichen früher zusätzlichen fiskalischen Spielraum. Denn ich investiere lieber in Infrastruktur und Bildung, ohne dass ich Zinsen an die Kapitalmärkte überweisen muss.

41 Milliarden Euro fließen dieses Jahr in die Bundeswehr, Verteidigungsminister Pistorius will für das kommende Jahr noch mal 6,5 Milliarden mehr. Haben Sie ihm gesagt, das sei zu viel Geld?

Zur genauen Ausstattung des Etats kann ich nicht öffentlich sprechen. Eines ist klar: Es gibt das klare Commitment der Bundes­regierung, das 2-Prozent-Ziel der Nato dauerhaft zu erfüllen.

Können so hohe Verteidigungsausgaben nicht auch für Unmut sorgen, wenn Menschen nicht wissen, wie sie ihre Mieten bezahlen sollen?

Ohne Frieden und Freiheit ist alles andere nichts. Zudem sind die Sozialausgaben dieses Staats auf einem absoluten Höhepunkt. Gegenüber 2019 werden 42 Milliarden mehr umverteilt. Wir müssen die Effektivität unseres Sozialstaats dringend verbessern. Für mich heißt das: Wir müssen Menschen, die nicht arbeiten, aber arbeiten können, in den Arbeitsmarkt integrieren.

Es lehnen nicht viele Menschen Arbeit ab, es sind nicht einmal 1 Prozent der arbeitsfähigen Bürgergeldempfänger. Warum führen wir diese Scheindebatte?

Ich habe noch gar nicht von Sanktionen gesprochen. Denn Probleme der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und mangelhafte Kinderbetreuung sind ja auch Vermittlungshemmnisse. Aber wenn Sie die Debatte wollen, führe ich sie. Dass es nur 1 Prozent sind, könnte ja damit zusammenhängen, dass Sanktionen in der Praxis zu schwer zu verhängen sind.

Sie wärmen also das Klischee des faulen Arbeitslosen auf?

Nein, Sie verlassen die Rolle der Interviewerin und mischen die Leitartiklerin rein. Das ist Ihr gutes Recht, aber ich weise es zurück. Wir müssen schauen, warum Menschen nicht in der Lage sind, einen Job anzunehmen: aufgrund einer Erkrankung, wegen fehlender Kinderbetreuung oder wenn ein ausländischer Berufsabschluss nicht anerkannt wird. Daneben gibt es auch diejenigen, die fleißig arbeiten – aber in einem Arrangement aus Bürgergeld und Schwarzarbeit. Wir sollten den Mut haben, solche Probleme offen auszusprechen. Dieses Problem werde ich nicht aus politischer Korrektheit verschweigen.

Worüber Sie nicht sprechen: Viele Menschen beziehen Sozialleistungen, obwohl sie arbeiten. Das sind Leute, die schlechte Löhne erhalten oder Angehörige pflegen.

Tatsächlich haben wir viele Menschen, überwiegend Frauen, die ungewollt weniger arbeiten, weil es keine Kinderbetreuung gibt. Das müssen wir verbessern. Ich bin auch ein großer Freund von Weiterqualifikation, damit Menschen, die keinen gut bezahlten Job haben, nicht auf Dauer dort verbleiben.

Wir haben in Deutschland einen sehr großen Niedriglohnsektor. Bräuchten wir nicht Löhne, von denen Menschen auch leben können? Da würde auch der Staat sparen beim Bürgergeld, weil nicht so viele Menschen aufstocken müssten.

Der Unterstützungsanspruch einer vierköpfigen Familie geht bis zu knapp 2.000 Euro pro Monat plus die Kosten der Unterkunft. Insgesamt kann das schnell in Richtung von 35.000 Euro pro Jahr gehen. Bei geringer Qualifikation und mangelnden Sprachkenntnissen wird das ein Alleinverdiener nicht als Nettoeinkommen erwirtschaften können. Es wird in einer Marktwirtschaft einen Lohn­un­ter­schied geben müssen. Wer dauerhaft bei Löhnen politisch intervenieren will, wird am Ende nur den Verlust von Arbeitsplätzen und wirtschaftlicher Substanz beklagen können.

Der Kanzler sieht das anders und hat einen Mindestlohn von 15 Euro vorgeschlagen. Hat Sie das geärgert?

Nein, da hat der SPD-Wahlkämpfer gesprochen.

Nach einem kleinen Hin und Her haben Sie sich im Kabinett auf das Rentenpaket II geeinigt. Damit soll das Rentenniveau bis 2039 bei 48 Prozent gehalten und das Generationenkapital, die sogenannte Aktienrente, eingeführt werden. Wird die FDP im Bundestag der Reform so zustimmen?

Das Rentenpaket II ist eine gute Balance. Das Generationenkapital ist eine echte Zäsur. Hoffentlich können wir damit die in Deutschland verbreitete Skepsis gegenüber den Kapitalmärkten überwinden. Für die jüngeren Beitragszahlerinnen und Beitragszahler müssen wir weitere Maßnahmen auf den Weg bringen. Darüber wird jetzt beraten.

Die Frage war, ob die FDP zustimmen wird.

Es gilt wie immer das Struck’­sche Gesetz, dass kein Gesetz den Bundestag verlässt, wie es reingekommen ist. Und in diesem Sinne gehe ich von einem Beschluss aus.

Kommt das im Koalitionsvertrag vereinbarte Klimageld noch, um die sozialen Unwuchten der Klimapolitik auszugleichen?

Der Direktauszahlungsmechanismus wird planmäßig bis zum Jahr 2025 fertig sein.

Heißt das, ab Anfang 2025 wird das Klimageld auch ausgezahlt?

Gerne, aber dafür müssen wir uns von mancher Subvention trennen. Das gesamte Geld aus den CO2-Einnahmen wird gegenwärtig anders verwendet, und das ist ärgerlich. Solar und Wind, das war mal eine Nische, heute ist das ein Massenmarkt, ich habe auch eine Solaranlage auf dem Dach. Dennoch subventionieren wir diejenigen weiter, die erneuerbare Energien produzieren – in diesem Jahr mit 19 Milliarden Euro.

Wollen Sie denn auch umweltschädliche Subventionen streichen?

Sie selbst haben gerade von sozialen Unwuchten der Klimapolitik gesprochen. Deshalb muss man sich ansehen, welche sozialen Folgen die Abschaffung bestimmter Steuervorteile oder Subventionen hätte. Das habe ich getan. Es gibt Zielkonflikte zwischen sozialen Wirkungen und ökologischen Anreizen. Ich empfehle für die Akzeptanz des Klimaschutzes, die Wirkungen so abzuwägen, dass man nicht zu viele Menschen vor den Kopf stößt, indem man das Leben der arbeitenden Bevölkerung verteuert. Ich glaube, das sollte die Lehre aus dem Heizungsgesetz sein.

Die Idee des Klimagelds war doch, genau das abzufedern. Dann hätte man das doch prio­ri­sieren müssen.

Ich gebe es gerne weiter. Dann muss es in der Koalition auch die Bereitschaft geben, im Zusammenhang mit dem Klimaschutz Subventionen zu streichen.

Angesichts des Rechtsrucks, brauchen wir jetzt nicht das Demokratiefördergesetz, um Initiativen, die sich den Rechten entgegenstellen, zu unterstützen?

Gegenwärtig ist es in der Beratung des Parlaments.

Und was sagt die FDP dazu?

Das ist die Sache der Fraktion.

Sind Sie gegen ein schlagkräftiges Demokratiefördergesetz?

Ich bin für die Förderung der Demokratie. Aber wir müssen doch an die Gründe ran, warum rechtspopulistische Parteien so einen Zulauf haben. Illegale Migration oder wirtschaftliche Verlustängste beschäftigen die Menschen im Alltag. Diese Probleme müssen angesprochen und gelöst werden, sonst überlässt man das jenen, die die Liberalität des Landes zerstören wollen.

Waren Sie mal im Pony Club auf Sylt?

Nein.

Nehmen Sie sich selbst manchmal als regierungsinterne Opposition war?

Nein. Aber ich kenne die Frage, weil manche von der FDP erwarten, dass sie ihren Wählerauftrag missachtet und einfach rot-grüne Politik macht. Das wäre nicht gut für die Demokratie.

Bei der FDP ist unklar, ob sie in den nächsten Bundestag kommt. Gilt es auch für Parteien, dass der Markt das regelt?

Eine Partei ist kein Selbstzweck, sondern muss sich im Wettbewerb bewähren. Aber ich darf Sie beruhigen. Wir werden noch lange Freude an der FDP haben. Sie ist die beste Adresse in Deutschland für diejenigen, die Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft mit Weltoffenheit und Toleranz verbinden. Mein Ziel ist, wieder zweistellig zu werden. Übrigens wollen wir auch weiterregieren.

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