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Nancy Fraser über Cancel Culture„Angriff auf die Meinungsfreiheit“

Die US-Philosophin Nancy Fraser über die Gründe für ihre Ausladung durch die Uni Köln, den deutschen Umgang mit Israel und Boykotte gegen das Land.

Nancy Fraser ist Philosophin und eine der bekanntesten US-amerikanischen Feministinnen. Hier 2022 in Berlin Foto: Stephan Pramme
Daniel Bax
Interview von Daniel Bax

taz: Frau Fraser, Sie sollten im Mai an der Universität zu Köln eine Gastprofessur antreten. Die wurde jetzt kurzfristig abgesagt. Wie kam es dazu?

Nancy Fraser: Ich stand seit Monaten im Austausch mit der Universität, um meinen Aufenthalt vorzubereiten. Im Juli 2023 wurde ich offiziell eingeladen. Vor etwa zehn Tagen erhielt ich dann eine E-Mail, in der es hieß, dass der Rektor über eine Erklärung, die ich vergangenen November unterschrieben habe, besorgt sei und dass er gerne meine Ansichten über den Staat Israel hören würde.

Die Universität sagt, Ihre Antwort habe „keine neuen Erkenntnisse zum Sachstand und zu Ihrer Position gegenüber Israel erbracht“.

Ich hielt diese Anfrage für unangebracht. Aber ich schrieb, zu diesem Thema gebe es verschiedene Meinungen und viel Schmerz auf allen Seiten, auch für mich als Jüdin. Aber ich hätte gelesen, dass sich der Rektor für einen freien und offenen Dialog einsetzt, und darauf könnten wir uns alle einigen. Ich hatte gehofft, dass die Angelegenheit damit erledigt wäre. Aber schon am nächsten Tag erhielt ich eine Mail vom Rektor selbst, in der er mir mitteilte, dass er angesichts meiner Unterstützung des offenen Briefs „Philosophy for Palestine“ leider keine andere Wahl habe, als seine Einladung zurückzuziehen.

Im Interview: Nancy Fraser

Jahrgang 1947 in Baltimore, ist eine der bedeutendsten Intellektuellen der USA. Sie lehrt Philosophie an der New School for Social Research in New York und ist dort eine Nachfolgerin Hannah Arendts. Die Philosophin forscht seit über 20 Jahren zu Kapitalismus und sozialer Gerechtigkeit, Demokratie und Feminismus. Zuletzt erschien von ihr das Buch „Der Alles­fresser. Wie der Kapitalismus seine eigenen Grundlagen verschlingt“ (Suhrkamp-Verlag, 2023) sowie ein Beitrag im Sammelband „Was stimmt nicht mit der Demokratie?“ (Mit Klaus Dörre, Stephan Lessenich und Hartmut Rosa).

Haben Sie mit dem Rektor der Uni Köln, Joybrato Mukherjee, gesprochen?

Nein, aber ich sehe, dass er mit deutschen Medien spricht und Nebelkerzen wirft, um davon abzulenken, dass das ein unverfrorener Angriff auf die akademische Freiheit ist, auf die Autonomie der Wissenschaftler, die mich als Gastprofessorin ausgewählt haben, und ein Angriff auf die Meinungsfreiheit insgesamt. Wie jeder Bürger habe ich das Recht, mich am politischen Diskurs zu beteiligen, ohne um meinen Job fürchten zu müssen. Wenn ich mich nicht irre, ist dieses Recht auch in Deutschland in der Verfassung verankert.

In der „Frankfurter Rundschau“ ist zu lesen, Herr Mukherjee würde gerne öffentlich mit Ihnen über die Gründe für seine Ausladung diskutieren. Was halten Sie davon?

Nun, das habe ich auch gelesen, aber ich habe keine solche Einladung erhalten, das ist eine Lüge. Und warum sollte ich mit ihm überhaupt über die Gründe für meine Kündigung diskutieren? Er hat ein PR-Problem. Aber es ist nicht meine Aufgabe, ihm zu helfen, den Schaden zu reparieren, den er seinem Ruf zugefügt hat.

Der Rektor wirft Ihnen vor, Sie hätten mit Ihrer Unterschrift unter diesen Brief den Angriff der Hamas relativiert, das Existenzrecht Israels infrage gestellt und zum Boykott israelischer Institutionen aufgerufen. Was sagen Sie dazu?

Ich bin keine Kriminelle, die angeklagt ist und sich rechtfertigen muss. Ich habe nur von meinem Recht als freier Bürger Gebrauch gemacht, meine Meinung in Form einer Unterschrift unter einem offenen Brief kundzutun. Ich möchte aber erläutern, was wirklich in dem Brief stand, denn es kursieren zutiefst diffamierende Behauptungen darüber. Der Brief drückt Solidarität mit den Menschen in Palästina aus, und ich würde sagen, dass das heute noch dringender ist als damals, als er veröffentlicht wurde. Er stellt die aktuelle Krise in den Kontext einer breiteren Geschichte von Gewalt und Besatzung, Enteignung und Vertreibung, und er verurteilt ausdrücklich die Ermordung von Zivilisten, sowohl in Israel als auch in Palästina. Um das Leben aller Menschen, die in der Region leben, zu schützen, müssen die Bedingungen, die Gewalt hervorbringen, beendet werden – das steht in dem Brief. Kein Wort darüber, dass Israel kein Existenzrecht hätte.

Das stellen Sie nicht infrage?

Ich und die rund vierhundert Menschen, die diese Erklärung unterschrieben haben, werden durch solche Behauptungen verleumdet. Der Rektor und die Kräfte innerhalb der deutschen Regierung, die ihn unterstützen, sollten mit ihren Falschdarstellungen des Briefs konfrontiert werden und für diese Verzerrungen zur Rechenschaft gezogen werden. Der Kölner Rektor ist übrigens auch der Präsident des DAAD, der den gesamten Austausch der deutschen Wissenschaft mit internationalen Wissenschaftlern und Studenten organisiert. Wenn es für Stipendien und andere Formen des akademischen Austauschs jetzt diese Art von McCarthyhaften Anforderungen geben sollte, wäre das sehr beunruhigend.

Wer für einen Boykott ist, der dürfe sich nicht beschweren, wenn er selbst boykottiert wird, sagen manche.

Nun, ich werde nicht boykottiert. Ich werde im Grunde gefeuert von einem Job, den zu übernehmen ich vertraglich vereinbart habe. Wer fordert, Israel zu boykottieren, will nicht andere Menschen für ihre Meinung bestrafen oder andere Menschen feuern, sondern einen Staat sanktionieren, dem er Menschenrechtsverletzungen und Schlimmeres vorwirft. Das ist etwas völlig anderes und der Vergleich so absurd wie Äpfel und Birnen. Aber es ist bezeichnend, mit welchen Argumenten die Leute versuchen, vom eigentlichen Skandal abzulenken.

Wie stehen Sie zur Boykottbewegung BDS?

Ich habe den Aufruf zu einem wirtschaftlichen Boykott Israels zur Beendigung der Besatzung immer unterstützt, hatte aber Zweifel an einem akademischen Boykott – nicht aus prinzipiellen Gründen, sondern weil ich meinen Kolleginnen und Kollegen an israelischen Universitäten, die gegen die Besatzung sind und die sich heute mutig gegen den Krieg im Gazastreifen stellen, nicht schaden wollte. Aber ich habe den Boykott der akademischen Einrichtungen in Südafrika unterstützt, und ich würde auch nicht an eine israelische Universität gehen, um dort einen Vortrag zu halten. Aber das ist meine persönliche Entscheidung.

Judith Butler wird in Deutschland angefeindet, eine Preisverleihung für Masha Gessen wurde abgesagt. Die Direktorin des Einstein-Forums Susan Neiman sagt, sie will Deutschland verlassen. Ist Ihr Fall symptomatisch?

Ehrlich gesagt fühle ich mich geehrt, in einer Reihe mit diesen bemerkenswerten, prinzipientreuen und mutigen Menschen zu stehen. Aber ich weiß auch von palästinensischen Filmemachern, Schriftstellerinnen und anderen, die gecancelt wurden. Prominenten wie uns wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht auch viele andere Menschen gibt, die davon betroffen sind.

Sehen Sie die Meinungsfreiheit in Deutschland bedroht?

Ich bin zu selten in Deutschland, um mir ein Urteil zu erlauben. Aber in den Vereinigten Staaten und in vielen anderen Ländern entsteht der Eindruck, dass Deutschland von einer Art McCarthy-Fieber befallen ist. Kritiker der israelischen Staatspolitik werden des Antisemitismus beschuldigt und das Existenzrecht Israels zu leugnen. Die meisten dieser Vorwürfe sind völlig aus der Luft gegriffen und werden benutzt, um eine rechte politische Agenda voranzutreiben. Das ist sehr traurig. Viele Deutsche fühlen verständlicherweise eine besondere Verantwortung gegenüber Juden. Aber man darf diese Verantwortung nicht mit der Unterstützung einer rechten, hypermilitaristischen, expansiven israelischen Regierung gleichsetzen.

Sondern?

Die jüdische Erfahrung ist sehr reich und sehr tief. Warum empfindet man nicht mehr Verantwortung gegenüber der jüdischen Tradition, die von Spinoza, Heinrich Heine, Sigmund Freud bis hin zu Albert Einstein reicht? Das ist der Teil der jüdischen Tradition, mit dem ich mich persönlich als Jüdin identifiziere. Er hat nichts mit israelischem Nationalismus und schon gar nichts mit dieser schrecklichen Regierung zu tun, die Palästinenser als „Tiere“ bezeichnet. Es gibt in Deutschland ein großes Missverständnis darüber, was es bedeutet, der deutschen Verantwortung gegenüber Juden gerecht zu werden.

Sehen Sie Parallelen zu aktuellen Campus-Debatten in den USA?

Die Parallele besteht darin, dass der Vorwurf des Antisemitismus als Waffe eingesetzt wird, und es steht außer Frage, dass die Ergebnisse sich am Ende ähneln: Die freie Meinungsäußerung und die politische Debatte werden abgewürgt. Unsere Universitäten, vor allem unsere berühmten Ivy-League-Universitäten, werden aber weitgehend privat finanziert. Was wir hier erleben, ist ein Aufstand eines Teils der großen Geldgeber, die versuchen, die akademische Freiheit der Fachbereiche, der Studierenden, der Verwaltungen, der Universitätspräsidenten, der Dozenten und anderer Mitarbeiter einzuschränken. Dass Leute, die reich sind und Geld spenden, versuchen, Einfluss darauf zu nehmen, was an den Universitäten gelehrt wird, das hat es früher schon gegeben. Aber jetzt hat es einen neue Stufe der Dreistigkeit erreicht: Sie tun es ganz offen und ohne Scham.

Sehen Sie an US-Universitäten kein Antisemitismus-Problem?

Es steht außer Zweifel, dass es in den Vereinigten Staaten und an vielen anderen Orten Antisemitismus gibt. Zu sagen, dass er als Waffe eingesetzt wird, bedeutet nicht, das anzuzweifeln. Aber ich würde sagen, dass es arabische, muslimische oder palästinensische Studenten und Kritiker der Gaza-Invasion auch nicht einfach haben. Und auf der anderen Seite gibt es in den Vereinigten Staaten eine wichtige Kraft, welche die israelische Politik der Zerstörung in Gaza ohne Vorbehalte unterstützt, und das sind die christlichen Evangelikalen. Sie glauben, dass der Messias erst dann kommen wird, wenn alle Juden im Staat Israel versammelt sind und Israel vom Fluss bis zum Meer reicht. Dann werden die Christen in den Himmel aufsteigen und die Juden, die nach Israel gegangen sind, werden in der Hölle brennen, zusammen mit den Muslimen und allen anderen.

Wie stark prägen solche Stimmen den Diskurs?

Was sich in den Vereinigten Staaten geändert hat, ist, dass es mehr Sendezeit für palästinensische Stimmen und Stimmen der Solidarität mit den Palästinensern gibt. Wir hatten viele Jahre lang eine sehr einseitige öffentliche Sphäre. Das ändert sich jetzt, und ich glaube, dass das die israelische Rechte in Angst und Schrecken versetzt. Denn sie ist es nicht gewohnt, ihre Position in der Öffentlichkeit verteidigen zu müssen. Jetzt muss sie es.

Zurück zu Ihrer Gastprofessur: Welche Folgen hat die Absage für Sie?

Im Moment habe ich keine Zeit, meiner eigentlichen Arbeit nachzugehen, weil ich zu sehr damit beschäftigt bin, E-Mails zu schreiben und Interviews zu geben. Ich erhalte viel Unterstützung und habe verschiedene Angebote, die abgesagte Albertus-Magnus-Vorlesung woanders zu halten.

Vielleicht müssen Sie Ihren Flug also nicht stornieren?

Ich denke schon. Und ich erwarte, dass ich dafür entschädigt werde.

Erwägen Sie rechtliche Schritte gegen die Uni Köln?

Derzeit bevorzuge ich es, eine öffentliche Debatte zu führen. Aber wir werden sehen. Es kann durchaus sein, dass ich mich irgendwann dazu entschließen werde.

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32 Kommentare

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  • 》Ehrlich gesagt fühle ich mich geehrt, in einer Reihe mit diesen bemerkenswerten, prinzipientreuen und mutigen Menschen [Judith Butler, Masha Gessen, Susan Neiman] in einer Reihe zu stehen《

    'Prinzipientreue':

    》Die weltbekannte Philosophin und FeministinJudith Butlersteht nach ihren Aussagen zumHamas-Angriffauf Israel am 7. Oktober 2023 in der Kritik. In einer Diskussionsrunde des Forums "Paroles d'Honneur" in Paris bezeichnete sie das größte Massaker an den Juden seit der Shoa als "bewaffneten Widerstand" und betonte, man könne "unterschiedliche Ansichten über die Hamas als politische Partei haben und darüber, was bewaffneter Widerstand ist". (zdf.de)

    Doch den Hamas-Angriff als einen Akt des "bewaffneten Widerstands" zu verorten, sei eben "ehrlicher und historisch korrekter".《

    Hierzu sollte wan sich wirklich klar machen, dass dieser Hamas-Terror ANDAUERT.

    Nicht nur der wahllose Beschuss ziviler Ziele in Israel aus Gaza, sondern auch: 》A UN team says there is "convincing information" that hostages held in Gaza have been subjected to sexual violence including rape and sexualised torture.

    There were grounds to suspect the abuse was still ongoing, the UN said.

    The UN team also found "reasonable grounds to believe" sexual violence, including gang rape, took place when Hamas attacked Israel on 7 October.《 (BBC)

    "Ongoing": Butlers Einlassungen sind eine Parteinahme für unfassbaren Terror, sich mit ihr in einer solchen Lage als einem "bemerkenswerten, prinzipientreuen und mutigen Menschen" zu identifizieren, disqualifiziert Fraser umfassend, nicht nur als Gastprofessorin, sondern auch u.a. als Feministin.

    Und es schwächt sachliche, konstruktive Kritik am Vorgehen Israels in Gaza, indem sie sie hasserfüllt übertönt, obwohl es - um alle Geiseln der Hamas, auch die palästinensischen, zu retten - gerade jetzt so wichtig wäre, dass solche Kritik vor allem in Israel gehört würde.

  • Nancy Fraser: "Die jüdische Erfahrung ist sehr reich und sehr tief. Warum empfindet man nicht mehr Verantwortung gegenüber der jüdischen Tradition, die von Spinoza, Heinrich Heine, Sigmund Freud bis hin zu Albert Einstein reicht? Das ist der Teil der jüdischen Tradition, mit dem ich mich persönlich als Jüdin identifiziere."

    Ja, aber genau das ist der Teil der jüdischen Tradition, die von den Rechten und Antisemiten gehasst wird.

    Nicht umsonst sprach man damals nicht bloß von einer Jüdischen, sondern einer "jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung". Juden und Linke - die Feindbilder aller Rechten, aller Neokolonialisten, aller Militaristen.

    So, wie sich Nancy Fraser in diesem Interview äußert, hatte ich sie auch schon vorher verstanden und dies auch in einem anderen Beitrag formuliert. Deswegen danke für die Chance, Fraser selber zu Wort kommen zu lassen, während der Kölner Rektor sich hinter Phrasen bzw. Nullaussagen verschanzt.

  • Auf einer Wand in meiner Nähe prangt seit ein paar Wochen der Graffito-Schriftzug "Stop bombing Gaza". Eine m.E. absolut unterstützenswerte Forderung.



    Jetzt hat jemand "Stop antisemitism" darüber gesprüht - eine ebenfalls absolut unterstützenswerte Forderung.



    Aber ich werde den Verdacht nicht los, dass Sprüher #2 sein Werk nicht als Ergänzung, sondern als Widerspruch zu Sprüher #1 sieht.

  • Herr Bax hat eine Gelegenheit verpasst Frau Fraser etwas mehr auf den Zahn zu fühlen. Sie spricht abstrakt vom Boykott Israels und führt aus, dass sie nicht an an einer israelischen Universität sprechen würde. Sie äußert Zweifel an einem akademischen Boykott, da hätte Herr Bax mal nachfragen sollen. Wie würde sich Frau Fraser zur Einladung einer Professorin aus Israel an ihrer Hochschule positionieren? Würde sie teilnehmen? Oder würde sie zum Boykott der Veranstaltung aufrufen?

    Es bleibt schon merkwürdig, wenn Personen wie Fraser, die durch Boykottaufrufe die Meinungsfreiheit stark einschränken, selber lamentieren, wenn sie ausgeladen werden.

  • "Ich habe den Aufruf zu einem wirtschaftlichen Boykott Israels zur Beendigung des Besatzung immer unterstützt, hatte aber Zweifel an einem akademischen Boykott ...weil ich meinen Kolleginnen und Kollegen an israelischen Universitäten... nicht schaden wollte."



    Nichtakademikern schaden ist demnach in Ordnung?



    Da hab ich aufgehört zu lesen.

  • Was für eine mutige, konsequente und standhafte Frau. Von solchen Menschen bräuchte gerade Deutschland mehr. Ihr Auftritt hätte Signale sowohl für ein Nachdenken als auch für einen offenen Diskurs setzten können. So bleibt es diesem Interview vorbehalten. Vielen Dank für die Offenheit, Höflichkeit und Sachlichkeit angesichts der gestellten Fragen und deren Formulierung.

  • Mich stört bei diesen Debatten diese unsinnigen Unterscheidungen. Die Menschenrechte sind unheilbar, gelten für jeden Menschen und sind von jedem Menschen zu respektieren.

  • Ich bin zutiefst schockiert.



    ja, das halte ich für einen Angriff auf die Meinungsfreiheit.



    Ach...ich sehs gerade...den Kapitalismus kritisiert sie auch...damit hat sie sich natürlich Feinde gemacht...



    Tja...wer Kapitalismus für eine Meinung hält, und dazu noch eine gut funktionierende, sollte jetzt nachdenklicher werden

  • Ok, der Rektor hatte nachgefragt und wollte die „Ansichten über den Staat Israel hören“.

    Die Eingeladene fand diese Nachfrage „unangebracht“. Gleichzeitig möchte sie den Dialog.

    Aber die Nachfrage ist doch genau der Dialog. Da will jemand Details erörtern, um sich ein umfassendes Bild zu machen und bekommt dann keine Antwort, da die Nachfrage als unangebracht betrachtet wird.

    Interessantes Verhalten. Sie hätte ja auch einfach zurückschreiben können, dass das Existenzrecht Israels für sie außer Frage steht, sie die aktuelle Regierung in Israel inkl. der Siedlungspolitik schrecklich findet und eine umfassende Lösung für die Zerschlagung der iranisch finanzierten islamofaschistischen Terrororganisationen rund um Israel gefunden werden muss.

    Dass die zivilen Menschen im Gazastreifen humanitäre Unterstützung ohne Wenn und Aber bekommen müssen und Israel dafür sorgen muss, dass das auch funktioniert.

  • " und er verurteilt ausdrücklich die Ermordung von Zivilisten, sowohl in Israel als auch in Palästina. "

    Ich habe den Text mehrfach gelesen, finde ich nicht... dafür finde ich aber so Sachen wie "join us in supporting the academic and cultural boycott of Israeli institutions" oder so allgemeine Aussagen wie "Civilian deaths, regardless of nationality, are tragic and unacceptable." oder auch häufig genannte Zahlen oder dass doch die Blockade enden soll.

    Kein Wort/Zahl zu den Opfern von Israel oder das die Geiseln frei gelassen werden sollen.

    Jeder darf seine Meinung frei äußern, aber ich finde das schon arm sich hinzustellen bei so einem Text und nicht zu wissen, warum man dann rausgeworfen wird.

  • Die Ausladung ist völlig gerechtfertigt. Wer die Taten der Hamas kleinredet, muss eben mit gesellschaftlichen Konsequenzen rechnen. Die „Meinungsfreiheit“-Keule hilft da auch nicht.

  • Israel begeht Verbrechen und die Hamas genauso.

    Langsam reicht es mir mit diesen einseitigen Solidaritätsbekundungen. Da hilft auch kein Disclaimer wie „Ja, aber irgendwie andere auch“, wenn die Tendenz trotzdem dieselbe bleibt.

  • Bei aller richtiger Kritik am z.T. verbrecherischen Handeln des Staates Israel unter Nethanjahu, etwa in der Westbank: BDS ist wirklich eine richtig dumme Bewegung. Ich hab mir in den Wochen nach dem Terrorangriff der Hamas deren Webseite angesehen. Die sind stumpf Kriegspartei. Da war z.B. Null Distanzierung von der Hamas und ihrer Forderung nach Vernichtung des Staates Israel.

    Wer BDS kritiklos unterstützt muss sich schon Fragen stellen lassen, ob er geeignet ist ein Lehramt auszuüben.

  • Diese Ausladung ist ein zutiefst beschämender und bestürzender Vorgang, der drastisch zeigt, wie die Keule eines völlig haltlosen „antisemitismus“ Vorwurfs gegen jüdische Intellektuelle Frauen und queere Menschen eingesetzt wird. Und das ausgerechnet in Deutschland!!

    • @degouges:

      Entschuldigung, aber: Merken Sie nicht selbst, wie sehr sich etwas in der öffentlichen Debatte verschoben hat, wenn plötzlich Linke von einer "Antisemitismuskeule" schreiben, die sie mundtot machen solle? Den Begriff kenne ich sonst eigentlich nur von der extremen Rechten.

    • @degouges:

      Unabhängig davon, ob die Ausladung gerechtfertigt war, oder nicht: Jüdische und queere Menschen sind Menschen wie Sie und ich.

      Daher können sie auch Fehler machen und unsinnige Dinge sagen. oder eine Ansicht vertreten, die andere falsch und empörend finden.

      Dafür müssen sie dann gegebenenfalls die Konsequenzen tragen - auch "ausgerechnet" in Deutschland.

      Frau Fraser hat sich in einem Interview mit der FR darüber empört, daß man sie als Mitglied der "New School" ausgeladen habe, eines Instituts, in dem einst vor den Nazis geflohene jüdische Wissenschaftler Aufnahme gefunden hatten.

      Als ob das die nachfolgenden Generationen davor bewahren würde, auf intellektuelle oder politische Abwege zu geraten.

    • @degouges:

      Frau Fraser ist nicht ausgeladen worden, weil sie Jüdin oder Frau ist. Auch ist ihr nicht Antisemitismus vorgeworfen worden.



      Sie konstruieren hier Zusammenhänge, die es schlicht nicht gibt.

    • @degouges:

      Was hat denn jetzt "Queerness" damit zu tun?

    • @degouges:

      Meine Rede!

  • Ich finde es immer äußerst befremdlich, wenn Menschen aus anderen Ländern den Deutschen erklären wollen, wie sie mit Juden und Israel umzugehen haben.

    Was würde passieren, wenn Israel jetzt den Gazastreifen verlassen würde? Die Hamas würde wieder übernehmen und ihren Hass ausbreiten. Der nächste Angriff auf Israel wäre nur eine Frage der Zeit.

  • "Er [also der von ihr unterzeichnete Brief] stellt die aktuelle Krise in den Kontext einer breiteren Geschichte von Gewalt und Besatzung, Enteignung und Vertreibung, und er verurteilt ausdrücklich die Ermordung von Zivilisten, sowohl in Israel als auch in Palästina."

    Frau Fraser muss wohl der Ansicht zu sein, in Deutschland seien nur die wenigsten in der Lage, englische Texte zu lesen und zu verstehen. Der etwa drei Wochen nach den Massakern vom 7. Oktober verfasste Brief erwähnt diese nur ein einziges Mal und tatsächlich nur in relativierender Absicht ("Yet to act as though the history of violence began with Hamas’s attacks on October 7, 2023 is to display a reckless indifference to history as well as to both Palestinian and Israeli lives."). Und was sie hier beschönigend als "Kontext einer breiteren Geschichte" beschreibt, ist eine verzerrende, holzschnittartige Darstellung des Konfliktes, in der es nur einen einzigen Schuldigen gibt, nämlich Israel. Dass eine Organisation wie die Hamas ganz selbstverständlich Israel auslöschen möchte, scheint in Frau Frasers Vorstellungswelt nicht vorzukommen oder ist ihr schlicht auch egal. Und wenn sie überdies meint, den Kölner Rektor Joybrato Mukherjee (der den Brief sehr wohl verstanden hat) nicht nur in völlig überzogener Form angreifen zu müssen, sondern ihn sogar "zur Rechenschaft" ziehen möchte, dann wird offensichtlich, dass hier jemand in einer Weise jegliches Maß und Ziel verloren hat, die Mukherjees Entscheidung nachträglich noch einmal rechtfertigt.

  • Ziemlich selbstgerecht die gute Frau. Nun gut, jeder wie er will…

  • Fraser im Interview über den von ihr unterzeichneten Aufruf: »Um das Leben aller Menschen, die in der Region leben, zu schützen, müssen die Bedingungen, die Gewalt hervorbringen, beendet werden – das steht in dem Brief. Kein Wort darüber, dass Israel kein Existenzrecht hätte.«

    Wortlaut des Aufrufs: »If violence is to stop, the conditions that produce violence must stop.« Und was sind diese »conditions«?. Dazu heißt es zweil Zeilen später: »the dispossession of Palestinians of their lands and homes across historic Palestine has lasted three-quarters of a century, since the 1948 establishment of Israel as an ethno-supremacist state. It is not without reason that observers [...] now characterize Israel’s control over the land from the Jordan River to the Mediterranean Sea as a system of apartheid.«

    Und das in einer Situation, in der klar war, dass Israel keine Kontrolle über Gaza hatte.

    Fraser auf die Frage »Wie stehen Sie zur Boykottbewegung BDS?«: »Ich habe den Aufruf zu einem wirtschaftlichen Boykott Israels zur Beendigung des Besatzung immer unterstützt, hatte aber Zweifel an einem akademischen Boykott«.

    Wortlaut des von ihr unterzeichneten Aufrufs: »Going forward, we invite our fellow philosophers to join us in solidarity with Palestine and the struggle against apartheid and occupation, especially the academic and cultural boycott of Israeli institutions—distinct from individuals—as outlined by the Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel (PACBI).« »academic« und »PACBI« sind mit Links zur Website des BDS unterlegt.

    Nun frage ich mich: Weiß Fraser nicht, was sie unterschrieben hat, oder ist sie eine opportunistische Lügnerin weil sie, leider fälschlicherweise, annimmt, dass man es so direkt in Deutschland dann doch nicht sagen darf?

  • 4G
    42798 (Profil gelöscht)

    "Gerade diesen israelbezogenen Antisemitismus, der sich linksliberal wähnt, versteht Simons als die gegenwärtig dominante Form des Antisemitismus.

    Deren Protagonisten, die Simons als »nützliche Idioten« bezeichnet, übersetzen alte antisemitische Ressentiments in die Sprache des Antirassismus. Wo dieser Antisemitismus der Progressiven auftaucht, hüllt er sich in ein politisches Gewand, verweist auf jüdische Sympathisanten und versichert immerzu, deshalb mit Antisemitismus nichts zu tun zu haben. Schließlich stelle man sich gegen Diskriminierung jeder Art und habe auch eine Menge antizionistischer Juden auf seiner Seite."

    jungle.world/artik...t-angst-vor-israel

  • Wer sagt, er wünsche sich einen "freien und offenen" Dialog, und gleichzeitig sagt, er "würde nicht an eine israelische Universität gehen, um dort einen Vortrag zu halten", der lügt bei einem dieser Punkte, da diese beiden Ansichten im direkten Widerspruch zueinander stehen. Ich habe da einen Verdacht.

    Ich habe es unter einem anderen Artikel gesagt, und wiederhole es hier gerne: Wer einen Boykottaufruf unterzeichnet, der hat sein Nichtinteresse an offenem Dialog kundgetan, und darf sich nicht beschweren, wenn einem manche Türen dann eben zugeschlagen werden.

    Das vielsagendste Stück dieses Interviews ist aber: "Es steht außer Zweifel, dass es in den Vereinigten Staaten und an vielen anderen Orten Antisemitismus gibt. Zu sagen, dass er als Waffe eingesetzt wird, bedeutet nicht, das anzuzweifeln. Aber ich würde sagen, dass es arabische, muslimische oder palästinensische Studenten und Kritiker der Gaza-Invasion auch nicht einfach haben."



    Dieser Satzbau weist nicht nur grammatisch frappierende Ähnlichkeiten zum berühmt gewordenen "Ich habe nichts gegen Ausländer, aber..." auf. Inhaltlich fällt sofort die intrinsische Relativierung auf: "Naja, Antisemitismus ist schon schlimm, aber Muslime haben es ja auch schwer, ihre wichtige Israelkritik zu äußern". Entschuldigung, aber wenn die Präsidentinnen amerikanischer Unis im US-Kongress nicht dazu bewogen werden können, ob Aufrufe zum Genozid an Juden an diesen Unis inakzeptabel seien, mit "Ja" zu antworten, dann ist dieses Problem wohl kaum so leicht wegzuwischen. Und wenn Studentenorganisationen in den USA "From the river to the sea" schreiend durch die Straßen laufen, klingt das ehrlich gesagt auch nicht so, als würden sich diese wahnsinnig durch den gesellschaftlichen Druck gehemmt fühlen. Es scheint fast so, als sei die Unterdrückung von Freiheiten nur dann schlimm, wenn es die eigenen Freiheiten sind, über die geredet wird.

  • Meiner Meinung nach war es ein Fehler des Kölner Uni-Rektors Joybrato Mukherjee, Nancy Fraser die Gastprofessur abzusagen - schliesslich waren Frau Frasers Positionen zu Israel und den Palästinensern schon länger bekannt bzw. hätten bekannt sein müssen, wenigstens zum Zeitpunkt der Einladung.



    So aber hat Herr Mukherjee seiner Universität und dem freien wissenschaftlichen Diskurs hierzulande schweren Schaden zugefügt. An dieser Stelle vermisse ich übrigens die kritischen Stellungnahmen aus dem politischen Spektrum - geht es um tatsächlichen Antisemitismus, ist die politische Prominenz - Gottseidank und ganz zurecht - ja schnell zur Stelle.



    Im Falle Frau Frasers geht es aber NICHT um Antisemitismus, sondern um das Recht - und sogar die Notwendigkeit im wissenschaftlichen Diskurs - israelkritische Positionen vertreten zu können.



    Boykottaufrufe gegenüber Israel bereiten mir persönlich Bauchschmerzen - hier teile ich Frau Frasers Ansichten ausdrücklich nicht.



    Aber es muss unter Bedingungen der grundgesetzlich verbrieften freien Meinungsäußerung weiter möglich sein, solche Ansichten zu äußern - denn der Bezug zu antisemitischen Argumentationsmustern muss erst nachgewiesen werden. Gerade im Wissenschaftsbetrieb gilt eben nicht die Devise: wer bezahlt, bestimmt die Musik - Behauptungen müssen schon evident begründet sein, ein Campus ist nicht die Meinungsseite der taz.



    Mir scheint, der von Fraser im Interview geschilderte äußere Eindruck, die Antisemitismus-Debatte werde hierzulande zum Teil mit maccarthyistischem Eifer geführt, ist leider nicht ganz von der Hand zu weisen.

  • "Viele Deutschen fühlen verständlicherweise Gefühl eine besonderen Verantwortung gegenüber Juden. Aber man darf diese Verantwortung nicht mit der Unterstützung einer rechten, hypermilitaristischen, expansiven israelischen Regierung gleichsetzen."



    Hier vermengt Fraser selber.



    Es ist doch so, dass die meisten Verteidiger*innen Israels in Deutschland eben unterscheiden, zwischen Jüd*innen, dem Staat Israel und der dortigen rechten Regierung.



    Ich habe mir gestern Videos von "Pro-Palästina-Demos", auch an Universitäten in den USA angeschaut und mir die Kommentare drunter angetan. Da geht es



    tatsächlich gar nicht mehr um "Kritik an Israel", sondern um die Forderung nach seiner Zerstörung.

  • Sehr vernünftige Frau mit guten Ansichten. Das Interview sollten sich einige hier in Deutschland zu Herzen nehmen. Die Art der Diskussion und den vorschnellen Vorwurf des Antisemitismus hier, finde ich unerträglich. Der Vergleich mit McCarthy ist nicht unangebracht.

  • Gutes Interview, leider eine Menge kleiner sprachlicher Fehler im Text.

  • Da spricht die Professorin von McCarthy haften Zuständen in Deutschland, das erinnert mich an die vielen AfD Anhänger und verantwortliche, die von Zuständen in der BRD wie zu Stasi Zeiten in der DDR labern.



    Gut das diese Professorin, die mit keinem Wort den Terror der Hamas anspricht, ihren Job hier nicht bekommt.

  • Eine tolle Frau! Respekt!