Philosoph über Abschaffung von Erbe: „Parallelgesellschaft der Reichen“
Der Gerechtigkeitstheoretiker Stefan Gosepath will das Erben komplett abschaffen. Er erklärt, wie unbesteuerte Erbschaften die Demokratie untergraben.
taz: Herr Gosepath, Sie sind Gerechtigkeitstheoretiker. Leben wir in einer gerechten Gesellschaft?
Stefan Gosepath: Nein, natürlich nicht! Aber wir haben die moralische Verpflichtung, die Welt immer gerechter zu machen, auch wenn wir den Idealzustand niemals erreichen werden. Gerechtigkeit ist menschengemacht und wenn sich genug Leute zusammentun, kann man Verbesserung Stück für Stück erreichen.
Nun gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, was gerecht ist.
Jahrgang 1959, ist Philosoph und Professor an der Freien Universität Berlin. Seine Schwerpunkte sind Gerechtigkeit, Gleichheit, Demokratie, Moral und Ethik. Er ist Kodirektor der Kolleg-Forschungsgruppe Justitia Amplificate („Erweiterte Gerechtigkeit – konkret und global“).
In der Gerechtigkeitstheorie begeben wir uns hinter den Schleier des Nichtwissens. Wir fragen uns: Wie würden wir die Welt einrichten, wenn wir nicht wüssten, welche Rolle wir darin einnehmen? Dann kann ich nicht parteiisch gegenüber einer bestimmten Klasse, einem Geschlecht oder einer Position sein, weil ich mich selbst darin wiederfinden könnte. So kommen wir zu einer unparteilichen Vorstellung einer gerechten Gesellschaft, die weitgehend anschlussfähig ist.
Sie hätten eine konkrete Vorstellung, was zu einer gerechteren Gesellschaft führen würde. Welche?
Erbschaft gehört abgeschafft. Es ist eine ungerechte Lotterie, weil es der pure Zufall ist, ob ich reiche Eltern hatte oder nicht. Erbschaften verletzen wesentlich die Chancengleichheit. Auch wenn man in Deutschland meistens erst ab 50 bis 60 erbt und die Berufslaufbahn da eigentlich schon gelaufen ist, sind Erbschaften Chancen, weil sie ja wissen, dass sie ein Sicherheitsnetz haben oder schon vorher davon profitieren.
Wenn jemand in der Schule, der Universität oder der Ausbildung bessere Karten hat, weil er reiche Eltern hat, gilt das als ungerecht. Das ist gesellschaftlicher Konsens. Alle sollten die gleichen Startchancen haben, damit wir eine fairere Gesellschaft bekommen. Um Chancengleichheit herzustellen, sollten wir den ganz Reichen etwas wegnehmen, um es den ganz Armen zu geben.
Tatsächlich wäre viel zu holen: Jährlich werden circa 400 Milliarden Euro vererbt. Die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer lagen 2021 nur bei 9,8 Mrd. Das ist nur ein winziger Bruchteil der 814,9 Milliarden Euro jährlichen Steuereinnahmen in Deutschland.
Wir besteuern in Deutschland Erbschaften viel zu wenig. Der Fiskus verdient fast nichts an Erbschaften, obwohl sie rund 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen.
Trotzdem traut sich da niemand so richtig ran. Warum setzen sich selbst vorgeblich auf Gerechtigkeit ausgerichtete nominal eher linke Parteien nicht ernsthaft für höhere Erbschaftssteuern ein, selbst wenn es in ihren Programmen steht?
Die frustrierende Antwort ist: Die eigenen Wähler goutieren das nicht. Die Parteien haben Angst vor ihren eigenen Wählerinnen. Umfragen belegen, dass die Erhöhung der Erbschaftssteuer unpopulär ist. Dabei gibt es gerade in Deutschland noch sehr hohe Freibeträge für Vererbung an die Kinder. Oma ihr klein Häuschen, wie man so schön sagt, lag immer im Freibetrag. Das war auch immer von der Sozialdemokratie gewollt.
Ich wäre bereit, da politisch mitzugehen. Erstens sehe ich den emotionalen Punkt: Wenn es das Elternhaus ist, in dem man groß geworden ist. Zweitens würde es politisch noch schwieriger, wenn man allen die Familienhäuser wegnimmt. Wenn man es dabei beließe und alles darüber besteuert, versteht man nicht so ganz, warum Leute im niedrigen Einkommenssektor etwas gegen die Erbschaftssteuer haben. Sie wären davon nicht betroffen, sind aber trotzdem gegen Steuererhöhungen.
Ist es ein Aufklärungsdefizit oder wie erklären Sie sich das?
Entweder das oder sie denken, sie könnten mal einen Lottogewinn machen oder reich werden und das soll dann ein paar Jahre halten. Es gibt aber nicht allzu viele Untersuchungen dazu. In einer der wenigen Studien haben Befragte in Interviews zunächst gesagt, sie seien gegen die Erhöhung der Erbschaftssteuer. Als ihnen jedoch erklärt wurde, wie hoch die Freibeträge sind, haben sie ihre Meinung geändert.
Sie hingegen wollen das Erben gleich ganz abschaffen. Wie wollen Sie das denn jemandem erklären, der schon Angst um Oma ihr Häuschen hat?
Klar, meine These klingt erst mal radikal. Aber die Idee ist nicht, die Erbschaft für alle abzuschaffen, sondern allen ein Erbe zu geben. Ich will nicht alle runterziehen, sondern alle raufziehen. Wenn jemand aus einem blöden Zufall heraus auf einem Auge blind ist, kann man natürlich nicht fordern, dass ich mir auch ein Auge aussteche. Die Idee muss sein, den Einäugigen in die Lage zu versetzen, dass er auch mit einem Auge gut zurechtkommt.
Politisch gesehen ist die Lösung: Oma ihr klein Häuschen für alle. Man müsste eine hohe Erbschaftssteuer von 100 Prozent dafür nutzen, viel breiter auszuschütten.
Toll! Bekomme ich dann bei 400 Milliarden pro Jahr jährlich 5.000 Euro extra oder kann ich die ganze Kohle direkt nach meinem Schulabschluss auf einer Weltreise verballern?
Ich finde nicht, dass man alles bar auf die Kralle kriegen sollte. Ein bisschen meinetwegen – über Details kann man ja debattieren. Aber bei Vorschlägen wie 20.000 Euro für jeden ab 18 Jahren bin ich skeptisch aus verschiedenen Gründen. 18 Jahre erscheint mir viel zu früh. Dann kaufen sie sich einen alten Porsche und bleiben am nächsten Baum in Brandenburg hängen. Das kann nicht Sinn der Sache sein.
Wenn Chancengleichheit das Ziel ist, muss es eine strukturelle Investition in die Zukunft sein: In Schulen, Hochschulen und die Gesundheitsvorsorge. Eigentlich gehört das Geld in soziale Infrastruktur, weil das den Ärmsten besser zu Chancen verhilft. Die öffentlichen Institutionen müssen dazu führen, dass alle einen guten Start ins Leben haben können. Dann ist es auch eine langfristige Investition.
Was bedeutet für Sie Eigentum?
Es heißt, dass ich andere von Gütern oder Boden ausschließen darf. Eigentum muss begründet werden. Die Standardrechtfertigung dafür ist, dass es zu meiner Freiheit beiträgt. Ich brauche Eigentum, um frei zu sein. Arme haben aber zumindest von ihrer Freiheit viel weniger als Reiche, weil sie nicht die Ressourcen haben, ihre Freiheit zu nutzen. In der liberalen Demokratie gilt aber nicht nur Freiheit für alle, sondern auch Gleichheit. Eigentum als Mittel zur Freiheit soll zumindest gleich verteilt sein.
Es ist genau wie in der Coronapandemie: Meine Freiheit endet da, wo ich die Gesundheit des anderen gefährde. Mein Eigentum endet da, wo ich die Freiheit anderer gefährde. Demnach darf es nicht zu große Vermögen geben, weil diese die Freiheiten anderer einschränken können. Aus der Gleichheit ergeben sich sofort Grenzen von Eigentum.
Wann endet Eigentum?
Meine sehr radikale These ist: mit dem Tod. Wenn Eigentum meine Freiheit bedeutet und nach dem Tod meine Freiheit verschwindet – im Himmel brauche ich keine Freiheitsrechte –, brauche ich auch keine Mittel mehr. Richtig ausbuchstabiert, ergibt sich aus Freiheit und Gleichheit also, dass alle Eigentumstitel nach dem Tod wegfallen.
Gab es einen derartig tiefgreifenden Einschnitt überhaupt schon einmal?
Das Vorbild ist die Französische Revolution. Dort wurde am Anfang übrigens auch die Abschaffung des Erbes diskutiert. Das ist dann aber nicht umgesetzt worden. Was aber immerhin kam, war die Abschaffung der dynastischen Erbfolge von Macht. In ähnlicher Weise kann man hoffen, dass wir irgendwann auch die finanzielle Herrschaft abschaffen werden. Vielleicht ist das der größere Schritt, aber der erste war gegen 2.000 Jahre Geschichte auch ein großer Schritt.
Hängt das eine nicht auch mit dem anderen zusammen?
Ja, beides ist häufig gekoppelt: Wenn man die Vererbung von mittelständischen Betrieben oder Familienunternehmen nimmt, stellen die in kleinen Dörfern oder Gemeinschaften natürlich Machtfaktoren dar. Hier wird also im Prinzip Macht doch noch vererbt. Dass das hart verteidigt wird, müsste einem eigentlich zu denken geben als guter Demokrat.
Inwiefern untergräbt das Erben am Ende die Demokratie?
Es gefährdet einerseits den politischen Zusammenhalt, weil vererbte ökonomische Macht sich natürlich leicht in politische Macht übersetzen lässt. Und es bedroht den sozialen Zusammenhalt, weil es ein soziales Kastensystem schafft, wie man es in den USA schon sehen kann. In England und den USA kann man die Erbschaftswelle seit 300 Jahren beobachten, dort gibt es tief verwurzelte Familiendynastien. Die Schere ist schon sehr weit auseinander durch die Aggregierung von Erbschaften.
Eine zu große Ungleichheit gefährdet laut Ökonomen wie Piketty die Volkswirtschaft. Es braucht eine breite Verteilung von Vermögen, sodass viele Leute investieren können und nicht nur ein Segment mit extrem hohen Gewinnen existiert, das allein entscheidet, wo investiert wird.
Wie ist die Lage in Deutschland?
Das Spezifische an Deutschland sind zwei verlorene Weltkriege und hohe Inflation, die nach 1945 zumindest in Westdeutschland als Gleichmacher wirkten. Dennoch hat das Wirtschaftswunder mittlerweile zu einer großen Vermögensungleichheit geführt: Die damals angehäuften Reichtümer werden jetzt an die Babyboomer-Generation vererbt. Bis zur jetzigen Erbschaftswelle waren wir eine noch relativ egalitäre Gesellschaft. Diese Welle müssten wir jetzt eigentlich brechen – wobei wir sind schon ein bisschen zu spät dran sind.
Wie ist die Situation in Ostdeutschland?
Im Osten ist die Situation noch einmal anders, weil es vor 1990 keine großen Individualvermögen und deshalb auch nichts zu vererben gab. Ein weiterer ungerechter Zufallsfaktor: Ob ich etwas erbe, hängt also nicht nur davon ab, in welche Familie ich geboren werden, sondern auch in welchem politischen System.
Was passiert, wenn wir die jetzige Erbschaftswelle nicht brechen?
Praktisch werden Reiche in exklusiven Quartieren, Vororten oder Villenvierteln leben. Dann gibt es Effekte, wie man sie aus den Gated Communities in den USA oder Südamerika kennt: Die Schulen, Krankenhäuser, Sportmöglichkeiten sind in den Reichenvierteln nicht sehr überraschend besser. Schließlich sind die Lebensbedingungen in verschiedenen Orten des selben Landes ganz unterschiedlich. Ob jemand eine Yacht besitzt, kann einem ja egal sein, aber wenn sich die grundsätzlichen Lebensbedingungen stark unterscheiden, ist das ein großes Problem. Sobald soziale Distinktionsmerkmale dazu führen, dass es eine Hierarchie gibt, fällt die Gesellschaft auseinander.
Man redet immer von Parallelgesellschaften und meint damit die armen Migranten in Kreuzberg. Tatsächlich aber gibt es die Tendenz einer Parallelgesellschaft von Reichen, die in höchstem Maße demokratiefeindlich ist. Wo das endet, sehen wir an gespaltenen Gesellschaften, in denen Single-Issue-Parteien entstehen, die eine verlässliche Demokratie untergraben.
Trotz allem halten sich in der Debatte um die Erbschaftssteuer beharrlich Gegenargumente: Neben dem der Doppelbesteuerung von Einkommen, die ja schon deswegen hinfällig ist, weil jeder Supermarkteinkauf eine Doppelbesteuerung ist, gibt es noch das der Familie als gesellschaftlichen Kitt, die ohne Erben angeblich unterminiert würde. Was sagen Sie dazu?
Die Familie ist eine wichtige Institution der bürgerlichen Gesellschaft, wenn sie denn funktioniert. Aber die wichtigsten Stichpunkte für eine gelungene Familienbande, in der Kinder vermutlich am besten groß werden, sind elterliche Liebe und Fürsorge – und nicht Geld. Es ist völlig unklar, warum Erbschaft zu einer funktionierende Familie gehören soll – im Gegenteil könnte es gerade schädlich sein, wenn Kinder sich nur den Familien verpflichtet fühlen, weil sie Geld erwarten oder Eltern sich das Wohlwollen ihrer Kinder durch Geld erkaufen.
Was ist mit dem vererbten mittelständischen Familienbetrieb, dem viel zitierten Rückgrat der deutschen Wirtschaft?
Volkswirtschaftlich ist es richtig, den Betrieb nach dem Todesfall des Gründers zu erhalten, weil Arbeitsplätze dran hängen. Die Herausforderung ist: Wie vermeiden wir die Nachteile einer Erbschaft – nämlich, dass Machtpositionen und Geld als reiner Zufall vererbt werden – und erhalten den Betrieb trotzdem? Eine Möglichkeit: Erben bekommen das Unternehmen, dürfen es aber nicht verkaufen und so entfällt der finanzielle Anreiz, die Firma nach ein paar Jahren zu kapitalisieren. Dann lässt man sich das häufig bemühte Argument, dass das Unternehmen in Familienhand bleiben soll, einfach schriftlich und verpflichtend geben.
Wie wollen Sie mit vererbten Führungspositionen umgehen?
Man könnte den Manager oder CEO wählen wie in anderen Unternehmen auch. Ebenso ließe sich überlegen, inwieweit der Betrieb sozialisiert wird. Man könnte auch die Belegschaft im Erbschaftsfall beteiligen. Dann hat man eben nicht nur einen Betriebsrat, sondern Anteilseigner, die alle nicht verkaufen dürfen, und zusammen den Geschäftsführer wählen. Wie in einer Genossenschaft.
Was ist mit Kapitalflucht?
Einerseits baue ich darauf, dass bestimmte Familienunternehmen eben stolz sind, hier zu sitzen und eben nicht in China zu produzieren. Andererseits lebt es sich in einer demokratischen Gesellschaft mit einer fairen Grundstruktur besser. Schon jetzt leben Reiche lieber hier, obwohl sie im Prinzip steuerflüchtig werden könnten. Hier gibt es ein gutes Gesundheitssystem, ein gutes Schulsystem, eine sichere Welt, in der sie nicht in Gated Communities mit Maschinengewehren bewacht leben müssen.
Wenn das Erben abgeschafft wird: Arbeitet man ab einem gewissen Vermögen dann überhaupt noch weiter, wenn man weiß, dass man nichts weitergeben kann?
Gute Frage. Gute Frage heißt immer, man hat keine richtige Antwort. Das müsste man empirisch überprüfen. Aber ich wehre mich gegen Leute, die schon jetzt wissen, dass die Leute dann nicht mehr genug arbeiten.
Die reichsten Männer der Welt, es sind ja nur Männer, arbeiten alle weiter, obwohl sie jetzt schon ein Vermögen haben, das sie in Lebzeiten selbst nicht mehr ausgeben können – Macht und Anerkennung ist genauso wichtig wie Einkommen. Bill Gates arbeitet nicht für Geld, sondern für seinen Ruhm. Warren Buffet gibt seinen Enkelkindern auch nur einen kleinen Teil und vergibt den Großteil seines Vermögens philanthropisch. Wenn aber alle mit 40 volkswirtschaftliche die Schippe hinlegen würden, müsste man natürlich sehen, woran das liegt.
Was ist eigentlich mit materiellem Erbe: Also Gegenständen, Hausstand, Möbel, Bilder?
Symbolische Güter würde ich natürlich erlauben. Das Poesiealbum der Oma zum Beispiel. Etwas Persönliches, an dem Erinnerungen hängen.
Und wenn der Ururopa Kaiser Wilhelm II. und das Erbe die Burg Hohenzollern und jede Menge Tafelsilber wäre?
Es muss eine Obergrenze eingeführt werden. Sonst hat jemand gleich Millionen auf dem Konto, weil er alles bei Sotheby’s versteigert hat. Wo man diese Grenze zieht, kann man gesellschaftlich verhandeln. Das wird ein Stück weit willkürlich sein.
Was machen wir mit ansteigenden Immobilienpreisen? Zuletzt ging die Debatte trotz wachsender Ungleichheit in die entgegengesetzte Richtung, weil Häuser auf einmal knapp über dem Freibetrag lagen und Erben empört waren, dass sie darauf steuern zahlen mussten.
Ich war kürzlich in einer Radiosendung im bayerischen Rundfunk. Da argumentierten Anrufer damit, dass es doch ein Zufall sei, dass ihre Immobilie am Ammersee liegt und jetzt 2 Millionen wert ist und sie deswegen jetzt Steuern zahlen müssten. Auch CSU-Chef Söder hat so argumentiert. Aber die Steuern werden von marktgängigen Preis erhoben und die Preise ändern sich eben. Da bin ich ganz Marktwirtschaftler – auch wenn das manche Leute angesichts meiner anderen Thesen überraschend finden. Wenn Oma ihr kleines Häuschen teurer wird, muss man eben die Steuer dafür bezahlen.
Das beliebteste Gegenargument ist ja: Wenn das Haus plötzlich eine Million wert ist und man 500.000 Euro versteuern muss, obwohl das Einkommen dafür nicht ausreicht, müssen sie das Haus verkaufen. Das erscheint vielen Erben ungerecht.
Das wird überdramatisiert. Normalerweise gibt ihnen dafür jede Bank ein Darlehen und das können sie dann über 20 Jahre abbezahlen. Sonst könnte man immer noch entgegenkommen und sagen: Der Staat gibt einen Kredit, der gestundet wird, weil man den Aspekt des symbolischen Gutes ernst nimmt. Da bin ich kompromissbereit. Die Leute sollen nur nicht auf die Idee kommen, dass eine Riesenvilla, in der sie wohnen, ihnen deshalb schon irgendwie qua Erbschaft gehören darf. Das ist schlicht unfair.
Warum diskutieren wir eigentlich so viel über die Vermögenssteuer, wenn die eigentlich im Vergleich zur Erbschaftssteuer pillepalle ist – gerade wenn ein solcher Generationenwechsel wie derzeit ansteht?
Das wird häufig gegeneinander ausgespielt. Es ist aber kein entweder oder. Man sollte beides einführen. Aber die Erbschaftssteuer ist ein besonders guter Punkt, um gegen Ungleichheit anzusetzen. Erben können nicht weglaufen, weil alles notariell abgewickelt werden muss: Man muss ein Erbe gesetzlich geregelt reklamieren. Sobald sie das Wort Vermögenssteuer gesagt haben, ist das Geld schon außer Landes.
Zeigt sich hier beim Erben auch, dass die FDP eine verkappte Reichenpartei ist, weil sie sich ausdauernd gegen Steuer- und Chancengerechtigkeit einsetzt? Die FDP nimmt ja am Ende den Gedanken der Leistungsgesellschaft gar nicht ernst, wenn sie gegen die Erbschaftssteuer ist. Oder muss das nur mal jemand Christian Lindner erklären?
Das würde ich gerne übernehmen! Tatsächlich ist die FDP über diese Frage gespalten. Ich bin von Teilen der FDP schon häufiger angefragt worden, weil das Erbe der Leistungsgesellschaft widerspricht und nicht wenige meine Forderung richtig finden. Diese Kräfte kommen in der Partei aber politisch nicht durch. Wie die FDP diese kognitive Dissonanz aushält, ist mir nicht klar. Wenn man den Verdienstgedanken und Leistung politisch hochhält, kann man nicht sagen: Erbschaft ist okay.
Was löst es bei Ihnen aus, wenn CDU-Chef Friedrich Merz höhere Freibeträge fordert?
Es ist eine politische Frage, wo diese künstliche Kappungsgrenze angesetzt wird. Die vielen negativen Effekte für demokratische, relationale und ökonomische Gleichheit setzen ohnehin erst ab hohen Vermögen ein – deswegen kann der Freibetrag von mir aus auch relativ hoch sein.
Sagen Sie doch mal eine Zahl!
Ich finde 500.000 Euro ganz okay. Von mir aus auch 600.000, wenn die Immobilienpreise jetzt so stark gestiegen sind.
Klingt viel.
Beim Kampf über die Freibetragsgrenzen befindet man sich im falschen Schützengraben. Wichtig ist es, die Steuersätze für die Beträge darüber progressiv zu erhöhen: Wenn das Haus eben 501.000 Euro kostet, muss man für die 1.000 darüber natürlich noch nicht gleich den vollen Steuersatz zahlen, sondern klein anfangen – dann aber nachher richtig hochgehen. Wir brauchen eine steile progressive Besteuerung über einen auszuhandelnden, meinetwegen auch relativ hohen Freibetrag. Das wäre die echte Transformation in Deutschland, die viel ändern würde. Die Höhe der Freibeträge nicht – außer dem politischen Widerstand.
Um mal indiskret zu werden: Wie ist es denn bei Ihnen? Wollen Sie das Haus ihrer Eltern nicht erben?
Lassen sie es mich diplomatisch so sagen. Ich bin ein Bevorzugter, und genau deshalb engagiere ich mich für das Thema. Erbschaften sind eine offensichtliche Ungerechtigkeit.
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