Polizeigewalt in Nordrhein-Westfalen: Ganz schön hart
In NRW will die Landesregierung von CDU-Chef Armin Laschet das Versammlungsgesetz verschärfen. Gegen Kritik ging die Polizei am Samstag brutal vor.
Demo-Sanitäter:innen zählten etwa 100 Verletzte, vor allem durch Schlagstöcke und Pfefferspray der Polizeibeamt:innen. Videos im Internet zeigen, wie Teilnehmer:innen von der Polizei bis in Tiefgaragen verfolgt und dort zu Boden gebracht wurden. Eingekesselte hatten bei Temperaturen von bis zu 30 Grad offenbar über Stunden keinen Zugang zu Wasser.
Attackiert wurden auch Journalist:innen: Ein Fotograf der dpa berichtete, ein Polizeibeamter habe ihn mehrfach mit einem Schlagstock geprügelt. Mindestens ein weiterer Pressevertreter sei ebenfalls angegriffen worden. dpa-Chefredakteur Sven Gösmann sprach von einem „nicht hinnehmbaren Angriff auf die Pressefreiheit“.
Die Demo, zu der mehr als 80 Organisationen von Fridays for Future über Jusos bis hin zu Erwerbslosen-Initiativen aufgerufen hatten, richtete sich gegen den Entwurf eines verschärften Landesversammlungsgesetzes. Das von CDU-Innenminister Herbert Reul vorgelegte Papier sieht unter anderem mehr Videoüberwachung sowie ein strafbewehrtes Vermummungsverbot vor. Zum Vergleich: selbst im CSU-regierten Bayern gelten Verstöße dagegen nur als Ordnungswidrigkeit.
Klausel gegen Overalls
Mit einem sogenannten „Militanzverbot“ soll untersagt werden, durch das Tragen von „Uniformen oder uniformähnlichen Kleidungsstücken“ Gewaltbereitschaft zu signalisieren und einschüchternd zu wirken. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnt aber, dass damit nicht nur Aufzüge von Rechtsextremen, sondern auch Proteste etwa von Belegschaften in einheitlicher Arbeitskleidung untersagt werden könnten.
Auch Fußballfans in Vereinstrikots fürchten um ihre Demonstrationsfreiheit – ebenso wie Klimaschützer:innen. In der Gesetzesbegründung werden weiße „gleichfarbige Overalls“ (wie bei den Garzweiler-Demonstrationen im Sommer 2019) mit den „Springerstiefeln und Bomberjacken“ von Neonazis gleichgesetzt.
Mit den Stimmen von CDU und FDP will Reul das Gesetz nach der Sommerpause durch den Landtag bringen. Nach der Polizeigewalt vom Samstag sieht sich der Innenminister von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet allerdings mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Reul müsse „die Verantwortung für den völlig überzogenen Polizeieinsatz übernehmen und zurücktreten“, fordert nicht nur Peter Bastian vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen. Auch der innenpolitische Sprecher der NRW-Linken, Amid Rabieh, sagte der taz, Reuls Abgang sei überfällig.
Reul selbst wollte sich zu dem Einsatz nicht äußern. SPD und Grüne werden die Polizeigewalt deshalb in Aktuellen Stunden des Landtags zum Thema machen. „Wir verlangen lückenlose Aufklärung“, so SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“