Neues Versammlungsgesetz in NRW: Schärfer als in Bayern
Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen plant Restriktionen beim Versammlungsrecht. Für Samstag ruft ein breites Bündnis zum Protest auf.
„Wir hoffen auf 10.000 Teilnehmer:innen“, sagte Michèle Winkler, Sprecherin des Bündnisses „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“, der taz. Der Gesetzesvorlage steht seit Monaten in der Kritik etwa von Gewerkschafter:innen, Klimaaktivist:innen, Umweltschützer:innen – und der Landtagsopposition von Grünen und SPD.
Das vom Innenministerium des Christdemokraten Herbert Reul verantwortete Papier stehe „nicht im Zeichen der Versammlungsfreiheit“, sondern sehe „in Versammlungen eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit“, kritisiert die Innenexpertin und Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Verena Schäffer.
Zwar begrüßen Grüne und SPD grundsätzlich, dass Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland ein eigenes Versammlungsgesetz erhalten soll. Möglich ist das bereits seit der Föderalismusreform von 2006. „Der Entwurf von CDU und FDP aber ist viel zu restriktiv“, sagt SPD-Fraktionsvize Sven Wolf.
Sind Fußballtrikots Uniformen?
Konkret sieht das Papier eine verschärfte Videoüberwachung und ein strafbewehrtes Vermummungsverbot vor – dabei gelten Verstöße dagegen selbst im CSU-regierten Bayern als Ordnungswidrigkeit. In NRW soll dagegen Versammlungsteilnehmer:innen sogar verboten werden, Dinge auch nur bei zu haben, die nach Ansicht der Polizei zur „Identitätsverschleierung“ geeignet sein könnten.
Vorgesehen ist auch ein „Militanzverbot“: Untersagt werden soll, durch das Tragen von „Uniformen oder uniformähnlichen Kleidungsstücken“ Gewaltbereitschaft zu signalisieren und einschüchternd zu wirken. Hardliner Reul hat damit Neonazis, aber ausdrücklich auch den Schwarzen Block der Antifa im Blick.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnt aber, dass damit Proteste etwa von Belegschaften im einheitlicher und damit „uniformer“ Arbeitskleidung untersagt werden könnten. Selbst Fußballfans fürchten um ihr Recht, sich in Vereinsfarben versammeln zu dürfen.
Im Visier des Innenministers sind aber auch Klimaaktivist:innen, etwa bei ihren Besetzungen von Braunkohle-Tagebauen: Ihre weißen „gleichfarbigen Overalls (wie bei den Garzweiler-Demonstrationen im Sommer 2019)“ werden in der Gesetzesbegründung unmittelbar vor „Rechtsextremisten“ mit „Springerstiefeln und Bomberjacken“ genannt. „Historisch mehr als fragwürdig“ seien solche Vergleiche, kritisiert die grüne Co-Fraktionschefin Schäffer: „Die Klimabewegung wird dabei kriminalisiert.“
Auch Gegendemos im Visier
Überhaupt sollen Demonstrationen nicht mehr mündlich oder telefonisch angekündigt werden können. Stattdessen soll die Anmeldung elektronisch oder zur Niederschrift erfolgen, aber bitte nicht an Wochenenden. Anmeldefristen werden damit von aktuell zwei auf bis zu vier Tage verlängert.
Und Namen und Adressen von Demo-Ordner:innen sollen laut Willen von CDU und FDP frühzeitig gemeldet werden, wenn die Polizei auch nur vermutet, dass von einer Demo eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ ausgehen könnte.
Das in Paragraf 7 des Entwurfs vorgesehene „Störungsverbot“ könnte stattdessen zum Schutz etwa von Neonazi-Aufmäschen dienen. Denn als „Störung“ versteht Laschets schwarz-gelbe Koalition nicht nur Lärm, Protest oder laute Musik, sondern laut Gesetzesbegründung bereits die „gezielte Anmeldung einer Gegenveranstaltung für dieselbe Zeit und denselben Ort“.
Mehr noch: Verboten werden soll schon die „Förderung“ solcher Störungen – schon das Einüben einer Demo-Blockade wäre damit untersagt. „Ein solches Verbot von Blockadetrainings ist bundesweit einmalig“, sagt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Jasper Prigge, ehemals innenpolitischer Sprecher der Linkspartei in NRW. „In der Gesamtschau geht es um das restriktivste Versammlungsgesetz aller Bundesländer“, so der Jurist zur taz.
Über 80 Organisation protestieren
„Es kann nicht sein, dass bei Neonazi-Aufmärschen aus Protest keine Kirchenglocken mehr läuten, dass Belegschaften nicht im Blaumann demonstrieren dürfen“, sagt auch SPD-Fraktionsvize Wolf – die Sozialdemokraten haben deshalb einen eigenen, liberaleren Gesetzentwurf vorgelegt.
Auf die Großdemo in Düsseldorf am Samstag hofft dagegen Michèle Winkler, Vertreterin des Bündnisses „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“. Das besteht mittlerweile aus über 80 Organisationen, bringt Umweltschützer:innen von Fridays for Future und ausgeCO2hlt mit Jusos, und Grüner Jugend, aber auch mit Erwerbslosen-Initiativen und Anti-Rasisst:innen zusammen.
„Wer die Versammlungsfreiheit schützen will, muss zu unserer Demo kommen“, sagt Winkler. „Eines der wichtigsten Beteiligungsrechte unserer Demokratie soll ausgehöhlt werden.“
Alle Demo-Infos: https://www.nrw-versammlungsgesetz-stoppen.de/
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen