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Antisemitismus-Streit der LinkenFeigheit vor dem Freund

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Skandalös ist nicht die Antisemitismus-Definition der Linkspartei. Skandalös ist eine hasenfüßige deutsche Politik gegenüber Israel.

Was wir brauchen: eine sachliche Debatte um Antisemitismus in Deutschland und die Frage, welche Kritik an Israel legitim ist Foto: Michael Eichhammer/imago

D ie Linkspartei hat ein Steinchen ins Wasser geworfen – und eine Empörungswelle ausgelöst. Die GenossInnen haben sich gegen die gängige IHRA-Antisemitismus-Definition gewandt. Die würde, so die nachvollziehbare Kritik, die Trennlinie zwischen der Kritik an Israel und Antisemitismus verwischen. Daher will die Linkspartei sich lieber an die „Jerusalemer Erklärung“ halten, die diese Grenze deutlicher markiert. Der Antisemitismusvorwurf wird oft benutzt, um die Kritik an der rechten Regierung in Israel in eine dubiose Ecke zu rücken. Die Linkspartei thematisiert damit zu Recht die enger werdenden Grenzen des Sagbaren.

Wenig weitsichtig wirkt die Reaktion des Zentralrats der Juden: Die Linkspartei verschweige Antisemitismus und befördere den Hass auf Israel. Das ist überzogen. Die Jerusalemer Erklärung wurde von anerkannten liberalen, teil israelischen Intellektuellen verfasst. Sie in die Ecke des Antisemitismus zu rücken, erinnert an die Strategie der israelischen Rechten.

Die nutzen den Antisemitismusvorwurf als eine Art Superwaffe. Die rhetorische Eskalation um den Linkspartei-Beschluss erschwert, was wir brauchen: eine sachliche Debatte um Antisemitismus in Deutschland und die Frage, welche Kritik an Israel legitim ist – und welche nicht.

Dazu gehört auch die Frage: Welche Kritik ist nötig? Welche zu zaghaft? Frank-Walter Steinmeier lobt beim Treffen mit Israels Präsident Jitzchak Herzog Israel als rechtsstaatliche liberale Demokratie, die sich gegen den islamistischen Terror wehren müsse. Steinmeier merkt nebenbei an, dass Hilfslieferungen nach Gaza zu erlauben wünschenswert wäre. Und mahnt unverbindlich einen Waffenstillstand an.

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Diese eingeübte deutsche Sprechweise ist doppelt unangemessen. Im Angesichts des Schreckens des Gazakrieges reicht es nicht, pflichtschuldig in einen Halbsatz das Leid der Zivilisten zu erwähnen.

Das ist, wenn man politische Moral reklamiert, einfach zu wenig. Zudem wird Steinmeier am Dienstag Benjamin Netanjahu lächelnd die Hand drücken. Dabei nebenbei die Einhaltung der Menschenrechte zu erwähnen, wird auf die rechte Regierung in Israel wenig Eindruck machen. Die reagiert, wenn überhaupt, auf Druck. Die Instrumente dafür sind bekannt: ein Stopp der Waffenlieferungen und die diplomatische Anerkennung Palästinas. Das aber ist von der deutschen Politik nicht zu erwarten.

Skandalös ist nicht, dass die Linkspartei sich diese Definition zu eigen macht. Skandalös ist eine hasenfüßige deutsche Politik, die lieber Fototermine macht, als Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen, dass Israel Kriegsverbrechen begeht.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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11 Kommentare

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  • Paula , Moderatorin

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion vorübergehend geschlossen.

  • Auch meine volle Zustimmung. Vielen Dank für den Artikel!

  • Vielen Dank für den Kommentar - Zustimmung.

  • Es ist offensichtlich unmöglich, Kritik an der katastrophal-destruktiven rechten Regierung Israels zu üben. Netanjahu hat bezeichnenderweise den Haftbefehl des IStGH als Akt des Antisemitismus bezeichnet. Ein echter Freund Israel würde die Regierung Natanjahu als das bezeichnen was sie ist: eine Geißel Israels, die Teil des Problems und nicht Teil der Lösung ist. Natürlich OHNE die andere Seite (Hamas, Hisbollah, Iran, Huthis) zu unterschlagen. Allerdings ist das Thema derart emotional aufgeladen, dass differenzierte Stimmen kaum noch durchdringen.



    Die deutsche Regierung leistet hier mit Sicherheit keinen sinnvollen Beitrag, sowohl die alte als auch die neue.

  • Danke für die Einordnung.

    Frieden beginnt mit Gerechtigkeit



    Es kann keinen Frieden geben ohne Gerechtigkeit. Keine Sicherheit ohne Menschenrechte. Kein Miteinander ohne Anerkennung des Anderen als gleichwertigen Menschen. Diese Grundsätze gelten universell – oder sie gelten nicht. Die Situation in Gaza ist keine ferne Krise, sie ist ein Prüfstein für unser eigenes Werteverständnis. Unsere Reaktion auf dieses Leid zeigt, was uns unsere Prinzipien wirklich wert sind.



    Die Geschichte wird auch auf Deutschland schauen. Nicht nur darauf, was es in der Vergangenheit getan hat – sondern auch darauf, was es in der Gegenwart unterlassen hat.

  • Antisemitismus ist immer falsch und muss immer bekämpft werden.



    Kritik an Israel, genau genommen an Israels politische Führung aber ist völlig angebracht.



    Die Kunst ist es, beides argumentativ nicht miteinander zu vermischen. Das gilt auch für die Gegner der aktuellen Politik von Netanjahu, die sind nicht per se Antisemiten oder Nazis, weil sie das politische Israel kritisieren.



    So sehr ich Israels Kriegseintritt gegen die Hamas verstehe, so sehr kritisiere ich jedoch, wenn unschuldige Kinder und Menschen nun Hunger leiden müssen, weil das politische Israel Menschenunwürdige Maßnahmen als Kampfmittel einsetzt.



    Zur Klarstellung: Diesen Konflikt hat die Hamas begonnen. Sie und ihre Unterstützer zu bekämpfen ist richtig, doch immer mit Augenmaß und nicht zu sehr auf dem Rücken der schwachen Palästinenser. Das ist zur Zeit nicht mehr gegeben, wir wird auch gegen Zivilisten "gekämpft".

  • Die Angst vorm Hingucken!

  • Danke für den Kommentar - volle Zustimmung.

  • Genau so ist es!!! Danke.

  • Danke!

  • Vielen lieben Dank, Stefan, für diesen Kommentar, der mein seit anderthalb Jahren anwachsendes Unbehagen ob der kognitiven Dissonanz deutschen (Regierungs)Handelns auf den Punkt bringt.

    Und in diesem Zusammenhang auch Kudos an die Linke. Oppositionsluft macht offenbar frei.