Anti-Asyl-Plan der Union: Merz' wichtigstes Argument kommt von Wagenknecht
Eine Forderung werde nicht dadurch falsch, dass die AfD ihr zustimme, meinte Sahra Wagenknecht. Friedrich Merz hat sich den Gedanken zu eigen gemacht.
D ie Wagenknecht-Gruppe hat sich am Mittwoch im Bundestag in der Entscheidung über Merz’ Anti-Asyl-Plan enthalten. Kanzlerkandidatin Sahra Wagenknecht kündigte allerdings an, Merz’ Anti-Asyl-Gesetz am Freitag zustimmen zu wollen. Schlüssig war das nicht, aber ein Hinweis darauf, dass Konflikte auch in den straffsten Kadertrüppchen vorkommen und zu eigentümlichem Kompromissverhalten führen können.
Nun sind Wagenknechts Redezeiten im Bundestag etwas zu kurz, um widersprüchliche Entscheidungen zu erläutern. Andererseits ist sie doch eine Pointenkönigin. Ein wenig enttäuscht war ich also, dass ihr in den zwei Minuten, bis die Ermahnungen vom Präsidium einsetzten, nicht viel mehr gelang, als – in der üblichen Reihenfolge – erst Rot-Grün anzugreifen, dann die CDU, und dann natürlich zum Anti-Amerika-Thema zu kommen: Die Kriege der USA in Afghanistan, Irak und Libyen seien schließlich die Fluchtursachen. Die wichtigste Fluchtursache der vergangenen drei Jahre, der Krieg Russlands gegen die Ukraine, dürfte ihr allerdings kaum aus Zeitmangel entfallen sein.
Hätte sie noch eine Minute mehr gehabt, hätte Wagenknecht Friedrich Merz zum Beispiel daran erinnern können, dass er sein wichtigstes Argument zur Schleifung von Brandmauern von ihr übernommen hat: Eine Forderung werde nicht dadurch falsch, dass die AfD ihr zustimme, sagte Wagenknecht schon im Februar 2024 der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Ihr Mitstreiter, der BSW-Abgeordnete Andrej Hunko, führte wenig später aus, dass das BSW sich entsprechend auch vorstellen könne, AfD-Anträgen zuzustimmen, wenn das BSW sie „inhaltlich gut“ fände. Dies also als Hinweis an die Union: Wer das Ja von Rechtsaußen einsammelt, kann ebenso gut Ja zu Rechtsaußen sagen, Gruß vom BSW. In manchen Dingen braucht’s halt Beinfreiheit, und sei es, dass man dann der Demokratie selbst in die Kniekehlen tritt.
2015 saß ich neben Wagenknecht in ihrem Bundestagsbüro auf dem Sofa, um sie fürs Radio zu interviewen. Man sitzt dabei oft eher nebeneinander als sich gegenüber – jedenfalls dann, wenn der Arm mit dem Mikro zu kurz ist, um über den Sofatisch zu reichen. Gerade hatte in einer weiteren spektakulären Wendung des innerlinken Streits Gregor Gysi den Fraktionsvorsitz im Bundestag hingeworfen, Dietmar Bartsch und Wagenknecht würden übernehmen. Es war der Sommer der steil ansteigenden Flüchtlingszahlen, und ich fragte danach. Sahra Wagenknecht rückte noch weiter weg, als sie vorher schon saß, und flüsterte: „Wir können nicht alle aufnehmen.“ Der Satz war genauso leise, dass er nicht mehr sendetauglich war.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Inzwischen hat sich die Linkspartei über diese Frage zerspalten. Während die Restlinke regelrecht befreit wirkt und mit ihrem lebendig-differenzierten Ansatz hoffentlich gute Chancen hat, wieder in den Bundestag zu kommen, rutscht Wagenknecht mit ihren Leuten den Hang rechts hinunter, beinahe noch schneller als gedacht.
Vor einem Jahr, am Holocaust-Gedenktag 2024, hatte das BSW seinen ersten Parteitag. Erste Rednerin war die Ostberliner Publizistin Daniela Dahn, eine insgesamt nachdenkliche Linke ohne Partei, aber mit einer unerklärlichen Schwäche für Wladimir Putin. Dahn sagte: „Von diesem Parteitag geht unmissverständlich das Engagement für Antirassismus und Antifaschismus aus.“
Doch es war sehr wohl ein Missverständnis. Die Behauptung, „etwas Richtiges wird durch Zustimmung von der falschen Seite nicht falsch“, stimmt nur dann, wenn es gerade nicht um Macht geht. Aber wo mit Mehrheiten Gesetze gemacht werden, ist es so falsch, falscher geht es gar nicht mehr.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung