Alice Schwarzer zu Transsexualität: Agenda statt Authentizität
Alice Schwarzer mal wieder: Die selbst ernannte Feministin hat ein Buch über Transsexualität geschrieben – und dabei nicht viel verstanden.
V or einigen Wochen hatte ich die Ehre, die Berliner Uraufführung des Filmes Trans: I got Life mitsamt Talkrunde zu moderieren: Nachmittags im Kino Sputnik, abends im Delphi an der Kantstraße. Jeweils coronagerecht, wohl bemerkt. Aber die Plätze waren nicht nur wegen der pandemiebedingten Einschränkungen schnell ausverkauft. Die 95-minutige Dokumentation von Imogen Kimmel und Doris Metz zog ein tolles Publikum in beide Kinos, und die Protagonist*innen ließen die Zuschauenden, die aus Queers, Allies und Neugierigen bestanden, gleichsam an ihren Sesseln kleben.
Bei der Abendveranstaltung fehlte allerdings eine Kinogängerin, die ihre Karte schon erwartungsvoll erhalten hatte. Es war, wie ihre Sitznachbarin nach dem Screening erklärte, Ella. Ebenjene 40-jährige, aus dem Iran geflüchtete trans* Frau, die sich ein paar Tage zuvor aus Protest tödlich angezündet hatte.
Am Tatort vor dem Kaufhaus am Alex verebbt mittlerweile das aus Blumen und Kerzen bestehende Meer, das Ella galt. Die sichtbaren Wellen der Empörung weichen der Weihnachtsdeko. Mahnwachen fallen weniger häufig aus. Ungeachtet dessen steigt bei mir die Wut an, und zwar auf diejenigen, die glauben, unsere Identität in Frage stellen und unseren Fortschritt verhindern zu müssen. So muss ich Dampf ablassen. Mit meiner jüngsten Diatribe gegen den Komiker Dave Chappelle also ist es nicht getan. Denn auch selbsternannte Feminist*innen zählen zu den vehementen Verfechter*innen der Transphobie.
Ich bin eine trans* Frau und eine Schwarze Feministin. Schwarzer-Feminismus ist aber nichts für mich. Ein Widerspruch? Ich rede über den Alice-Schwarzer-Feminismus. Alice? Who the fuck is Alice?
Ja, die. Sie ist wieder da. Den 1970er Jahren entkommen, wartet sie nun mit einem Tante-Emma-Laden voller Vorurteile auf. Diese stehen in einem pseudowissenschaftlichen Sammelband mit dem Titel Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Das wollen Schwarzer und ihre Mitherausgeberin Chantal Louis erläutern. Ein besonders eklatantes Defizit des Buches: Keine der beiden ist eine trans* Person. Wie soll dann eine echte Streitschrift entstehen? Agenda statt Authentizität. Immerhin beschreiben sie ihr 265 Seiten langes Buch als eine Streitschrift, die „zu einer brisanten und notwendigen Debatte über Transsexualität und Feminismus“ beitragen solle.
Soldat*innen des Patriarchats
Aha. Als gäbe es da noch was zu debattieren. Vielleicht hat Schwarzer es in ihrem Bunker der Binarität nicht mitbekommen – aber Transsexualität und Feminismus gehen Hand in Hand. Allerdings gibt es Steinzeit-Genoss*innen, die nicht damit zurecht kommen: TERFS. Trans- exkludierende radikale Feministinnen, die, wie die Hexen-Dichterin J.K. Rowling, uns die Autonomie über den eigenen Körper, ja über das eigene Leben absprechen. De facto treten TERFs als Soldat*innen des Patriarchats in Erscheinung.
Wir trans* Personen sollen nun den Schwanz einziehen, während Schwarzer und Louis ihr Sackhüpfen aufführen. Sie gebrauchen noch die Diktion aus vergangenen Dekaden, wenn sie über Transitionen „von Mann zu Frau“ bzw. „von Frau zu Mann“ reden, anstatt das Konzept des psycho-sozialen Geschlechts gebührend anzuerkennen. Nicht minder schlimm ist, dass sie allen Ernstes „humanitäres und politisches Bedenken anmelden“, was den „Trend“ der Transitionen betrifft.
Aufklärung wollen sie betreiben, indem sie trans* Personen präsentieren, die ihre Entscheidungen offenbar bereuen: Horrorgeschichten über Hormonbehandlungen. Die beiden Herr-aus-Geberinnen gaukeln zwar Solidarität vor, mit Toleranz hat diese skeptisch dreinblickende Erduldung aber nichts zu tun.
Die sexuelle Belästigung als eigenständiger Straftatbestand wurde 2016 mit dem Paragrafen 177 des Strafgesetzbuchs, nämlich dem Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung endlich eingeführt. Zu den vielen, die dies laut gefordert hatten, zählen übrigens Schwarzer und Louis. Aber ihr Buch zeigt, warum wir als trans* bzw. nonbinäre Personen ein umfassendes Selbstbestimmungsgesetz benötigen. Denn die Antipathien, die wir spüren, werden durch Schmähschriften vermeintlicher Feminist*innen nicht geringer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP