Abtreibungsgesetze in den USA: Hirntote Schwangere zum Weiterleben gezwungen
Im US-Bundesstaat Georgia zwingt das Abtreibungsgesetz die Ärzte, eine hirntote Frau künstlich am Leben zu halten – gegen den Willen der Familie.

Vor mehr als drei Monaten hatte die 30-jährige Krankenschwester und Mutter mehrere Blutgerinsel in ihrem Gehirn, die zunächst unentdeckt blieben. Kurz darauf wurde sie für hirntot erklärt. Aufgrund der strengen Gesetzgebung wird nun ihr Körper faktisch als leblose Hülle weiter künstlich funktionsfähig gehalten, bis der Fötus lebensfähig ist, wie eine perfide Art eines Brutkastens. Derzeit ist sie in der 21. Schwangerschaftswoche. Medienberichten zufolge planen die Ärzte, sie noch bis zu 32. Woche am Leben zu erhalten, sollte der Fötus bis dahin überleben.
Im südlichen Bundesstaat Georgia gilt ein staatliches Abtreibungsverbot nach der sechsten Woche, weil ab dem Zeitpunkt meist ein menschlicher Herzschlag beim Fötus erkennbar ist. Landesweit gilt es als eines der restriktivsten: Denn zu dem Zeitpunkt wissen viele Frauen noch gar nicht, dass sie schwanger sind.
Ausnahmen gibt es unter anderem im Falle eines medizinischen Notfalls. Der Bundesstaat definiert dies als „eine Situation, in der ein Schwangerschaftsabbruch notwendig ist, um den Tod der schwangeren Frau oder die erhebliche und irreversible körperliche Beeinträchtigung einer wichtigen Körperfunktion der schwangeren Frau zu verhindern.“
Smiths Fall liegt in einer rechtlichen Grauzone
Smiths Fall befindet sich jedoch in einer rechtlichen Grauzone. Laut der Mutter der Patientin, April Newkirk, teilten die Ärzte der Familie mit, dass sie aufgrund des Hirntods gesetzlich verpflichtet seien, die lebenserhaltenden Maßnahmen aufrechtzuerhalten, bis der Fötus lebensfähig sei.
Newkirk sagte 11Alive, einem Fernsehsender aus Georgia: „Das ist eine Qual für mich. Ich sehe meine Tochter atmen, aber sie ist nicht da.“ Auch dem Fötus geht es nicht gut. Die Ärzte informierten die Familie, dass sich im Gehirn des Fötus Flüssigkeit gesammelt hat und dass das Kind nach der Geburt möglicherweise weder sehen noch gehen oder sogar überleben könne.
„Diese Entscheidung hätte uns überlassen werden sollen, niemand sollte zu so etwas gezwungen werden“, so Newkirk.
In den USA herrscht derzeit ein Kulturkampf um Abtreibungsrechte. Extreme Fälle wie diese in Georgia zeigen, wie wenig Autonomie Frauen und ungewollt Schwangere oder ihre direkten Angehörigen über ihre Körper und Situation haben, wenn solch strikte Gesetze in Kraft treten.
Rechtlicher Flickenteppich USA
Das Verbot in Georgia basiert auf dem sogenannten Herzschlag-Gesetz, das 2019 verabschiedet wurde und nach der Aufhebung des Grundsatzurteils Roe v. Wade im Juni 2022 in Kraft trat. Seit der Aufhebung dieses Grundsatzurteils können US-Bundesstaaten selbst über Abtreibungsrechte entscheiden. Diese Entscheidung hat zu einem rechtlichen Flickenteppich im ganzen Land geführt.
Die Situation von Smith erinnert an einen Fall in Texas vor mehr als einem Jahrzehnt, bei dem eine hirntote Frau etwa zwei Monate lang künstlich am Leben erhalten wurde, weil sie schwanger war. Die 33-jährige Marlise Muñoz hatte zuvor geäußert, keine lebenserhaltenden Maßnahmen zu wünschen.
Ein Richter entschied schließlich, dass das Krankenhaus das Gesetz des Bundesstaates falsch ausgelegt hatte, indem es sie gegen den Willen ihrer Familie am Leben hielt. Im Januar 2014 ordnete das Gericht an, die lebenserhaltenden Maßnahmen zu beenden.
Ed Setzler, republikanischer Abgeordnete im Senat des Staates Georgia, der 2019 das Herzschlag-Gesetz eingebracht hatte, sagte laut der Nachrichtenagentur Associated Press, er unterstütze die Auslegung durch das Krankenhaus im Fall Smith.
Was für ein Leben wird das Kind haben?
„Ich halte es für vollkommen angemessen, dass das Krankenhaus tut, was es kann, um das Leben des Kindes zu retten“, sagte Setzler. „Ich denke, es handelt sich um einen ungewöhnlichen Fall, aber er unterstreicht den Wert unschuldigen menschlichen Lebens.“ Die Angehörigen der Frau hätten seiner Auslegung nach „gute Optionen“ – darunter, das Kind selbst aufzuziehen oder zur Adoption freizugeben.
„Wir fragen uns, was das Kind für ein Leben haben wird – und wir werden diejenigen sein, die ihn großziehen“, erklärte Newkirk mit Blick auf die Zukunft. Für die Familie bedeutet das auch großen finanziellen Aufwand. Der Bundesstaat beteiligt sich nicht an den medizinischen Kosten und lässt die Angehörigen mit emotionaler und finanzieller Last allein.
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