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„Urchristen“ auf dem WeihnachtsmarktVegetarisch mit antisemitischem Beigeschmack

„Universelles Leben“ verkauft auf Hamburgs Weihnachtsmärkten vegetarische Pasten. Dahinter steht eine obskure Lehre mit antisemitischen Anteilen.

Achtung, hinter diesem Schild könnte rechtsesoterischer Quatsch lauern! Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

S oll es am Weihnachtsabend Gans geben? Muss es an den Feiertagen überhaupt Fleisch sein? Der Verein „Universelles Leben aller Kulturen weltweit“ (UL) gibt eine klare Antwort: Nein, muss nicht sein. Auch an allen anderen Tagen des Jahres empfehlen die „Urchristen“, durch einen „friedfertigen Landbau ganz ohne Tierleid“ gesund zu leben. In prominenter Lage wirbt der Versand der rechts-autoritären Glaubensgemeinschaft „Lebe gesund“ in Hamburg auf zwei Weihnachtsmärkten für seine Weltschicht und seine Waren.

Im „Lebkuchendorf“ auf dem Hamburger Gänsemarkt bieten Frauen am Stand des Versandes Bio-Brot mit veganem Aufstrich an. Apfel-Chips schmecken Kindern besonders. Eine der Frauen ermutigt, ruhig nochmal zuzugreifen. Nur auf Fragen zum UL ist sie zurückhaltend. „Ich bin nur eine Aushilfe“, wimmelt sie ab.

Keine 400 Meter weiter in der Innenstadt ist eine Frau am Stand von „Lebe gesund“ genauso freundlich, aber auch auskunftsfreudiger. An einem der Eingänge des Weihnachtsmarkts „Weißer Zauber“ auf dem Jungfernstieg steht der Stand der Marke mit den vielen Brotaufstrichen und Gewürzen. „Das sind alles nur Verleumdungen“, erwidert sie. „Wir erleben das seit Jahren – immer wieder.“

Auch auf seiner Webseite schreibt UL von „Verleumdungen“, die sie aber ins Positive wenden: „Jesus von Nazareth wurde von den Pharisäern, Priestern und Schriftgelehrten als Sektierer beschimpft. Warum soll es uns Urchristen, die wir Ihm nachfolgen, anders ergehen?“

Für Witteks An­hän­ge­r*in­nen ist eine Läuterung durch einen inneren Weg möglich – die Aufgabe der individuellen Persönlichkeit sowie den Verzicht auf persönliche Bindungen und materielles Vermögen

Seit 1975 steht die Gemeinschaft in der Kritik, nicht nur seitens der evangelischen Amtskirche. Gründerin Gabriele Wittek glaubte nach dem Tod ihrer Mutter, Stimmen aus einer anderen Welt zu hören. Sie hielt sich für ein „Sprachrohr Gottes“; eine „Posaune Gottes in dieser Zeit“. Christus selbst bringe ihr die Offenbarungen, sie könne so die Bibel „berichtigen und vertiefen“.

Aus dem „Heimholungswerk Jesu Christi“ um Wittek entstand das UL-Netzwerk mit unterschiedlichen Öko-Firmen. Via Internetseite und Fernsehsendern wie „Neu Jerusalem“ werden die Botschaften verbreitet. Der Trägerverein mit Sitz im bayrischen Marktheidenfeld-Altfeld hat nach eigenen Angaben in Deutschland „einige Hundert Mitglieder“. Im fränkischen Esselbach betreibt er eine Privatschule. Weltweit sollen es 32 Vereine sein. Von 10.000 Anhängern ging schon 2010 die „Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauung“ aus.

Wirre Thesen über „die Juden“, „tausendjähriges Reich“

2024 verstarb Wittek mit 91 Jahren. Der Tod der „Prophetin“ führte nicht zu Auflösungsprozessen. Ihre Botschaft, dass eine „Umprogrammierung der Gehirnzellen“ zu einer „Reinigung von allen Prägungen dieser Welt“ und letztlich zur „Erlösung“ führen, verfängt weiter. Witteks Buch „Das ist mein Wort, A und Ω“ ist ihre Bibel.

Nach ihrer Lehre entstünden nach dem „Gesetz von Ursache und Wirkung“ Naturkatastrophen und Krankheiten alleine durch das Fehlverhalten der Menschen. Mit Bluttransfusionen bestünde die Gefahr, negatives Karma mitaufzunehmen. „Die Juden“ verkündete Wittek weiter, würden „seit nahezu 2000 Jahren ernten (…), was sie damals und auch in ihren weiteren Einverleibungen gesät“ hätten.

Für Witteks An­hän­ge­r*in­nen ist eine Läuterung durch einen „inneren Weg“ möglich – die Aufgabe der individuellen Persönlichkeit sowie den Verzicht auf persönliche Bindungen und materielles Vermögen.

Auf der Erde wollen sie ein „tausendjähriges Reich“ bauen. Im Raum Würzburg sind sie besonders aktiv, haben ein Hofgut, erwerben Land, führt Frank Lüdke in einem Online-Vortrag aus. Der Professor der Evangelischen Hochschule Tabor hebt hervor, dass die „materielle Welt“ als Produkt eines „satanischen Falls“ wahrgenommen wird. Die Kirchen erscheinen in diesem Gedankengebäude als Antichristen. Ihre Natur- und Tierschutzbestrebungen verliehen dem UL jedoch ein positives Image, so Lüdke.

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Andreas Speit
Autor
Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).
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14 Kommentare

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  • Basiert nicht jede Religion darauf, dass irgendwer irgendwelche Stimmen gehoert hat?



    Der eine Satz bezueglich Juden ist fuer mich zu wenig, um ein Urteil zu faellen. Ist damit das Judentum als Religion gemeint und die Aussage eine Ablehnung dessen aus fundamental-christlicher Sicht oder ist es allgemeiner Judenhass, der sich gegen jeden Juden richtet? Solang sie sich anstaendig gegenueber juedischen Personen verhalten ist mir ihre Haltung zur juedischen Religion ehrlich gesagt schnuppe.

  • Naja, eine Sekte eben. Nur echt mit dem Spaghettisieb und der Posaune Gottes.

    Konzentrieren wir uns auf den Kampf gegen echten, gefährlichen Antisemitismus und stürzen wir uns nicht auf jede gemütskranke Wanderpredigerin...

  • “… Gründerin Gabriele Wittek glaubte nach dem Tod ihrer Mutter, Stimmen aus einer anderen Welt zu hören. Sie hielt sich für ein „Sprachrohr Gottes“; eine „Posaune Gottes in dieser Zeit“. Christus selbst bringe ihr die Offenbarungen…”



    Abgesehen davon, dass sich obiges für mich wie eine schwere Schizophrenie anhört; dafür, dass im Titel des Artikels antisemitisch, steht, also ein bezeichnendes Merkmal im Informationsgehalt des Inhalts, habe ich praktisch beim Lesen die ganze Zeit darauf gewartet, wo es denn nun um das antisemitische Element geht und wann das kommt. Bis auf diesen einen Satz, nichts! Und auch dieser eine Satz klar, geht er nicht, aber erstens, wenn man es so genau nehmen möchte, dann muss man Kirchen und alle Christen als antisemitisch betrachten, da in der Bibel nun mal die Geschichte mit dem goldenen Kalb usw nicht wegzudiskutieren ist, hier muss man denke ich einfach den Glauben loslösen davon eine Anwendung oder Aktivität feindlicher welcher Art auch immer gegen Juden heraus zu basteln. Alle Texte monotheistischer Religionen sagen dsbzgl nun mal das aus. Aber auch viele andere Dinge gegen unser heutiges Menschenbild/Werte u. sind trotz des Widerspruchs integriert

  • Verbreitung jahrhundertealter antisemitischer Klischees? Oder ist das neuerdings akzeptabel?

  • Ich höre auch oft Stimmen und halte dann inne - aber immer sind es nur meine alten Nachbarn, die die Lautstärke ihres Fernsehers zu hoch gedreht haben.

  • Das ist ja kaum was Neues. Die stehen schon seit Jahrzehnten auf Weihnachtsmärkten in Berlin. Nachdem ich mal einen Aufstrich gekauft hatte, hatte ich hinterher recherchiert, wer die jetzt genau sind. Interessanterweise ist die Verbindung von der „lebe gesund Seite“ zu dem Verein universelles Leben nicht mehr ganz so schnell erkennbar wie früher. Da haben sie anscheinend dazu gelernt. Es ist ein bisschen wie mit der Waldorfszene und deren Produkten. Da muss man als Verbraucher natürlich auch entscheiden, wie viel SelbstAusbeutung der Sektenmitglieder und Ideologisierung man durch den Kauf der Produkte mit finanzieren mag.

  • Aus der Sicht derjenigen, die das Konzept von Karma als Teil ihrer Weltanschauung haben, ist dieses universell und somit wären neben allen anderen Wesen auch Juden davon betroffen. Es verwundert allerdings, warum UL offenbar der Auffassung ist, Juden als Ethnie würden schlechtes Karma ansammeln, was dann wiederum vererbt würde. Das ergibt keinen Sinn, denn die Anzahl der Juden schwankte natürlich im Lauf der Geschichte. Das heißt, die Zahl der Seelen, die als Juden inkarnierten, änderte sich, es waren mal mehr, mal weniger. Daraus folgt, dass Karma, ob schlecht oder gut, auch aus anderen Kontexten mitgebracht werden musste. Offenbar wird dabei auch noch übersehen, dass Ignoranz und Zynismus den Opfern von Gewalt gegenüber auch negatives Karma nach auch ziehen kann.

  • Klingt für mich eins zu eins nach den Zeugen Jehovas

  • Wie wird die Privatschule finanziert und kontrolliert? Die Schulaufsicht (heisst das noch Schulamt?) muss sicherstellen, dass die Qualität der Lehre gewährleistet ist und die Kinder nicht indoktriniert werden. Und das regelmässig überprüfen, nicht nur alle 5 oder 10 Jahre.

  • Klingt nicht nach Spaß, aber vorzuwerfen ist Ihnen augenscheinlich auch nichts oder habe ich etwas übersehen?

    • @Kasimir_Affe:

      Das mit den Juden geht also für Sie problemlos klar? Na dann ist ja alles in bester Ordnung.



      Insgesamt wird es für uns als Gesellschaft wieder Zeit klare Kante gegen diesen religiösen Mummenschanz egal welcher Coleur zu zeigen. Über was für einen Unsinn man inzwischen wieder ernsthaft mit Erwachsenen diskutieren muss, ist ja beinahe beängstigend.

    • @Kasimir_Affe:

      Die Verbreitung judenfeindlicher Lehren z.B., die von den großen Kirchen längst nicht mehr vertreten werden.

    • @Kasimir_Affe:

      Ja, der Antisemitismus wurde übersehen.



      Aber darum helfe ich gerne.

  • Tausendjähriges Reich? Ich gebe ihnen maximal 12 Jahre. Wetten werden angenommen.