„Urchristen“ auf dem Weihnachtsmarkt: Vegetarisch mit antisemitischem Beigeschmack
„Universelles Leben“ verkauft auf Hamburgs Weihnachtsmärkten vegetarische Pasten. Dahinter steht eine obskure Lehre mit antisemitischen Anteilen.
S oll es am Weihnachtsabend Gans geben? Muss es an den Feiertagen überhaupt Fleisch sein? Der Verein „Universelles Leben aller Kulturen weltweit“ (UL) gibt eine klare Antwort: Nein, muss nicht sein. Auch an allen anderen Tagen des Jahres empfehlen die „Urchristen“, durch einen „friedfertigen Landbau ganz ohne Tierleid“ gesund zu leben. In prominenter Lage wirbt der Versand der rechts-autoritären Glaubensgemeinschaft „Lebe gesund“ in Hamburg auf zwei Weihnachtsmärkten für seine Weltschicht und seine Waren.
Im „Lebkuchendorf“ auf dem Hamburger Gänsemarkt bieten Frauen am Stand des Versandes Bio-Brot mit veganem Aufstrich an. Apfel-Chips schmecken Kindern besonders. Eine der Frauen ermutigt, ruhig nochmal zuzugreifen. Nur auf Fragen zum UL ist sie zurückhaltend. „Ich bin nur eine Aushilfe“, wimmelt sie ab.
Keine 400 Meter weiter in der Innenstadt ist eine Frau am Stand von „Lebe gesund“ genauso freundlich, aber auch auskunftsfreudiger. An einem der Eingänge des Weihnachtsmarkts „Weißer Zauber“ auf dem Jungfernstieg steht der Stand der Marke mit den vielen Brotaufstrichen und Gewürzen. „Das sind alles nur Verleumdungen“, erwidert sie. „Wir erleben das seit Jahren – immer wieder.“
Auch auf seiner Webseite schreibt UL von „Verleumdungen“, die sie aber ins Positive wenden: „Jesus von Nazareth wurde von den Pharisäern, Priestern und Schriftgelehrten als Sektierer beschimpft. Warum soll es uns Urchristen, die wir Ihm nachfolgen, anders ergehen?“
Seit 1975 steht die Gemeinschaft in der Kritik, nicht nur seitens der evangelischen Amtskirche. Gründerin Gabriele Wittek glaubte nach dem Tod ihrer Mutter, Stimmen aus einer anderen Welt zu hören. Sie hielt sich für ein „Sprachrohr Gottes“; eine „Posaune Gottes in dieser Zeit“. Christus selbst bringe ihr die Offenbarungen, sie könne so die Bibel „berichtigen und vertiefen“.
Aus dem „Heimholungswerk Jesu Christi“ um Wittek entstand das UL-Netzwerk mit unterschiedlichen Öko-Firmen. Via Internetseite und Fernsehsendern wie „Neu Jerusalem“ werden die Botschaften verbreitet. Der Trägerverein mit Sitz im bayrischen Marktheidenfeld-Altfeld hat nach eigenen Angaben in Deutschland „einige Hundert Mitglieder“. Im fränkischen Esselbach betreibt er eine Privatschule. Weltweit sollen es 32 Vereine sein. Von 10.000 Anhängern ging schon 2010 die „Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauung“ aus.
Wirre Thesen über „die Juden“, „tausendjähriges Reich“
2024 verstarb Wittek mit 91 Jahren. Der Tod der „Prophetin“ führte nicht zu Auflösungsprozessen. Ihre Botschaft, dass eine „Umprogrammierung der Gehirnzellen“ zu einer „Reinigung von allen Prägungen dieser Welt“ und letztlich zur „Erlösung“ führen, verfängt weiter. Witteks Buch „Das ist mein Wort, A und Ω“ ist ihre Bibel.
Nach ihrer Lehre entstünden nach dem „Gesetz von Ursache und Wirkung“ Naturkatastrophen und Krankheiten alleine durch das Fehlverhalten der Menschen. Mit Bluttransfusionen bestünde die Gefahr, negatives Karma mitaufzunehmen. „Die Juden“ verkündete Wittek weiter, würden „seit nahezu 2000 Jahren ernten (…), was sie damals und auch in ihren weiteren Einverleibungen gesät“ hätten.
Für Witteks Anhänger*innen ist eine Läuterung durch einen „inneren Weg“ möglich – die Aufgabe der individuellen Persönlichkeit sowie den Verzicht auf persönliche Bindungen und materielles Vermögen.
Auf der Erde wollen sie ein „tausendjähriges Reich“ bauen. Im Raum Würzburg sind sie besonders aktiv, haben ein Hofgut, erwerben Land, führt Frank Lüdke in einem Online-Vortrag aus. Der Professor der Evangelischen Hochschule Tabor hebt hervor, dass die „materielle Welt“ als Produkt eines „satanischen Falls“ wahrgenommen wird. Die Kirchen erscheinen in diesem Gedankengebäude als Antichristen. Ihre Natur- und Tierschutzbestrebungen verliehen dem UL jedoch ein positives Image, so Lüdke.
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