: Her mit dem schönen Leben!
Die deutsche Wirtschaft schwächelt, die Politik muss sparen. Arme und Wehrlose tragen dafür die Kosten, während sich Reiche ein gutes Leben machen. Zeit, eine Gerechtigkeitsdebatte zu führen
Von Carolina Schwarz
Die Deutschen haben Angst. Vor Konflikten, Kriegen und der Klimakrise. Aber viel mehr noch scheinen sie Angst vor etwas anderem zu haben: Gerechtigkeit. Nur so ist es zu erklären, dass die meisten regelrecht zusammenzucken, wenn sie Wörter hören wie Enteignung, Umverteilung, Erbschaftssteuer. Der schwer erarbeitete Lohn, das kleine geerbte Haus, das über Generationen aufgebaute Familienunternehmen – die Angst, dass einem etwas weggenommen wird, ist verbreitet. Auch unter den vielen, die von diesen Gerechtigkeitsmaßnahmen profitieren würden.
Denn die Realität in Deutschland sieht folgendermaßen aus: Es herrscht eine große Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Vermögen. Die Politik befördert dies aktiv mit einer ständigen Umverteilung von unten nach oben. Einige wenige also machen sich ein schönes Leben auf Kosten der vielen. Das zeigt sich auch aktuell bei den angedrohten Stellenstreichungen in der Industrie und den Haushaltskürzungen in Berlin. Doch anstatt diesen Zustand zu kritisieren, akzeptiert die Masse ihn als Normalzustand. Dabei wäre gerade jetzt – nicht nur angesichts der anstehenden Bundestageswahl – der richtige Zeitpunkt, dieses Normal in Frage zu stellen und eine Gerechtigkeitsdebatte anzustoßen.
Momentan vergeht kaum eine Woche, in der kein Industrieriese Stellenkürzungen im vierstelligen Bereich ankündigt. Bei VW kriselt es schon länger, Ende Oktober kündigte der Autobauer an, mehrere Werke zu schließen und Zehntausende Mitarbeiter_innen zu entlassen. Auch Gehaltserhöhungen und Boni soll es erst einmal keine mehr geben. Nur verständlich angesichts der prekären Lage des Unternehmens, könnte man meinen. Doch wie sind die Radikalkürzungen zu rechtfertigen, wenn der Vorstandsvorsitzende Oliver Blume noch immer der bestbezahlte DAX-Manager des Landes ist? Oder wenn sich die Aktionär_innen im vorigen Geschäftsjahr noch 4,5 Milliarden Euro ausgeschüttet haben, während man mit diesem Geld auch die Werke offen lassen könnte?
Auch bei Ford und dem Industriekonzern Thyssen-Krupp wird die Krise auf dem Rücken der Angestellten ausgetragen. 11.000 Stellen sollen in der Stahlsparte bis 2030 gestrichen werden, eine stabile Dividende will der Konzern in diesem Jahr trotz allem auszahlen. Während die Führungsetagen sich also mit beheizten Koi-Teichen, Superyachten und Villen schmücken, bangen Tausende um ihren Job.
Den Abbau dieser Ungerechtigkeit sollte der Staat bei seiner finanziellen Unterstützung der Unternehmen eigentlich zur Bedingung machen. Doch leider ist Deutschland selbst für eine Politik bekannt, bei der diejenigen bekommen, die eh schon haben, während an denen gespart wird, die sich nicht wehren können.
Das zeigt sich auch beim Thema Wohnen. Was eigentlich ein Grundrecht sein sollte, verkommt immer mehr zum Luxusgut. Gerade in Großstädten werden Mieten immer höher, in Berlin haben sie sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Und obwohl über die Hälfte der deutschen Bevölkerung Mieter_innen sind, wird munter weiter Politik für Vermieter_innen gemacht. Dazu ein paar leere Versprechungen von hunderttausenden Neubauten, die weder umgesetzt werden noch bestehende Mieten senken würden.
Diese Form der Politik kommt auch bei den radikalen Sparplänen der Großen Koalition in Berlin zum Tragen. Denn gespart werden soll vor allem in den Bereichen Soziales, Verkehr und Kultur. Und wer wird hier die Einschnitte am härtesten spüren?
Bus- und Bahnfahrer_innen, die künftig kein 29-Euro-Monatsticket mehr kaufen können, während Autobesitzer_innen weiterhin mit ihren Karosserien quasi kostenlos dauerparken dürfen.
Arme Menschen, für die der Museumssonntag eine Chance war, am kulturellen Leben der Stadt teilzuhaben.
Jugendliche, denen die Räume und Möglichkeiten genommen werden: Jugendclubs müssen schließen, queere Jugendzentren sind in Gefahr, Jugendtheater können kein neues Programm machen, Teile der Schulsozialarbeit und politischen Bildungsarbeit werden gestrichen.
Selbstständige Künstler_innen, die ohnehin prekär arbeiten, müssen noch weniger Aufträge unter sich aufteilen.
Die Folgen dieser Stellenkürzungen und Sparpläne sollten uns Angst machen, nicht die Maßnahmen für mehr Gerechtigkeit.
Denn wäre es nicht ein kleiner Preis, wenn ein paar wenige auf Superyachten und beheizte Koi-Teiche verzichten müssten, damit alle den Zugang zu einem schönen Leben haben?
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