Doris AkrapGeraschel
: Wie viel Freiheit hat Presse- und Meinungsfreiheit?

Foto: privat

Bisher lässt sich über den diesjährigen deutschen Sommer nicht viel meckern. Wettermäßig benimmt er sich zwar wie ein opportunistischer Wechselwähler, politisch aber liefert er ab: verweigert den befürchteten Nationalismusschub durch die Fußball-EM, versorgt US-Berater*innen im Prenzlauer Berg mit jeder Menge Stoff für falsche Prophetie („Das war’s! Diesen Mann kann niemand mehr schlagen“), und der Bundesinnenministerin gibt er den Raum, sich mit Rechtsextremist*innen, Is­la­mis­t*in­nen und Kli­ma­akt­ivis­t*in­nen anzulegen.

Ob in der Auseinandersetzung mit den Rechten die Innenministerin und die Demokratie als Gewinnerinnen vom Platz gehen oder die Truppe rund um Jürgen Elsässer und sein Magazin Compact, ist noch unentschieden.

Die einen feiern das Verbot von Compact mit den Worten Nancy Faesers als einen „Schlag gegen­ den Rechtsextremismus“. Die anderen warnen vor zu früher Freude und kritisieren die dünne Argumentation, mit der das BMI einen eklatanten staatlichen Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit legitimiert habe.

Ich stehe in dieser Frage in der Ecke der Kritiker. Zum einen, weil ich finde, dass man da als Jour­na­lis­t*in sowieso immer besser aufgehoben ist. Zum anderen finde ich zwar auch, dass man besser früher als später drohendes Unheil bekämpft, aber der Eingriff des BMI wirft eine Frage auf, die kaum offen gestellt wird: Hat diese Gesellschaft noch Bock auf die bisher in der Verfassung festgehaltene, sehr weit gehende Definition von Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit in Deutschland? All die Debatten über die Macht der Sprache in den letzten Jahren – die Frage der praktischen Auswirkung von hatespeech, toxischen Wörtern und hetzerischer Rhetorik der Rechten – laufen darauf hinaus.

Ich finde es daher sehr gut, dass die rechtsextremen Kretins Klage gegen das Compact-Verbot eingereicht haben. Denn wie auch immer das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, die Verhandlungen werden eine gute Grundlage bieten, um ausgerechnet im 75. Jubiläumsjahr der bundesrepublikanischen Verfassung darüber zu diskutieren, ob die Presse- und Meinungsfreiheit, wie sie das Grundgesetz bisher garantiert, Segen oder Fluch für eine freiheitliche Gesellschaft ist. Also darüber, wie viel Freiheit in Presse- und Meinungsfreiheit noch stecken soll.

Nancy Faeser aber setzt derzeit wenig auf Argumente, mehr auf Härte. Als wäre dieses Wochenende Einsendeschluss für die Leistungsnachweise ihrer Amtszeit, nahm sie sich am Ende auch noch die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen vor. Flughäfen zu blockieren, so sagte sie, sei „gefährlich, dumm und kriminell“, und drohte, Flughäfen stärker gesetzlich zur Verbesserung der Sicherheit zu verpflichten.

Hier ­erscheinen zwei Kolumnen im Wechsel. Nächste Woche: „Grauzone“ von Erica Zingher

Ich hätte mir diese Woche noch eine weitere beherzte Ansage von der Innenministerin gewünscht. Meine EC-Karte wurde nämlich geklaut, und trotz sofortiger Sperrung wurden mit der Karte tagelang Waren im Wert von über 3.000 Euro gekauft. Wie das geht? Kann mir weder die Bank noch die Polizei erklären. Nur, dass Kartenzahlung ohne PIN, nur mit Unterschrift, auch dann geht, wenn die Karte gesperrt ist.

Sperrung bedeutet nicht Sperrung? Die Auskunft „Ihre Karte ist jetzt gesperrt“ bedeutet also nicht, dass die Karte jetzt gesperrt ist? Und das soll weniger gefährlich, dumm und kriminell sein?

Es ist gut, dass die Rechten gegen das Verbot klagen

Ich wünsche mir eine faesersche Ansage: verschärfte gesetzliche Pflichten zur Sicherheit bei EC-Karten. Geht auch in einem Tweet: „Heute habe ich Banken und Händlern verboten, gesperrte Karten nicht ganz zu sperren. Ab sofort ist die Bezahlung mit Unterschrift nicht mehr möglich.“ Sicher, die Rechten würden die nächste Debatte über die Verbotspolitik der Innenministerin vom Zaun brechen. In diesem Fall aber stünde ich komplett hinter ihr.