Klimaprotest keine kriminelle Vereinigung: Absurder Vorwurf
Die Ermittlungen gegen die Letzte Generation entbehren jeder Grundlage. Ein Berliner Staatsanwalt sieht keine schweren Straftaten.
E s ist ein unhaltbarer Vorwurf: Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt gegen Mitglieder der Letzten Generation wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung; und auch das Landgericht Potsdam erklärte diesen Anfangsverdacht nun erst einmal für rechtmäßig und lehnte eine Beschwerde eines von einer Hausdurchsuchung betroffenen Aktivisten ab. Die Brandenburger Ermittler greifen damit zu dem schwerstmöglichen Vorwurf, der einer Kriminalisierung der Klimaaktivist:innen, vergleichbar etwa mit gewalttätigen Neonazi-Kameradschaften, gleichkommt und schwerwiegende Grundrechtseingriffe ermöglicht.
Sie stellen in den Raum, dass es sich bei den stets friedlichen und symbolischen Aktionen der Letzten Generation um gewichtige Straftaten handele, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Mit der Realität hat das jedoch nichts zu tun, eher mit dem ungesunden Empfinden eines auf Rache für die Störungen trachtenden Mobs.
Wie wohltuend nüchtern und sachlich erscheint dagegen die Einschätzung der Berliner Staatsanwaltschaft. Der zuständige Oberstaatsanwalt Holger Brocke stellte die Vorwürfe schon im Januar vom Kopf auf die Füße. In einem Schreiben, das der taz jetzt bekannt wurde, begründete er auf fünf Seiten, wieso es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung anzusehen sei. Mit dem Brief begründete er einem besorgten Bürger, der eine entsprechende Anzeige gestellt hatte, warum von Ermittlungen hinsichtlich des Vorwurfs abgesehen wird.
Brocke argumentiert darin grundsätzlich, dass die Aktionen „nicht nur durch die verfassungsrechtlich verbürgte Meinungsfreiheit gedeckt sind, sondern sogar im Einklang mit der Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) stehen.“ Ergo: Die Mitglieder der Letzten Generation haben das Bundesverfassungsgericht im Rücken, wenn sie sich gegen den Rechtsbruch der Bundesregierung stellen, die nicht ausreichend für die Reduktion der Treibhausgasemissionen sorgt.
Keine schweren Straftaten
Dass sie dabei Straftaten begehen, steht außer Zweifel. Nur sind diese eben nicht von dieser Schwere und Relevanz, dass sie den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung stützen könnten. Brocke nimmt all jene Vorwürfe auseinander, die die Brandenburger Ermittler zur Grundlage ihrer Ermittlungen gemacht haben: Die Blockade des Flughafens BER, das Abdrehen von Ventilen in der Raffinerie in Schwedt und eine Kartoffelbrei-Attacke im Barberini-Museum in Potsdam.
Brocke würdigt all das, was im öffentlichen Aufschrei stets untergeht. Die Blockade des BER wurde von den Aktivist:innen zuvor bei der Feuerwehr angekündigt, eine konkrete Gefährdung des Flugverkehrs habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Genauso wenig war die Betätigung von Notfallventilen mehrerer Ölleitungen dazu geeignet, „zu nennenswerten Störungen von Anlagen oder Unternehmen“ zu führen. „Die Aktionen dürften den Rahmen eines letztlich symbolischen Charakters nicht überschritten haben“, so Brocke.
Das gilt ebenso für die Attacken auf Kunstwerke in Museen. Zwar sei dort mitunter Sachschaden entstanden und die Rahmen beschädigt worden, die Bilder selbst, die sich hinter einer Glasscheibe befinden, seien aber in keinem Fall beschädigt worden. Nichts spreche zudem dafür, dass die Aktivist:innen dies intendiert hätten.
In dem Schreiben geht es zudem um die gängigste Aktionsform der Letzten Generation, das Blockieren von Straßen, die selbst Brandenburger Ermittlern nicht als Taten einer kriminellen Vereinigung gelten. Diese fallen, so schreibt es Brocke, in den „Anwendungsbereich der Versammlungsfreiheit“ und verlaufen zudem friedlich. Auch beim Ausbremsen des Autoverkehrs auf Autobahnen durch eigene Fahrzeuge „dürfte es sich um ein langsames Ausbremsen gehandelt haben, bei dem keine Verkehrsteilnehmenden (konkret) gefährdet worden sind.“
Diese Woche hat die Berliner Staatsanwalt mitgeteilt, dass sich an ihrer Einschätzung hinsichtlich des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung nichts geändert habe. Wieso auch? Ihre Begründungen sind nicht von der Hand zu weisen.
Wie dagegen die Brandenburger Ermittler das Gegenteil all dessen in einem Hauptsacheverfahren beweisen wollen, bleibt ein Rätsel. Sie werden sich mit ihrem Ermittlungseifer blamieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt