Protestforscher über Letzte Generation: „Ein nachvollziehbarer Plan fehlt“

Die Letzte Generation will Berlin in den nächsten Tagen zum Stillstand bringen. Der Bewegungsforscher Dieter Rucht hält die Blockaden für ungeschickt.

Ein Aktivist in Rückansicht beim Blockieren einer Straße, im Hintergrund wartende Autos und der Brandenburgische Landtag

Die Letzte Generation blockiert, hier am 27. Februar in Potsdam Foto: Jonas Gehring/imago

taz: Die Klima-Protestgruppe Letzte Generation will in den kommenden Tagen die Hauptstadt Berlin mit Straßenblockaden lahmlegen. Nicht nur CSU-Politiker, sondern auch die Grünen und viele Leute, die sich für links oder ökologisch halten, kritisieren das. Handelt es sich dabei nicht um eine ganz normale Aktionsform?

Dieter Rucht: Im Prinzip leistet die Gruppe zivilen Ungehorsam. Dieser hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als Mittel der politischen Auseinandersetzung etabliert und wird von Teilen der Bevölkerung auch akzeptiert. Die Ziele des Klimaschutzes genießen ebenfalls breite Unterstützung – nicht aber die Klebeaktionen der Letzten Generation. Die angekündigten, flächendeckenden Blockaden, die eine ganze Stadt zum Stillstand bringen sollen, würden auch eine neue Größenordnung bedeuten. Dann wäre möglicherweise auch der Zugang zu Krankenhäusern, Schulen oder Unternehmen erschwert. Wobei es zu bezweifeln ist, dass die Aktivistinnen und Aktivisten dazu wirklich in der Lage sind.

Jahrgang 1946, überblickt als Bewegungs­forscher schon jahrzehntelang politische Proteste. Der Soziologe arbeitete am Wissenschaftszentrum Berlin und als Professor an der Freien Universität Berlin.

Sie kritisieren die Gruppe als aktionistisch, ihre Botschaften als inkonsistent. Was meinen Sie genau?

Es besteht die Gefahr, dass sich das Aktionsmoment verselbstständigt, weil es auf hohe Aufmerksamkeit in den Medien zielt. Wenn das Erregen von Aufsehen aber zum Hauptzweck wird, geraten die Überzeugungsprozesse in den Hintergrund. Der Letzten Generation mangelt es an strategischer Überlegung, wie Mehrheiten zu gewinnen sind. Und es fehlt ihr ein nachvollziehbarer Plan mit umsetzbaren Schritten zur Erreichung des Zieles. Wie kann man zum Beispiel die Emissionen von Industrie, Gebäuden und Verkehr verringern, was ist zu tun?

Dafür, dass die Letzte Generation bisher nur ein paar hundert Leute auf die Straße bringt, ist sie jedoch ziemlich berühmt.

Das stimmt, das ist die halbe Miete. Aber auf die Dauer wird man auch daran gemessen, ob man mit Forderungen an die Politik durchkommt.

Gerade wurden hierzulande die letzten drei Atomkraftwerke abgeschaltet. Blockaden von Gleisen, Straßen und Bauplätzen spielten auch eine große Rolle in der langen Geschichte des Anti-Atom-Protests. Haben diese Elemente zu seinem Erfolg beigetragen?

Ja, allerdings handelte es sich bei Blockaden der Anti-AKW-Bewegung um symbolische Aktionen, die das Alltagsleben der Bürgerinnen und Bürger kaum beeinträchtigten. Die Bauplatzbesetzungen etwa in Gorleben tangierten das Gros der Bevölkerung nicht – man sah sie abends in der Tagesschau. Das macht die Letzte Generation jetzt anders. Ihre Aktionen treffen Leute, die zur Arbeit fahren, die in Eile und verständlicherweise erbost sind, wenn sie aufgehalten werden. Das ist ungeschickt. Viele Leute sehen den Zusammenhang zwischen diesen Blockaden und dem Ziel des Klimaschutzes nicht ein.

Mit ihren Aktionen will die Letzte Generation durchsetzen, dass die Bundesregierung „einen Gesellschaftsrat einberuft, der erarbeitet, wie wir die Nutzung fossiler Rohstoffe bis 2030 sozial gerecht beenden“ können. Was soll das sein – ein „Gesellschaftsrat“?

Damit meint die Gruppe ein aus der Bevölkerung ausgelostes Gremium, das Maßnahmen zum Klimaschutz erarbeitet, die die Regierung dann zur Entscheidung in den Bundestag einbringen soll.

Als Wolfgang Schäuble (CDU) Bundestagspräsident war, hat er einen Bürgerrat einberufen, der die deutsche Außenpolitik unterstützen soll. Bald wird nun zum ersten Mal ein solches Gremium beim Bundestag einberufen. Diese Partizipationsform scheint sich zu einem anerkannten Mittel der demokratischen Willensbildung zu entwickeln.

Solche Verfahren beispielsweise auf kommunaler Ebene sind kein Novum. Man sollte aber nicht zu viel von ihnen erwarten. Bürgerräte können beraten, aber keine politischen Entscheidungen treffen.

Die Letzte Generation erhofft sich davon Unterstützung für ihre Forderungen.

Vielleicht hat sie falsche Vorstellungen, wie ein Bürgerrat funktioniert. Es kann sein, dass das Gremium Lösungen vorschlägt, die weit hinter den Zielen der Klimaaktivisten zurückbleiben. Schließlich wird dort, im günstigen Fall, ein Konsens aus sehr unterschiedlichen Meinungen hergestellt. Es können auch Gegner einer engagierten Klimapolitik ausgelost werden, die andere Mitglieder von ihrer Position überzeugen wollen.

Konservative Po­li­ti­ke­r:in­nen und Medien werfen den Ak­ti­vis­t:in­nen „Klima-Terrorismus“ vor. Sie seien eine „Klima-RAF“, nähmen Autofahrer „in Geiselhaft“ und strebten eine „Ökodiktatur“ an. Sind das Reaktionen auf zivilen Ungehorsam, die sich im Rahmen des normalen Spektrums bewegen?

Dass Politiker mit Law-and-Order-Haltung kalkulierte Regelverstöße scharf kritisieren, ist ein Teil des politischen Spiels. Im aktuellen Fall sind die Terrorismus-Vorwürfe abwegig. Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hat sie denn auch zurückgewiesen.

Eine letzte Generation gibt es ja nicht. Jede Generation kann die Welt zum Guten oder Schlechten verändern. Haben harte Kritik und Ablehnung auch mit dem jesushaften Gebaren der Gruppe zu tun?

Der Vergleich mit einer Sekte ist nicht ganz von der Hand zu weisen. In ihren Äußerungen finden sich Erweckungserlebnisse, Endzeiterwartungen und Erlösungshoffnungen. Das dürfte vielen Leuten suspekt sein. Dennoch: Es handelt sich um keine Sekte.

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