KlimaktivistInnen der Letzten Generation: Die Letzte Generation ist zu religiös

Gerade an Ostern fällt auf, wie religiös die Letzte Generation eigentlich ist. Und dass das ein strategisches Problem für die Klimabewegung ist.

Aktivistinnen blockieren sitzend eine Straße in Berlin

Das Leiden der Letzten Generation: hier zu sehen bei einer Straßenblockade in Berlin am 17. Februar Foto: Jonas Gehring/aal.photo/imago

Oh, schon wieder vier Wochen um, neuer Monat, neue Kolumne. Aber worüber? Die Welt hat sich weitergedreht, aber immer nur um sich selbst statt auch mal nach vorne. Während ich verzweifelt nach einem Thema suche, kleben sich AktivistInnen vor dem Hamburger Elbtunnel fest und legen den Verkehr lahm. Danke, denke ich im ersten Moment, Kolumne gerettet. Klimakleber, das regt auf, das zieht immer. Und im zweiten: Scheiße, da muss ich morgen auch durchfahren, auf dem Weg in den Osterurlaub.

Mein letzter Rest Sympathie mit der Letzten Generation ist zuletzt deutlich schneller verschwunden als hartnäckige Kleberreste, und das liegt nicht an meiner persönlichen Betroffenheit. Ich verstehe einfach nicht, warum Linke, die sonst vor einem Kulturkampf von Rechts warnen, wenn Markus Söder mal wieder „Insektenburger“ sagt, tatsächlich glauben, dass sie ein Kulturkampf von Links irgendwie näher an ihr Ziel bringt: das Erreichen der Klimaziele. Nichts anderes ist die Verlagerung eines politischen Konflikts auf den Individualverkehr: Kulturkampf.

Gerade an Ostern fällt mir auf, wie religiös die „Letzte Generation“ eigentlich ist. Und dass das ein strategisches Problem für die Klimabewegung ist.

Es ist nicht nur der Name, der verrät, dass ihre Mitglieder im Konfirmationsunterricht besonders fleißig waren. Es ist die Selbstinszenierung als Märtyrer, die aus der Ablehnung durch die Mehrheit ihre Bestätigung zieht. Beim NDR schreibt ein Pastor, die Letzte Generation stünde „in der Tradition der Bergpredigt Jesu, und der Aufforderung, dem, ‚der dich auf die Wange schlägt, auch die andere darzubieten.‘“

Doomismus lähmt

Nicht nur die Letzte Generation ist quasi-religiös. Große Teile der klimabewegten Bevölkerung übernehmen die Rhetorik der kleinen Gruppe. Gerade haben 240 VertreterInnen diverser Parteien von der Linken bis zur CDU einen offenen Brief an Olaf Scholz geschickt. Auch sie bezeichnen sich als die Letzte Generation, die aufhalten könne, was uns drohe: „der globale Verlust unserer Kontrolle über die menschengemachte Klimakrise.“

Auch, wer die Klimakrise ernst nimmt, darf diese Wortwahl in Frage stellen. Man überzeugt niemanden, indem man den Weltuntergang heraufbeschwört. Dieser Doomismus lähmt, statt zu bewegen. Die Klimakrise ist längst Alltag, sie tötet von Pakistan bis zum Ahrtal. Es ergibt keinen Sinn, von einer Gefahr in der Zukunft zu sprechen, wenn die Krise längst Gegenwart ist.

Jesus nimmt an Ostern die Schuld der Menschheit auf sich, um sie zu erlösen. Und in dieser Geste steckt auch das Problem der Letzten Generation und ihrer Anhänger. Statt die Menschen in ihren Autos zum gemeinsamen Kampf zu bewegen, übernehmen sie als Märtyrer die Last.

Sie nehmen die Wut der Autofahrer auf sich, die in der Mehrheit die Gefahr der Klimakrise längst erkannt haben, aber sich ohnmächtig fühlen, und kämpfen stellvertretend für die Erlösung. Aber das ist nicht empowernd, wie man heute sagt, sondern entlastend.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Jesus, könnte man einwenden, war mit seinem Kulturkampf recht erfolgreich. Klar, erstmal wurde er gekreuzigt. Aber mittelfristig war die Idee mit dem Christentum recht gelungen. Heute laufen der Kirche ihre Mitglieder allerdings in Scharen weg. Vielleicht sollten die AktivistInnen sich neue Vorbilder suchen.

Für die Märtyrer der Letzten Generation habe ich einen Vorschlag: Packt den Sekundenkleber ein, der hält eh nicht so gut wie Nägel. Ruht euch über die Feiertage aus, vielleicht fällt euch eine sinnvollere Aktion ein. Schaut euch „Das Leben des Brian“ an, Humor hilft gegen den Ernst des Lebens. Und lasst mich in den Urlaub fahren. Frohe Ostern!

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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