Vorwürfe von Amnesty gegen die Ukraine: Ein gefundenes Fressen

Kommunikation gehört nicht zu den Stärken von Amnesty International. Die Organisation hätte wissen müssen, wie ihr Bericht aufgenommen wird.

Eine Frau greift sich verzweifelt auf den Kopf. Im Hintergrund zerstörte Gebäude

Eine Frau vor Trümmern in Mykolaiv, August 2022 Foto: Kostiantyn Liberov/ap

Man hätte auf die Folgen vorbereitet sein müssen: Amnesty International (AI) nimmt die Taktik der ukrainischen Armee gegen Russlands Angriffskrieg unter die Lupe und bemängelt, dass die ukrainischen Streitkräfte bei der Verteidigung von Städten auch aus Wohngebieten, aus zivilen Einrichtungen heraus operieren und damit Zivilisten dem russischem Beschuss aussetzen.

Ihre differenzierten Befunde publiziert die Menschenrechtsorganisation unter dem Titel „Kampftaktik der ukrainischen Armee gefährdet Zivilpersonen“. Das russische Staatsmedium RT macht daraus: „Amnesty International deckt Kiews Verstöße gegen Kriegsvölkerrecht auf“, und Putin-Versteher jubeln: Selenski ist ein Kriegsverbrecher, hier ist der Beweis!

Dass Russland die Ukraine angreift und nicht umgekehrt, und dass die Gefahr für ukrainische Zivilisten dadurch entsteht, dass Russland auf zivile Ziele schießt – das fällt unter den Tisch. Vorhersehbar war das, weil im aufgeheizten Klima um den Krieg in der Ukraine für Differenzierung kein Platz ist.

Eine erfahrene Menschenrechtsorganisation wie AI sollte das wissen. Sie müsste antizipieren können, wie die öffentliche Rezeption ihrer Berichte ausfällt. Und sie müsste in der Lage sein, ihre Erkenntnisse so zu publizieren, dass sie nicht in Moskau eine Täter-Opfer-Umkehr ermöglichen und damit in Kiew Empörung provozieren.

Kommunikation ist keine Stärke

Doch nicht zum ersten Mal zeigt sich hier, dass Kommunikation nicht zu den Stärken von AI gehört. Nicht nur das: Der Bericht setzt an manchen Stellen Abwehr mit Angriff gleich, und eine Stellungnahme der Ukraine zu den Vorwürfen wurde wohl angefragt, aber nicht abgewartet.

Die Zehntausenden Toten der Ukraine, von den Hochhäusern von Mariupol und Charkiw bis zu den Straßen und Kellern von Butscha – sie waren nicht Opfer der Taktik der ukrainischen Armee, sondern Opfer der Strategie der russischen Armee. Dies muss eine Menschenrechtsorganisation klar sagen. Gerade auch, wenn sie mögliches Fehlverhalten der ukrainischen Verteidiger untersucht.

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Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

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