Eine Welt ohne Heten: Besser als jede Aspirin

Wie sähe eine Gesellschaft aus, in der sich cis Heten und Queers nicht begegnen würden? Der Stresspegel für Queers wäre deutlich niedriger.

Eine Person mit Sonnenbrille

Die Welt durch getönte Gläser: TeilnehmerIn beim „Marzahn Pride“ im Juli in Berlin Foto: Hannibal Hanschke/Reuters

Auf der Dating-Plattform OkCupid gibt es die Funktion „Don’t want to see/be seen by straight people“. User:innen haben damit die Möglichkeit, mit einem einzigen Häkchen zu deaktivieren, dass ihre Profile für heterosexuelle Personen sichtbar sind – und vice versa.

Parallelgesellschaft per Mausklick sozusagen. Manchmal wünschte ich, es gäbe ein Real-Life-Plugin. Für ein paar Stunden, Tage, Monate oder ein Leben lang unsichtbar für Heten sein und keinen Heten begegnen zu müssen, würde vieles leichter machen. Klar, einige von uns würden ihre Familien nicht mehr sehen, und manche ihrer Freund:innen auch nicht, es gibt schließlich auch okaye bis tolle Heteros. Aber die Mehrheit dieser Demografie fickt einfach den Kopf. Wie würde sie aussehen, gegenseitige Unsichtbarkeit zwischen Queers und cis Heten?

Auf jeden Fall weniger brutal. Einfach in der Öffentlichkeit draufloszuknutschen wäre nicht mehr von der Angst begleitet, im nächsten Moment angegriffen zu werden. Ein Thrill, auf den ich gerne verzichte. Wie könnten Straßen aussehen, auf denen sich Menschen weniger verstellen, verstecken, kleiner machen?

Hinsichtlich der Fashion würden Türen geöffnet: Endlich geile Outfits ballern, ohne als Freak zu gelten, ohne von den falschen Leuten gegeiert zu werden, und ohne die Tränen deiner local Anna-Lena, die sich neben dir langweilig fühlt, als wäre es per Zwangsvorschrift auferlegt, dass sie von Kopf bis Fuß in s.Oliver gekleidet ist. Der Nachteil: Ohne den permanenten Anblick von Typen in Camp David und Frauen in Street One fehlt auf lange Sicht die Inspiration zum Camp.

Dafür gäbe es seltener Missverständnisse wegen Codes. Und bessere Witze. Verloren ginge jedoch einiges an Meme-Material. Zumindest eine ganze Sparte an Comedy bliebe uns erspart. Der Karnevalsauftritt von Annegret Kramp-Karrenbauer wäre keine Referenz mehr. Generell weniger Fasching: Endlich wieder von Partys nach Hause kommen, ohne von Heteros auf der Tanzfläche vollgeglitzert zu werden.

Vielleicht ist das auch ein Wunschdenken, das die Transfeindlichkeit, die Misogynie, den Antisemitismus und den Rassismus unter Queers negiert. Was sich aber auf jeden Fall verbessern könnte: die Kopfschmerzen. Denn laut einer neuen Studie der University of California in San Francisco stellte sich heraus, dass lesbische, schwule und bisexuelle Personen zu 58 Prozent häufiger von Migräne betroffen sind als heterosexuelle. Diskriminierung, Stigmatisierung und Vorurteile, so der Leiter der Studie, erhöhten das Stresslevel. Das wiederum löse Migräne aus. Zusätzliche Marginalisierungen könnten den Schmerzpegel erhöhen – eine Schwarze trans Person kriegt im Vergleich zu einem weißen schwulen cis Mann mehrfach ab.

Worauf sich alle einigen können: Heten ficken einfach den Schädel. In der Bekämpfung der Hetero- und Cisnormativität schlummert also ein Versprechen: das vielleicht effektivste Mittel gegen Kopfschmerzen.

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Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

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