Wissenschaftsfreiheit in Deutschland: Stark-Watzinger muss zurücktreten
Das Bildungsministerium wollte kritischen Wissenschaftlern die Fördermittel streichen: Das ist ein Fall von Machtmissbrauch. Er liegt im autoritären Trend.
M it jedem Tag, den der Krieg in Gaza fortdauert, erscheint die deutsche „Staatsräson“ fragwürdiger. Umso verbissener kämpfen dessen Vertreter darum, sie durchzusetzen, und offenbaren dabei autoritäre und illiberale Neigungen.
Mehrere Uni-Proteste, Protestcamps und ganze Kongresse wurden mit Polizeigewalt aufgelöst. Kritische Künstler, Wissenschaftler und andere Intellektuelle aus dem Ausland wurden ausgeladen oder an der Einreise gehindert, während man hierzulande versucht, sie mit „Antisemitismusklauseln“ und anderen Mitteln auf Linie zu bringen. Deutschland gehe damit viel weiter als die USA, die ebenfalls Israel unterstützen, kritisierte der deutsch-britische Journalist und Deutschland-Experte Hans Kundnani kürzlich in einem vielbeachteten Essay im US-Debatten-Magazin Dissent.
Viele deutsche Wissenschaftler:innen sehen das ähnlich kritisch und sind deshalb besorgt. Einige von ihnen lancierten im Mai einen offenen Brief, in dem sie das Recht auf Protest an ihren Hochschulen verteidigten. Solche Proteste wurden gerade in der Hauptstadt mehrfach durch die Polizei unterbunden und aufgelöst – zuletzt an der Humboldt-Universität zu Berlin. Fast 400 Erstunterzeichner*innen haben den Brief unterschrieben, über 1.000 weitere Wissenschaftler*innen unterstützten ihn mit ihrer Unterschrift. Es ging ihnen darum, Grundrechte zu verteidigen.
Auf dem Boden der Verfassung?
Doch die FDP-Wissenschaftsministerin Stark-Watzinger sah das anders: Sie unterstellte den Unterzeichnern, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen, und setzte sich an die Spitze einer Hetzkampagne der Bild-Zeitung gegen die Wissenschaftler. Das war schon skandalös genug. Nun stellt sich heraus, dass Stark-Watzinger die Wissenschaftler, die den offenen Brief unterschrieben haben, auch noch bestrafen wollte. In ihrem Ministerium ließ sie prüfen, ob man ihnen etwa bereits zugesagte Fördermittel wieder entziehen könnte. Das ist ein klarer Fall von Machtmissbrauch.
Die Fachleute in ihrem Haus wiesen das Ansinnen zurück, das allen Kriterien der Wissenschaftlichkeit Hohn spricht. Doch die Absicht ist klar: Wissenschaftler:innen sollen sich mit politischen Äußerungen zurückhalten, sonst drohen Konsequenzen. Das verbindet diesen Fall mit der Hexenjagd gegen Geraldine Rauch, die junge Präsidentin der Technischen Universität in Berlin.
Die Hochschul-Präsidentin sollte wegen drei „Likes“, von denen nur einer problematisch war, und trotz mehrfacher Entschuldigung zum Rücktritt gedrängt werden. Sagen wir es mal so: Wäre das der Maßstab für Rücktritte, dann hätten schon viele andere vor ihr den Hut nehmen müssen – an erster Stelle Männer wie der ehemalige CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und sämtliche Verkehrsminister der CSU.
Schaden für den Wissenschaftsstandort
All das schadet dem Wissenschaftsstandort Deutschland. Wer glaubt noch, dass das Bildungsministerium seine Fördergelder allein nach wissenschaftlichen Kriterien vergibt? Auch die Ausladung der US-Philosophin Nancy Fraser durch die Universität Köln wurde aus dem Bildungsministerium begrüßt – das war ein fatales Signal. Wie wird es wohl im Ausland gesehen, dass sich Ministerinnen und andere Politiker gemeinsam mit Boulevardmedien so stark in die Belange der Hochschulen einmischen?
Stark-Watzinger sollte zurücktreten, um keinen weiteren Schaden anzurichten. Wer glaubt, dass solche Bestrafungspläne dem Kampf gegen Antisemitismus dienen, ist bestenfalls naiv. Sie ebnen den Weg für eine autoritäre Politik. Die AfD wird sich für diese Ideen bedanken.
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