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Westliche ArroganzEin Fall von Westsplaining

Gastkommentar von Elisa-Maria Hiemer

Belehrend und historisch unsensibel: Was der Krieg in der Ukraine über deutsche Denkweisen verrät.

Luhansk in der Ukraine im April 2022 Foto: Serhii Nuzhnenko/reuters

S ehr angenehme Menschen. Sehr kooperative Behörden“ – so lautete Friedrich Merz’ Urteil über die Ukraine, das er Anfang Mai aus dem Nachtzug auf seiner Reise nach Kiew ­twitterte. Diese Betonung lässt auf das Bild schließen, das der Absender von der Ukraine vor Reiseantritt hatte: das gegenteilige oder wahrscheinlich gar keins. Vielleicht war es auch eine Spitze gegen den ukrainischen Botschafter Melnyk, der im deutschen Diskurs durch seine direkte Wortwahl und Forderungen wahlweise als „untragbar“ oder gar als „Nazi-Versteher“ betitelt wird.

Überhaupt scheinen wir Deutschen gerne Länder verstehen zu wollen. Wussten Sie, dass das Wort „Putin-Versteher“ mittlerweile ins Englische Eingang gefunden hat? Leider scheitern wir allzu oft daran, diesem Wunsch nach Erkenntnis eine gewisse Portion Selbstreflexion angedeihen zu lassen. Wir verlieren uns darin, auf aktuelle Bedrohungen mit einseitigen kulturhistorischen Erklärungen zu reagieren, die letztlich darauf abzielen, die eigene Passivität zu rechtfertigen.

Elisa-Maria Hiemer

ist promovierte Slavistin und Osteuropa­historikerin mit Schwerpunkt Polen. Sie arbeitet am Herder-Institut in Marburg und publiziert zu deutsch-polnischen Rezeptionskontroversen in Literatur und Film, jüdischer Literatur und historischen Familien­planungs­diskursen.

Das funktionierte auch schon in den 1990ern während der Jugoslawienkriege erstaunlich gut: Der politische und intellektuelle Diskurs jener Zeit stellte die Region als brutalen und unzivilisierten Vorhof Europas dar und versuchte so – unbewusst oder nicht – dem Krieg eine kulturhistorische Deutung zu geben. Zwei Konzepte, die damals wie heute benutzt wurden, sind Othering und Westsplaining.

Beides sind nicht nur abstrakte Begriffe, sie wecken vor allem Emotionen bei denen, die damit zum Objekt werden: Othering meint das Beschreiben von Eigenschaften einer Gruppe als andersartig. Die Kategorisierung dient der Aufrechterhaltung der stärkeren Position jener Gruppe, die das Urteil fällt. Sozusagen die kulturtheoretische Erklärung für den moralischen Fingerzeig „Die waren schon immer so“. Wie schnell sich damals die Berichterstattung in Klischees über die „halbbarbarischen“ Völker verlor, zeigt Maria Todorova in ihrem Buch „Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil“.

Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine wird oft von der historischen Verflochtenheit mit Russland gesprochen. Das ist per se nicht falsch, nur wird hierbei oft unhinterfragt das Kalte-Kriegs-Narrativ der Bruderstaaten übernommen und den Nationen eine emotionale Verbundenheit angedichtet, aus der sich für die Staaten des Westens ableitet: Besser nicht eingreifen, die regeln das schon unter sich.

Nach einer friedlichen Kriegslösung zu rufen ist leicht, wenn man selbst in Frieden leben kann

Nach einer friedlichen Kriegslösung zu rufen ist leicht, wenn man selbst in Frieden leben kann. Hier kommt Begriff Nummer zwei, Westsplaining, ins Spiel. „Ihr habt keine Ahnung von Russland“, schrieb der polnische Schriftsteller Szczepan Twardoch zuletzt in der NZZ: Die Länder Mitteleuropas blicken auf eine leidvolle, von Gewalt geprägte Geschichte mit Russland zurück. Polen plädierte schon früh für die aktive Unterstützung der Ukraine – erfolglos. Stattdessen werden hierzulande prorussische Narrative vornehmlich von einer politischen und intellektuellen Generation geschaffen, die von Gorbatschows Politik der Annäherung geprägt wurde. Manche reden sogar vom Krieg „um“ die Ukraine, was die Verhandelbarkeit der ukrainischen Souveränität suggeriert und den „legitimen russischen Ansprüchen“ auf das Territorium gefährlichen Nährboden gibt.

Die deutsche Vergangenheit ist ein Grund, weshalb die deutsche Regierung auf militärische ­Forderungen zurückhaltend reagierte. Aber genau diese Vergangenheit sollte uns auch Anlass geben, unsere Haltung den östlichen Nachbar­staaten gegenüber zu überdenken. Neben der systematischen Zerstörung und Ermordung der jüdischen und polnischen Bevölkerung während des ­Zweiten Weltkriegs trug Deutschland dazu bei, ­Polen für 123 Jahre von der europäischen Landkarte verschwinden zu lassen. Wie muss es sich für Po­l*in­nen anfühlen, heute in Sicherheits­bedenken nicht ernst genommen zu werden? Oder für Ukrainer*innen, wenn deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen mahnen, doch bitte den richtigen Ton zu treffen?

Westsplaining meint also auch die historische Ignoranz, die mit einem Überlegenheitsgefühl einhergeht, moralisch wie politisch das einzig Richtige zu tun. Insbesondere das Verhältnis zu den Visegrád-Staaten Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn ist fragiler denn je. Auf politischer Ebene wird von einer „Gefahr aus der Mitte Europas“ gesprochen oder der mafiös anmutenden „Visegrád Connection“. Ungarns Nähe zu Russland wird selbst von seinem engsten Verbündeten, Polen, scharf kritisiert. Aber wenn im Streit über das Ölembargo die „Tagesschau“ Zugeständnisse von Orbán als „Zähmung des Widerspenstigen“ bezeichnet, ist das an Arroganz nicht zu überbieten und verrät viel über das westliche Bewusstsein über seine Vormachtstellung in Europa. Einen Regierungschef zähmen? Man muss kein Orbán-Fan sein, um festzustellen, wie diskriminierend diese Wortwahl ist.

Fragwürdige Narrative sind keineswegs auf die Politik beschränkt: Literatur und Serien reproduzieren verklärte Bilder eines Ostens, die westliche Sehnsüchte nach Ursprünglichkeit bedienen. Auch administrativ gibt es Schulungsbedarf: In einem deutschen Pass westpolnische Geburtsorte mit ihrem heutigen Namen eintragen zu lassen, ist ein Problem. Die Deutsche Bahn bringt einen im Jahr 2022 noch nach Neustadt (Westpreußen). Absurd, wenn man bedenkt, dass die Stadt seit 1945 Wejherowo heißt.

Der tschechische Schriftsteller Milan Kundera beschrieb 1986 die Tragödie Mitteleuropas in seinem gleichnamigen Essay: Eingezwängt zwischen Deutschland und Russland „blieben sie (die Länder) der am wenigsten bekannte und zerbrechlichste Teil des Westens“. Berichterstattung und politische Ent­schei­dungs­trä­ge­r*in­nen würden gut daran tun, den benannten Ländern auf Augenhöhe zu begegnen und endlich mit dem Aufdrängen der eigenen Sichtweise aufzuhören.

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71 Kommentare

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  • Vielen Dank für diesen Artikel!



    Ich denke, es ist schon wichtig andere Länder bzw. was dort vor sich geht verstehen zu wollen. Vielleicht hätte dann der Überfall Russlands auf die Ukraine nicht stattgefunden. Aber nun stehen wir ja vor völlig neuen Realitäten und müssen diese nun als solche akzeptieren: Ein "Putin Versteher" ist ein Unterstützer einer terroristischen Vereinigung. Und mit Terroristen verhandelt man nicht, man tötet sie. Es gibt keinerlei legitime Ansprüche eines Terroristen Putin auf irgendetwas, es sei denn seine Hinrichtung.



    Und deshalb sind auch jegliche Zugeständnisse an Ungarn - insbesondere aufgrund der Blockade von Sanktionen gegen den "Teufel" Kyrill - völlig inakzeptabel, Orban hat damit die EU bereits verlassen.



    Halten wir doch nicht an einer verklärten Hoffnung von 1990 fest, sondern fangen endlich an, eine bessere Welt ohne die Putins, Trumps, Bolsonaros, Erdogans, Orbans ... zu schaffen.

    • @auch_mal_anders:

      Der Terrorismuss muss bekämpft werden. Es reicht schon, wenn das Blut überströmt ist. Einer terroristischen Politik, die sich den Krieg zum verlängerten Arm macht reicht. Ich denke trotzdem, es ist richtig so, dass es dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag laut seinen Statuten nicht möglich ist, Todesurteile zu fällen.

  • Hallo, danke für den Artikel: musste erstmal den Begriff "Westsplaining" nachsehen und habe etwas gelernt. Stimme dem Gedanken hinter "Westsplaining" zu.

    Anzumerken wäre in Bezug auf die innerdeutsche Debatte nach meiner Einschätzung noch, das innerhalb der erweiterten Bundesrepublik ein "Eastsplaining" geherrscht hat, nämlich die Vorstellung, aufgrund der Erfahrungen von deutscher Teilung und russischer Besatzung Russland richtig einschätzen und zu verstehen.

    • @Newjoerg:

      Ich denke, die Vorstellung, in den östlichen Bundesländern würde man „die Russen“ besser verstehen oder einschätzen können, hat durchaus ihre Berechtigung.

      Das heißt eben nur nicht, dass man auch Putin besser einschätzen kann.

      Die sowjetische Prägung ist das, was man gemein hat.

      Putin kann die Menschen, die so geprägt sind, sehr gut triggern.

      Russen genauso wie Nichtrussen.

      Er benutzt die richtigen Vokabeln, appelliert an die richtigen Werte und Feindbilder, spricht die richtigen Ängste an.

      Darum haben es Ukrainer so schwer, ihre Verwandten in Moskau oder anderen russischen Städten davon zu überzeugen, dass ihnen wirklich Bomben aufs Dach fallen.

      Darum tun sich Teile der Linken so schwer, in Putin das zu erkennen, was er in Wirklichkeit ist.

      Für diese Menschen ist „Nazi-Jude“ kein Paradoxon und ein fehlendes Selbstbestimmungsrecht von Völkern völlig normal.

    • @Newjoerg:

      Und welcher Begriff passt nun zu der Tatsache, dass Sie aus einer sowjetischen Besatzung eine "russische" gemacht haben?

      • @Plewka Jürgen:

        Also ich als Sachse muss ihnen sagen das diese Unterscheidung auch hier, so nicht gemacht wird.



        Die sowjetische Besatzung wird tatsächlich oft als russisch verstanden.



        Weil die Russen den Ton angaben, weil sie ihre Kultur und Sprache mit großem Druck verbreiteten, weil die anderen Sowjetrepubliken wenig zu sagen hatten.



        Hier stationierte Soldaten sprachen russisch, natürlich heißt das nicht es waren alles Russen, aber wie gesagt die gaben den Ton an.



        Zahlreiche Sowjetrepubliken waren nichts anderes als von Russland vor oder nach der Revolution annektierte Gebiete. Der Imperialismus ging primär von Russland aus. Die Sowjetunion war nur ein Mittel diesen zu legitimieren und durch zu setzen.

      • @Plewka Jürgen:

        Danke für den Hinweis, da haben Sie vollkommen Recht, ich habe ich den falschen Begriff verwendet. Diese Ungenauigkeit ist somit "Westsplaining", da ich aus der "alten" BRD stamme.

        zu meiner Entlastung: 1994 ist die russische Armee aus den neuen Bundesländern abgezogen. Meine brandenburgische Frau und Schwiegereltern sprechen immer "von den Russen" wenn es um die in der DDR stationierten Truppen und um das Kriegsende geht. Der Widerspruch liegt somit in der umgangssprachlicher Beschreibung der Realität vs.dem historisch korrekten Begriff.

  • Dem "auf Augenhöhe" begegnen, kann ich voll und ganz zustimmen. Sollte im Umgang mit anderen Staaten und Staatsoberhäuptern generell gelten. Hat der Westen in Bezug auf Russland und Putin äußerst sträflich vernachlässigt.



    Bevor der Krieg in der Ukraine begann, hatte Putin noch in einer Rede dazu aufgerufen, gemeinsam und auf internationaler Ebene, mit allen Großmächten eine Politik des Friedens in Europa zu machen. SeinenForderungen, die Nato-Osterweiterung bitte nicht weiter voranzutreiben, wurde noch nicht mal ein Fünkchen Augenmerk geschenkt, geschweige das es eine Reaktion auf "Augenhöhe" gab. Westliche Ingnoranz und Inkompetenz auf allerhöchstem Niveau.



    Bevor sich hier jemand entrüstet: Was das Regime ( und das ist nicht nur Putin ) in Russland macht, wird von mir nicht gut geheißen, nein, ich verurteile es. Aber auf Augenhöhe miteinander umzugehen, das sollte auch ganz explizit für Russland, als eine der größten Atommächte der Erde, gelten.

    • @laifschtail:

      "Bevor der Krieg in der Ukraine begann" und Putin die von Ihnen zitierte Rede hielt, hatte er die Krim annektieren lassen und das Donbass-Gebiet de facto zu einem Teil von Russland gemacht.

      Und Sie sprechen immer noch davon, dass man Putins "Politik des Friedens in Europa" hätte ernst nehmen sollen?

    • @laifschtail:

      Sie bemühen ein russisches Narrativ, das einfach nur falsch ist und das vor allem nicht erklärt, warum Russland bedroht sein sollte, wenn ein Nachbar Russlands in die Lage versetzt wird sich gegen einen russischen Überfall zur Wehr setzen zu können. Darum geht es bei der NATO. Sie ist ein Verteidigungsbündnis. Es schafft die Sicherheit, die Russlands Nachbarn brauchen um einen etwaigen russischen Überfall, wie geschehen in der Ukraine oder Georgien abwehren zu können. Ist diese Möglichkeit gegeben kann Russland nicht einfach so bei einem schwachen Nachbarn einmarschieren, gegen ihn Krieg führen. Die NATO sichert den Frieden indem es Russland der Möglichkeit beraubt einfach mal so einmarschieren zu können.Wer gegen Verteidigungsbündnisse ist sichert also nicht den Frieden, sondern plädiert für die Möglichkeit mal so und ungeschoren beim Nachbarn einmarschieren zu können. Eigentlich ist das doch nicht so schwer zu verstehen. Woran hakt's?



      Im Russischen gibt es den Begriff „obida“, eine Mischung aus Beleidigtsein und Rachsucht. Wenn etwas nicht so läuft wie man sich das wünscht sind immer die anderen Schuld, im Zweifelsfalle der Westen. Das kommt bei den Menschen gut an, erspart einem die Selbstreflexion, die Auseinandersetzung mit der brutalen Vergangenheit und hält das Ressentiment am Köcheln.



      Die russische Gesellschaft ist krank. Gewalt prägt den Alltag. Das andere sich vor einem fürchten gilt als Ausdruck der Stärke, nicht sich den anderen zum Freund zu machen. Das ist alles ziemlich krank und Putins Regime sorgt dafür, dass sich die Krankheit verschlimmert.

    • RS
      Ria Sauter
      @laifschtail:

      Kann Ihnen nur zustimmen!

  • Die aufgeregten Kommenatre hier belegen schön die Thesen des Artikels.



    Seitdem im Balkankrieg der deutschen Intelligenzia der moralische Kompass abhanden gekommen ist, sie trotzdem aber beim abendlichen Rotwein aber ihre Deutungshoheit genießt, erwarte ich nicht mehr viel aus dieser Ecke. Doch eigentlich begann dies schon viel eher, was jenseits des eisernen Vorhanges in Europa geschah, hat den westlichen linkslibaralen common sense auch schon nicht gejuckt. Gab es irgendwelche öffentliche Solidarität aus diesem Milieu mit Solidarnosc, den Helsinki-Komitees oder Charta '77? Petra Kelly mit ihrem "Schwerter zu Pflugscharen"-Shirt war hier die Ausnahme. Deswegen hat man auch die Ereignisse 1989/90 in diesen Kreisen nicht verstanden und war schlicht zu faul, die kommenden Entwicklungen in Osteuropa wenigsten zu verfolgen. Und heute liest man lieber Eribons Bücher als sich mit der Lage in Ostpolen zu beschäftigen, was mehr über das Erstarkens des Rechtspopulismus in Europa verraten könnte. Mit den Ergebnis leben wir leider bis heute.

  • Danke. I`m late - I know. But.



    Für die vielen entlarvend bestätigenden Floristengebinde hat sich das abwarten mehr als gelohnt.



    Einen Hohlkopf & Bierdeckel_Merz braucht es da gar nicht.

  • Handeln denn andere Länder besser? Welche sind das? Und vor allem wie viele?



    Ja ja, der deutsche Anspruch vom Perfektionismus und Optimierungswahn, mit dem ist Deutschland überwiegend in der Tat allein, teilweise sogar „leider“ allein!

  • Mal dran erinnere, wie Polen, Ungarn und die anderen Visegrad-Staaten für ihre Haltungen zu Migration und LGBT-Themen abgekanzelt wurden.

    Oder wie in DE Griechenland durchgängig in der Finanzkrise als faul beschimpft wurde.

    Am deutschen Wesen soll halt immer die Welt genesen. Eine angemessene Betrachtung mit Abstand ist leider oft nicht das Thema.

    • @J_CGN:

      Na ja, an die Menschenrechte müssen sich die Länder Polen und Ungarn schon halten und nicht auch noch die Homopropaganda Gesetze Russlands kopieren!

      Hat nichts mit dem deutschen Wesen zu tun, sondern mit der EU. Deutschland war bei LGBT Rechten auch eher lange Schlusslicht.

  • Man sollte sich auch bewusst machen, dass "Othering" seit jeher ein unverzichtbarer Teil des deutschen Nationsverständnisses war und ist. Ohne Abgrenzung gegen gemeinsame Feinde gibt es keine deutsche Nation, sondern nur eine eine sprachethnische Gruppe in Mitteleuropa (früher auch in Osteuropa).



    Insofern zeigt sich am aktuellen Geschehen, dass der grundlegende Fehler die Existenz des deutschen Nationalstaats ist.



    Ich persönlich fühle mich auch von Formulierungen wie "wir Deutschen", etc. nicht angesprochen, allenfalls angewidert. Obwohl mir ohne Zweifel eine deutsche Ethnizität zugeordnet werden würde.

    • @Dan Ubi:

      Die anderen sind halt anders als wir. Das Problematische an Deutschland ist, dass das was einen von anderen unterscheidet gar nicht so eindeutig ist, wie man es gerne hätte. Von der Mentalität ist der Bayer dem Österreicher sehr viel näher als dem Berliner, und der Badener dem Elsässer oder den Deutschschweizern. Dem Ostfriesen ist der Westfriese vertrauter als der Sachse etc. Und die Preussen waren ausserhalb Preussens mehr gelitten als geliebt. Was uns eint ist das Grundgesetz, das weniger auf Gemeinsamkeiten abhebt, als diese schafft und kulturelle Diversität innerhalb seiner Grenzen nicht negiert, sondern mit dem Föderalismus sogar festschreibt. Einheit in Vielfalt ist das deutsche Programm. Viele tun sich bis heute damit schwer und schwadronieren immer noch irgendeinen völkischen Unsinn vor sich her. Der lange Schatten des Deutschen Reiches....

    • @Dan Ubi:

      Ihrer Argumentation nach ist der grundlegende Fehler die Existenz von Nationalstaaten überall! Denn wo bitte sind diese Nationalstaaten ohne "Othering" entstanden? Was wäre denn die historische Alternative (gewesen)? Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und der Personenverbandsstaat?

  • Danke für den Artikel. Ich sehe es auch so, dass unsere "westlich-deutsche" Gesellschaft zu wenig nachdenklich und selbstkritisch ist. Natürlich neigen auch Osteuropa, Afrika oder der Rest der Welt dazu alles durch die eigene Brille zu sehen.

    Ich glaube nicht, dass es bei dem deutschen verengten Blick, zuerst darum geht die eigene Passivität zu rechtfertigen. Ich denke es geht zuerst darum, möglichst in universellen Werten für die ganze Menschheit sprechen zu wollen. Das klingt erstmal nach einem guten Ansatz, hat aber, wenn man nicht sehr fein damit umgeht, den im Artikel genannten Nachteil, dass man alle anderen Menschen und Länder zu Objekten macht, die der universellen (also unserer) Auffassung zu folgen haben.

    In der Welt gibt es viele unschöne Dinge. Da liegt es nahe sich an universelle Werte klammern zu wollen, die alles gut machen und klare Feinde des Guten erkennen lassen. Man sollte dieser einfachen Versuchung nicht zu sehr nachgeben. So simpel sind die Dinge nicht.

    Als Ausgleich können da Länder und Gesellschaften gut tun, die auch absolute Werte haben, aber explizit nur für sich selber. Sie kennen auch deutlich ein "Wir und Die" und akzeptieren, dass es Grenzen gibt, jenseits derer anders gedacht wird.

    Auch das ist nicht das Paradies, aber als Ausgleich zu einer einseitig proklamierten Einheit ist es hilfreich.

    • @Markus Michaelis:

      Sie meinen China?

      • @Plewka Jürgen:

        China ist da eher nicht das Paradebeispiel. Da ist nicht so klar, ob sie als zukünftige (oder zumindest gewollte) Weltmacht wirklich akzeptieren, dass Andere Dinge anders sehen - zumindest was die Sicht auf China angeht, reagieren sie sehr empfindlich.

        Vielleicht sollte man eher an kleine, "blockfreie" Länder wie die Schweiz denken. Man wirft ihr natürlich oft vor, dass sie um des Geldes willen alles mitträgt. Es hat aber eben auch seine starken Seiten, wenn man nicht versucht die ganze Welt zu missionieren. Ein Paradies und Allheilmittel ist das natürlich auch nicht - aber zu manchem übertriebenen Missionierungseifer eben ein Gegengewicht.

        • @Markus Michaelis:

          Mal abgesehen davon das ich diese große Missionierung überhaupt nicht erkennenen kann und ich keine Beweise dafür sehe. Wenn man aufgrund der eigenen Ethik etwas für richtig hält, dann sind Landes- und Kulturgrenzen irrelevant.



          Wenn ich gewisse Menschenrechte für unabdingbar halte, dann machen die nicht vor eine Landesgrenze halt, alles andere wäre Inkonsquent und würde zeigen das man es nicht so ernst meint mit der eigenen Ethik.



          Das heißt nicht das wir als Gesellschaft damit richtig umgehen oder in der "Verbreitung" dieser Werte die richtigen Prioritäten setzen, aber die Souveranität von Staaten kommt für mich einfach nicht vor der Minimierung des Leids und der Maximierung des Glücks aller Menschen.

          Ich finde übrigens das von Ihnen beschriebene Verhalten der Deutschen widerspricht in keinster Weise der Behauptung es gäbe das Bedürfnis unsere Passivität zu rechtfertigen.



          Man überhöht sich selbst in seiner Moral und rechtfertigt den Blick herab auf andere Völker. Man ist mit den Werten nicht konsequent sondern bevorzugt "wirtschaftliche Sicherheit" und alles beim Alten zu belassen. Die Deutschen hassen Änderungen und rechtfertigen die Fehler ihres bisherigen Verhaltens mit aller Kraft nach innen und außen, indem alle Kritiker diskreditiert werden.

          • @Rahl:

            Wo ich Ihnen Recht gebe ist, dass manche Werte nur für mich selber (meine Gruppe) wichtig sind, andere Werte würde ich versuchen global voranzubringen. Wie das konkret aussieht, liegen wir aber wahrscheinlich weit auseinander.

            Die Dinge, die ich als "universell" ansehe, sind ganz wenige oder sie sind so universell, dass man nicht soviel drüber reden braucht, weil sie sowieso von allen Menschen geteilt werden.

            Irgendwas mit Menschenrechte hat wohl einen universellen Charakter, wenn man es eng genug definiert. So weit und unscharf, wie das in der deutschen Gesellschaft zum Teil gefasst wird, finde ich das für mich und unsere Gesellschaft sehr gut. Global sind es aber entweder tatenlose Worte, die nichts oder negatives bringen. Oder es führt in die Konfrontation mit anderen, die noch weniger bringt.

            Da liegen die Menschen und wahrscheinlich auch wir beide weit auseinander. Aber ich denke man muss sich mehr Gedanken darüber machen, dass das, was für den einen absolut unverhandelbare Dinge und Ansichten sind und wo dieser Eine das auch direkt verknüpdft sieht mit schlimmsten Verbrechen und Grausamkeiten, das von anderen Menschen, Kulturen etc. oft recht anders und in anderen Zusammenhängen gesehen wird. Irgendwie muss man wohl anders damit umgehen als zu bekunden, dass man mit dem Kopf durch die Wand für seine universellen Werte einstehen wird.

  • Wie schon weiter unten geschrieben:

    "Deutsche suchen gerne die vermeintlichen Gründe, um sich mit der aktuellen Realität nicht konfrontiert zu sehen und real handeln zu müssen. à la "das ist weil damals annodunnemal... ergo ist schon verständlich, muß man halt verstehen, da kann man nicht einfach so spontan parteiergreifen, man muß das schon verstehen....das ganze, sonst kann man nicht..." und so weiter und so weiter....

    das ist schon ein Argumentationsmuster, das hierzulande sehr verbreitet ist, nicht nur wenns um Russland geht, eigentlich fast überall..."

    auch hier, wie hier einige Kommentare zeigen,

  • "... trug Deutschland dazu bei, ­Polen für 123 Jahre von der europäischen Landkarte verschwinden zu lassen."

    Ist das für eine Historikerin nicht eine etwas unscharfe Formulierung? Deutschland?

    • @Maksymilian Stefani:

      Mit der 3. polnischen Teilung 1795 war Polen bis 1918 als Staat von der Landkarte verschwunden, also 123 Jahre.



      Als vierte polnische Teilung gilt der Hitler-Stalin-Pakt, der zu einer Westverschiebung Polens führt.



      Die historische Erfahrung der Länder Mitteleuropas ist, dass diese als Objekte zwischen den Hegemonialmächten hin- und hergeschoben wurden.

    • @Maksymilian Stefani:

      der Punkt ist 123 Jahre, es waren wohl eher 12 Jahre zumindest wenn es um die Nazizeit geht.



      Ansonsten kann man sehr wohl Deutschland sagen. Es war die politik der dt Regierung, dass die Nazis waren mag der Grund gewesen sein, ändert aber nichts daran dass es Deutschland war.

      • @nutzer:

        39-45 sind 12 Jahre? Sie reden von der falschen Epoche und dann noch von der falschen Dauer.

      • @nutzer:

        Nein, damit war wahrscheinlich die Zeit nach den sogenannten "Polnischen Teilungen" gemeint, 1795 bis 1918, die Russland, Preußen und das Habsburgerreich zu verantworten hatten. Inwiefern die Taten der preußischen Hohenzollern und der Habsburger deutsch zu nennen sind, könnte getrost diskutiert werden, die Bayern oder die Sachsen waren es dieses Mal jedenfalls nicht.

        • @Matatiso:

          Danke für den Hinweis. Auch die Formulierung "Russland" ist problematisch, denn es war ja das "Russische Reich" und da haben noch ein paar andere Nationalitäten mitgemischt.

      • @nutzer:

        de.wikipedia.org/wiki/Teilungen_Polens

        Deutsche Geschichte beginnt nicht erst 1871 und beinhaltet auch die Geschichte der Teilstaaten.

        Maksymilian hat das Argument, dass zur Zeit der ersten Teilung Polens weder ein deutsches Kaiserreich, noch ein Nationalstaat bestand; direkt beteiligt war das Königreich Preußen. Hier von einem "deutschen" Beitrag zu schreiben ist tatsächlich unscharf.

        • @Tobias Balmes:

          Tatsächlich sind Preußen aber deutsch und damit ist der Beitrag eben auch deutsch.



          Der Begriff "Deutschland" hingegen ist tatsächlich inkorrekt. Es waren Mächte deutscher Kultur die Polen besetzten, aber eben nicht eine geeinte deutsche Nation.



          Alles in allem finde ich das man daraus aber auch kein Drama machen sollte. Das hier ist ein kurzer Zeitungsartikel, keine kulturhistorische wissenschaftliche Abhandlung. Verständlichkeit geht über absolute korrekte Präzision.

  • Die Ankündigung der Amerikaner, die Ukraine jetzt massiv weiter aufzurüsten, darf man schon die Frage stellen, ob Europa erneut zum Spielball zwischen zwei Blöcken gerät. Vietnam und Kambodscha waren weit weg von Washington und Dallas und der wohl nicht mehr so gut zu mobilisierenden US-Bevölkerung. Amerikanische Investoren gewinnen, wenn beide schwächeln, die EU und Russland und China draußen vor bleibt. Jetzt beweisen sich die Schwächen deutscher Europa-Politik, der es nicht gelang, ein Europa unabhängiger Völker und gemeinsamen Interessen zu erreichen, weil immer das nationale Interesse -auch mittels eines €- im Vordergrund stand. Who wins ?

    • @Dietmar Rauter:

      Verloren haben wir alle schon. Die Ukraine, Russland und Europa.



      Ob die USA hier wiederrum gewinnen ist fraglich. Diskussionen über mehr geeinte Sicherheitspolitik in der EU laufen ja schließlich auch. Sollte die USA unter dem nächsten Präsidenten in ihrer Unterstützung für uns schwächeln, kann das auch schnell zu einem gestärktem und mehr geeintem Europa führen indem Washington so wenig zu sagen hat wie nie seit 1945.



      Eine andere Wahl als die Waffen der USA an die Ukraine haben wir aktuell eben nicht. Unsere Sicherheitspolitik ist von der NATO und damit der US Armee abhängig, weniger Waffen in der Ukraine würden das nicht verändern. Tatsächlich wäre rein theoretisch ein starkes Ukrainisches Militär als Teil der EU, nach einem gewonnenen Krieg, für uns in der Hinsicht von Vorteil und nicht Nachteil.



      Schon rein geographisch gesehen wird die EU ein wichtigerer Partner der Ukraine sein als die USA.

    • @Dietmar Rauter:

      Auf alle Fälle verliert Europa, wenn es die Ukraine aufgibt.

  • Zitat:



    "... Melnyk, der im deutschen Diskurs durch seine direkte Wortwahl und Forderungen wahlweise als „untragbar“ oder gar als „Nazi-Versteher“ betitelt wird."

    Zwei kleine Korrekturen.



    Erstens ist es unwahrscheinlich, dass Merz etwas gegen Melnyk hat, gehören zum gleichen Netzwerk (KAS).

    Zweitens wird A. Melnyk vielleicht wegen seiner "direkten Wortwahl" von manchen als "untragbar" empfunden. Aber als "Naziversteher" eingeschätzt wird er nicht einfach deswegen, weil er den Mund aufmacht. Das hat andere Gründe als eine "direkte Wortwahl".

  • Ich dachte bislang, Melnyk wird nicht wegen seiner direkten Wortwahl, sondern wegen seiner Sympathien für Stepan Bandera als "Naziversteher" betitelt. So berechtigt oft die Kritik an westlicher Überheblichkeit sein mag, hier geht es nicht darum, sondern um eine Sachfrage, nämlich um die, ob Stepan Bandera ein Nazi war.

    Mein Kenntnisstand ist wie folgt: Bandera hat zeitweise mindestens mit den Nazis zusammengearbeitet. Seine Organisation, die Organisation Ukrainischer Nationalisten, hat zwar Widerstand gegen die Sowjetdiktatur geleistet (daher Banderas Heldenverehrung), dafür aber eine Zeit lang mit einer anderen Diktatur, mit den deutschen Nazis, eng zusammengearbeitet und auch Pogrome gegen Juden begangen. Wie viel Schuld Bandera persönlich auf sich geladen hat, ist umstritten. Laut Wikipedia wird er von einigen Forschern aber als Faschist eingeordnet.

    Es ist zwar naheliegend, Widerstandskämpfer gegen die Sowjetdiktatur zu ehren. Man sollte aber daran denken, dass die Sowjetunion zu jener Zeit nicht der einzige Unrechtsstaat in Europa war, und dass nicht jeder Widerstandskämpfer gegen die Sowjets automatisch auf der Seite der Guten stand. Manche standen eben auch auf der Seite der Nationalsozialisten.

    Und von jenen gilt es sich zu distanzieren:

    Erstens, weil sie Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen bzw. unterstützt haben und es somit Geschichtsrevisionismus wäre, von ihnen als unbescholtenen Helden zu erzählen.

    Zweitens, weil es in Zeiten russischer Propagandaerzählungen, die heutige Ukraine wäre ein Nazistaat, absolut ungeschickt ist, auch nur den kleinsten Verdacht zu erregen, man hätte eine Nähe zum Nationalsozialismus.

  • Germano-Splaining gen Osten

    Zitat: „Das funktionierte auch schon in den 1990ern während der Jugoslawienkriege erstaunlich gut: Der politische und intellektuelle Diskurs jener Zeit stellte die Region als brutalen und unzivilisierten Vorhof Europas dar und versuchte so – unbewusst oder nicht – dem Krieg eine kulturhistorische Deutung zu geben.“

    Das funktionierte sogar schon auf der Frankfurter Paulskirchenversammlung erstaunlich gut, gemeinhin als die Wiege der schwarz-rot-goldenen deutschen Demokratie mit einem Ehrenplatz im Gedächtnis-Pantheon kollektiver Selbstvergewisserung geadelt. In den Debatten um die weltpolitische Orientierung des angestrebten Deutschen Reiches wurde dort einhellig der „weltgebietende Beruf des deutschen Volkes“ beschworen, „die Civilisation, die deutsche Cultur und deutschen Geist nach dem Osten zu verbreiten“, damit die seit der deutschen Eroberung und Kolonisation großer Teile Ost- und Südosteuropas seit dem 10. Jh. tradierte Überzeugung der deutschen Fürstentümer bekräftigend, die Natur habe „die Slawen zu Sklaven und Knechten und nicht zu Herrschern“ bestimmt. Eine Unterwerfung „der Slawen durch die Deutschen“ wurde als gesetzmäßig und natürlich angesehen. Dieser Sendungs- und Missionsanspruch wurde mit Begriffen wie Zivilisation, Freiheit, Wissenschaft, Bildung und Humanität, einer spezifisch „deutschen Gesittung und Art“ und einem „deutschen und germanischen Geist“ usw. gepfeffert, darin ein zivilisatorisches Überlegenheitsgefühl verbunden mit Hegemonialansprüchen offenbarend.

    Den größten Gegner sah man dabei in Rußland, dem Endziel der „Eroberungen des Schwertes und der Pflugschar“. Für Bakunin war der Haß auf Rußland eine „der stärksten Nationalleidenschaften Deutschlands. In diesem Haß gegen die Slawen, in dieser Slawenfresserei waren sich sämtliche Parteien (1848/49) ausnahmslos einig. Am lautesten schrieen die Demokraten gegen die Slawen.“ (zit. n. MEW 18: 613, vgl. Klaus Thörner, Debatten zu Südosteuropa in der Paulskirche).

  • Missionarismen

    Zitat: „Othering meint das Beschreiben von Eigenschaften einer Gruppe als andersartig. Die Kategorisierung dient der Aufrechterhaltung der stärkeren Position jener Gruppe, die das Urteil fällt. Sozusagen die kulturtheoretische Erklärung für den moralischen Fingerzeig „Die waren schon immer so“. Westsplaining meint also auch die historische Ignoranz, die mit einem Überlegenheitsgefühl einhergeht, moralisch wie politisch das einzig Richtige zu tun.“

    „Othering“ ist die sehr treffende Beschreibung einer psychologisch erklärbaren Haltung der individuellen wie kollektiven Selbstvergewisserung, gleichsam das seelische Knochengerüst jeglichen Identitätsgefühls, sei es religiöser, rassischer, nationaler, ethnischer oder in gewisser Weise auch sozialer Provenienz. Es lebt stets nur von der Abgrenzung zum „Anderen“ (Bourdieu) und ist bewußt oder unbewußt imprägniert mit der (zumeist illusionären) Gewißheit eigener Überlegenheit. Aber ist dieses „Suprematie-Syndrom“ nicht Wesenskern jeglichen politischen Handelns, sei es bei der Konfiguration politischer Parteien oder internationaler Bündniskonstellationen? Ohne solcherart ideologistischer Sublimierung nackter politischer Machtinteressen wäre keine Anhängermobilisierung und Zustimmung möglich.

    „Westsplaining“ wäre dann ein politisches Derivat des „Othering“, gleichsam dessen expansiv-missionarische, oft aggressive Erscheinungsform. In der Geschichte begegnet uns dieses Phänomen etwa in Gestalt des christlichen Missionarismus‘ als ideologische Camoufflage des (white)euro-zentristischen Kolonialismus‘, des ins Globale gewendete „Manifest Destiny“, der „Mission civilisatrice“, dem „Deutschen Wesen, an dem die Welt...“ usw. Auch die Doktrin von der „Historischen Mission der Arbeiterklasse“ gehört im Grunde genommen dazu.

    Die jüngste „Westsplaining“-Version ist das Biden-Projekt einer globalen US-geführten Allianz der Demokratien gegen die Autokratien, unverkennbar ein Produkt aus der Diskursküche des „PNAC“.

  • Man verstehe diesen Kommentar so:



    Nur Osteuropäer können etwas zum Thema Russland sagen?



    "Wegen der langen blutigen Geschichte?"



    Ja, Russland hat (wie auch Deutschland und Österreich-Ungarn) Polen aufgeteilt. Hat nach dem 2. Weltkrieg Osteuropa besetzt gehalten.



    Und ja, da war der Holodomor, den Stalin verschärft hat (wobei Yussuf Dschugaschwilli, so der bürgerliche Name, Georgier war)



    Aber nur mal der Vollständigkeit halber, weil wir über lange Geschichte sprechen:



    - Die erste Invasion zwischen Russland und Polen(-Litauen) fand statt, als Polen-Litauen in der Smirna in Russland einmarschierte...



    - Russland hat u.a. Rumänien, Ungarn und Bulgarien besetzt nach dem 2. Weltkrieg. Aber: Finnland, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die Slowakei waren Verbündete Hitlers. Finnland hat im 2. WK gegen Russland auf Deutscher Seite gekämpft, ebenso Rumänien, Ungarn und die Slowakei.



    Die ukrainischen Nationalisten (OUN) hatten sich übrigens dem NS-Vernichtungskrieg angeschlossen, einschließlich Pogrome gegen und Zuarbeit beim Mord an den Juden.



    Verehrt wird Stepan Bandera bist heute u.a. von Herrn Melnyk.



    Auch das gehört zur "langen und blutigen Geschichte". Hätte sie erwähnen können.



    Oder will hier eine Osteuropäerin uns ihre Sicht aufzwingen? Sozusagen "Eastplaining"?

    • @Kartöfellchen:

      Mit Geschichte haste es aber nicht so genau:

      Die dritte polnische Teilung wurde von Rußland, Österreich-Ungarn und Preußen (nicht Deutschland) durchgeführt.

      Finnland wurde im Winterkrieg von 1939 von der Sowjetunion überfallen. Nach der Niederlage Finnlands, die mit relevanten Gebietsverlusten einher ging, suchte sich Finnland einen Verbündeten gegen die Sowjetunion und fand ihn in Nazi-Deutschland.

    • @Kartöfellchen:

      Wer die Sowjetunion unter dem Begriff Russland subsumiert hat auch sonst nicht allzu viel verstanden.



      Vollkommen daneben finde ich es wenn Deutsche, die Erfinder des Holocaust nun die Ukraine als die eigentlichen Täter hinstellen um sich Russland anzudienen.

  • Guten Tag Frau Hiemer, eine Stadt im Ausland kann durchaus auch einen deutschen Namen haben…ja, auch wenn diese nie in Deutschland oder einem überwiegend deutschsprachigen Gebiet lag…so z.B. Kapstadt, Rom, Lissabon, Warschau, Lemberg oder Prag.

    Kurios: Das schwedische Göteborg heißt auf deutsch eigentlich Got(h)enburg…und diese Schreibweise (mit h) wird im Englischen auch immer noch verwendet.

  • Wer derart viele Klischees über seine Mitmenschen gleicher Nationalität pflegt, sollte sich über Klischees zu Mitmenschen anderer Nationalitäten am wenigsten wundern. Bevor Du den Stein ins hasserfüllte Gesicht Deines Feindes schmeißt, vergissere Dich besser, dass du nicht vor einem Spiegel stehst...

    Apropos Klischee: Ist Ihnen wenigstens als theoretische Möglichkeit in den Sinn gekommen, dass Merz seine Kommentare als erfreulichen Kontrast zu DEUTSCHEN (oder anderen nicht-ukainischen) Menschen und Behörden gemeint haben könnte? Nicht?

    Schade.

    • @Normalo:

      Viele Freunde waren immer so begeistert von Land und Leuten.

      Jetzt nach diesem Artikel kann ich das ganz neu einordnen: Westplaining, tiefsitzender Hass der Urlauber auf Land und Leute in den Urlaubszielen.

  • Wegen einer reflexartigen antiwestlichen Grundhaltung wurde der Bosnienkrieg von großen Teilen der Linken in der Tat als nicht zu verstehender Balkankonflikt dargestellt (Othering). Die Opfer, vor allem Bosniaken und Muslime, konnten daher nicht auf die "linke internationale Solidarität" zählen. Nach Srebrenica schaute diese "Linke" dann beschämt zur Seite, wiederholte aber den gleichen antiwestlichen Reflex in Syrien, bis Aleppo von Putin in Schutt und Asche gelegt wurde. Die Ukraine als Land und damit ihre Bevölkerung hat nun wieder das Pech, von der gleichen "Linken" als korrupt und tendenziell rechts eingestuft zu werden, womit die Opfer eines Vernichtungskrieges erneut keine "linke" Solidarität erfahren. Das ist beschämend und muss innerhalb der "Linken" dringend aufgearbeitet werden.

    • @Rinaldo:

      Dringend aufgearbeitet werden muss ihr Begriff der "Linken", die ja offenbar SPD, Grüne, relevante Teile der Partei "Die Linke" und Hunderttausende von Menschen ausschließt, die in praktischer Solidarität ukrainischen Flüchtlingen helfen. Offenbar sind Sie nicht in der Lage, eine - schwierige - Situation in all ihrer Widersprüchlichkeit wahrzunehmen und flüchten sich in vermeintliche Eindeutigkeit. Die "Linke", von der Sie sprechen, gibt es nicht.

  • @MALAMUT

    Dan benutzen Sie doch OpenStreetMap, statt dieser GoogleKrankheit.

    Bei mir zeigt OSM alles in der Originalsprache an. Friends don't let friends use Google.

    Ich komm' auch mit "ქუთაისი" klar, Wikipedia [1] sei Dank.

    [1] en.wikipedia.org/wiki/ქუთაისი

  • Wenn in Ostpolen bald mal wieder eine LSBQIT-Proud-Demo von den Anwohnern mit faulem Obst geehrt wird, Wir der Autor auch Othering und Westsplainig gegen Polen gut finden. Oder bin ich jetzt gerade beim Othering?

    • @Christoph Strebel:

      Das ist nur schlimm und verachtenswert wenn es von Muslimen ausgeht. Bei katholischen Visegrad-Talibans sind das nur folklorelle Eigenheiten.

      • @Bouncereset:

        Mein Eindruck: bisher umgekehrt: wenn alt-wertkonservative Katholiken LSBQIT oder Abtreibung kritisieren, wird dagegen heftig protestiert, wenn Muslime sich alt-wertkonservativ benehmen und das kritisiert wird, ist die Kritik rassisitisch und fremdenfeindlich.

  • Ein belehrender und die Deutschen über einen Kamm scherender Artikel der Belehren und Verallgemeinerung kritisiert? Lol

  • Merkwürdiger Text. Hier wird mit einem Mischmasch aus völlig unzusammenhangenden Behauptungen, Unterstellungen und nicht oder nur sehr mager belegten Annahmen eine These aufgestellt, die so nicht überzeugend ist.

    Tatsächlich sehen doch außerhalb einer eher randständigen pro-russischen Blase die meisten Deutschen spätestens seit dem russischen Angriff als einen Teil des Westens, den es zu schützen gilt. Orban wird als widerspenstig angesehen, weil es ein undemokratischer Autokrat ist, den es tatsächlich zu zähmen gilt, das hat nichts mit westlicher Arroganz zu tun. Und dass man die deutschen Ortsnamen verwendet, ist für Orte in Polen nicht problematischer als in Italien (Rom, Mailand, Neapel etc.) oder die Bezeichnung Munich im Englischen.

  • "... wir Deutschen"

    Also. Formal bin ich ja kein Deutscher. Dennoch lebe ich so lange hier, dass ich manchmal als solcher durchgehe (und fühle: meine Träume sind tatsächlich meist deutschsprachig, sofern ich die Sprache darin verstehen kann).

    Aber "wir Deutsche" einen halben Satz nach "Friedrich Merz" empfinde ich als grobe Beleidigung. Der vertritt *mich* nicht. Punkt.

  • So zu tun, als ob es "den Deutschen", der mit "wir" bezeichnet wird, gäbe, ist grundsätzlich falsch. Die Union hat genauso wenig die Meinungsführerschaft wie die SPD mit Scholz. Im Übrigen: Merz´ Reise hatte nur einen Zweck, der erreicht wurde: Die Wahl in NRW für die CDU zu gewinnen. Was mich - kein Beispiel für Meinungsführerschaft - besonders ärgert, ist das konsequente Ausklammern der Verantwortlichkeit von Merkel, die so lange im Amt war wie kein europäischer Regierungschef und, wie jetzt sichtbar, reihenweise komplett falsche Entscheidungen getroffen hat. Die Medien haben sie kaum konstruktiv kritisiert, das ist ebenfalls ein großes Versagen. Die Welt sähe heute deutlich anders aus.

    • @Sarg Kuss Möder:

      Frau Merkel und die Ukraine.



      Sie hat 2008 gewarnt, ein Beschluss, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, würde zu einem Konflikt mit Russland führen.



      Die hat auch der damalige Botschafter der USA in Moskau so gesehen. Er nannte explizit ein russisches Eingreifen auf der Krim und im Donbas als Folge (Link zur DW unten).



      Aber George W. Bush, der schon so manche Fehlentscheidung hatte (Afghanistan und Irak), hat sich auch da durchgesetzt.



      Obama wollte wie Merkel den Konflikt begrenzen und hat das Ganze einschlafen lassen. Erst Trump hat wieder massiv Waffen geliefert.

      www.dw.com/de/ukra...er-nato/a-60727097

      • @Kartöfellchen:

        Merkel warnte vor der Aufnahme in die NATO. Die Aufnahme der Ukraine ist auch nie geschehen und nun versucht Russland die Ukraine zu erobern.



        Wie man daraus lesen kann, das Merkel Recht hatte, ist mir etwas unklar. Sie hat ja ihren Willen bekommen und jetzt haben wir die schrecklichen Folgen davon.



        Und dann hat sie natürlich auch gleich noch unsere Abhängigkeit von Russland forciert, gut das diese eher einseitige wirtschaftliche Zusammenarbeit dem Frieden so förderlich war.

      • @Kartöfellchen:

        In anderen Worten, die alte Wagenbach-Mär: Der "Westen" ist schuld am Überfall des Faschisten Putin - hätte den Diktotor doch bloß nicht gereizt, wäre der sicher zuhause geblieben. Todsicher. Glaubt mir doch.

  • Mit Blick auf Russlands Nachbarn wage ich eine andere Deutung von Putins berühmter Friedens-Rede im Deutschen Bundestag: Lasst uns gemeinsam die Staaten zwischen uns unter Kontrolle bringen.

    • @Wondraschek:

      Erlauben Sie mir bitte eine Anmerkung:



      Man sollte sich hüten, im Rückblick Dinge für unvermeidbar zu halten.



      Genauso wie 1933 nicht zwingend passieren musste, genauso wenig hätte es zwingend dieses Ende nehmen müssen.

      • @Kartöfellchen:

        Wer hält etwas für unvermeidbar?

    • @Wondraschek:

      Das habe ich auch überlegt, als ich mir Ende Februar die Rede noch mal anhörte. :-)

      Eine Interpretation in diese Richtung lässt die Rede in jedem Fall zu.

  • Dese Verwendung historischer deutscher Ortsnamen ist wirklich lästig. Das kann übrigens nicht nur die Deutsche Bahn, sondern noch viel schlimmer: auch Google. Man schaue sich mal tschechische Ortsnahmen auf maps.google.de an. Das ist ein ganz kruder Mix aus den korrekten tschechischen und den historischen deutschen Namen. So wird Chomutov zu Komotau, Most zu Brüx, Litoměřice zu Leitmeritz, Děčín zu Tetschen-Bodenbach, Česká Lípa zu Böhmisch Leipa, Mladá Boleslav zu Jungbunzlau... diese deutschen Wörter stehen heute nirgends im Straßenbild, das versteht fast keiner, der noch lebt. Sowohl oberpeinlich als auch super-unpraktisch.

    • @malamut:

      Das kann man bei Google einstellen. Links oben öffnen Sie mit Klick auf die drei Balken das Menü und können dann unten die Sprache auswählen. Mich ärgert auch, dass in der deutschen Version längst veraltete, unbekannte deutsche Namen in Polen, Tschechien und woanders erscheinen (damit meine ich nicht geläufige Namen wie Prag oder Warschau). Ich stelle dann auf die jeweilige Landessprache um.

    • @malamut:

      Hä es macht doch Sinn bei Google Maps deutsche Namen zu verwenden das machen sie doch auch bei Tokio oder Kopenhagen. Es wäre doch vollkommen unpraktisch wenn ein deutscher Nutzer



      北京 oder Ἀθῆναι oder ᠤᠯᠠᠭᠠᠨᠪᠠᠭᠠᠲᠤᠷ eingeben sollte wenn er auf einer deutschsprachigen Internetseite eine Stadt im Ausland sucht.

  • Sehr guter Beitrag. Danke.

  • Was ist denn nun die Kernaussage dieses Kommentars? Auch nach 3x Lesen finde ich sie nicht.

    • @Herbert Eisenbeiß:

      So ist es mir auch gegangen - und habe dann versucht, den Kommentar über die Lektüre der Leserbriefe zu verstehen. Ich glaube, dass viele der jungen Autoren meinen, wenn sie den Begriff "Narrativ" benutzen, dann sei das bereits ein Narrativ. Aber was wollte sie mir erzählen? Ich selbst habe mich mit keiner der beschriebenen Einstellungen wiedererkannt. Was mir aufgefallen ist beui meinen eigenen Recherchen, wieviel ich eigentlich schon längst hätte wissen können, wenn ich mich nur um diese ganze Thematik gekümmert hätte!!!

    • @Herbert Eisenbeiß:

      es geht darum, dass Deutsche gerne die Gründe suchen, um sich mit der aktuellen Realität nicht konfrontiert zu sehen. à la "das ist weil damals annodunnemal... ergo ist schon verständlich, muß man halt verstehen, da kann man nicht einfach so spontan parteiergreifen, man muß das schon verstehen....das ganze, sonst kann man nicht..." und so weiter und so weiter....



      das ist schon ein Argumentationsmuster, das hierzulande sehr verbreitet ist, nicht nur wenns um Russland geht, eigentlich fast überall...