Umgang mit der AfD: Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Über die Frage, ob wir AfD-Wähler:innen in der taz mehr zitieren sollten, diskutiert die Redaktion seit Wochen heftig. Ein Pro & Contra.
Ja!
Denn das Jahr 2024 wird mit einem großen Rechtsruck in die Geschichte eingehen. In Europa, in Thüringen, in Sachsen und Brandenburg, in den USA – überall haben sehr viele Leute rechte und rechtsextreme Parteien gewählt. Und Journalist*innen haben die Aufgabe, das abzubilden, einzuordnen, zu erklären.
Die Frage, ob wir AfD-Wähler*innen in der taz zitieren sollen, finde ich absurd. Die Aufgabe von Journalist*innen ist es, Gegenwart zu beschreiben. Und die ist geprägt von einem rechten Zeitgeist. Um zu verstehen, woher dieser kommt, können wir Studien wälzen, Soziologinnen befragen oder Lehrer, die mit rechten Jugendlichen arbeiten. Aber warum nicht auch die, die mit ihrer Stimme selbst den rechten Zeitgeist vorantreiben?
Zu behaupten, mit AfD-Wähler*innen bräuchten wir nicht zu sprechen, weil wir wüssten, was sie sagen, ist keine journalistische Denkweise. Es kommt vor, dass bei diesen Gesprächen nicht viel herauskommt, dass das Gegenüber Fakten verdreht, für Gegenargumente nicht offen ist. Aber die Aufgabe von Journalist*innen ist es nicht, diese Leute zu bekehren, sondern sie zu beschreiben.
Ein Argument gegen AfD-Stimmen in der taz ist, dass „wir“ „denen“ keine Bühne bieten sollen. Darin steckt mir zu viel Moral: Ja klar, jede Zeitung, jede Talkshow ist eine Bühne. Aber es ist auch ein Ort, an dem Öffentlichkeit verhandelt wird. An dem sich Leute informieren, informiert werden – von uns Journalist*innen. Dieser Aufgabe kommen wir nicht nach, wenn wir einen relevanten Teil der Bevölkerung ausklammern.
Wenn wir die Forderung, dass wir AfD-Stimmen nicht in der taz abbilden sollten, weiterspinnen – was heißt das für unsere Auslandsberichterstattung? Mit Trump-Wähler*innen reden wir nicht, mit denen von Le Pen, Meloni, Milei und Putin auch nicht? Dann wäre unsere Berichterstattung ziemlich dünn.
Auseinandersetzung ist wichtig
Das heißt nicht, dass wir im Bundestagswahlkampf eine Doppelseite drucken, auf der AfD-Wähler*innen ungefiltert ihren Frust und Hass abladen dürfen. So einen Platz würden wir auch SPD-Wähler*innen nicht einräumen. Aber die Wahlkampfreportage vom Höcke-Auftritt, mit Stimmen aus dem Publikum? Unbedingt. Die Recherche im Umfeld der rechten Terrorgruppe mit verständnisvollen Zitaten aus der Nachbarschaft? Natürlich, so arbeiten wir doch sowieso.
Neben ihren Wähler:innen interessiert uns auch vieles anderes an der Partei. Ihre Spenden- und Spionageskandale. Die rechtsextremen Netzwerke ihrer Mitarbeiter*innen. Die Umsturzpläne ihrer Mandatsträger. Diese Recherchen haben immer wieder gezeigt, dass es manchmal nicht weit ist vom AfD-Wähler zum Rechtsterroristen.
Deshalb hat das Zuhören und Zu-Wort-kommen-Lassen natürlich Grenzen. Menschenverachtende, rassistische Aussagen müssen wir nicht im Wortlaut wiedergeben. Sie lassen sich beschreiben und einordnen. Und zweitens: Niemand muss für seinen Job seine Gesundheit riskieren, schon gar nicht, wenn man selbst für das, was man ist, von der AfD bekämpft wird. Anne Fromm
Anm. der Redaktion: Wir haben den Titel und den Text leicht angepasst, um Missverständnisse zu vermeiden. Es geht nicht darum, AfD-Wähler:innen in der taz schreiben zu lassen. Es geht darum, diese Stimmen zu zitieren und abzubilden.
Nein!
Nein, denn damit würde die taz den AfD-Wähler:innen auf den Leim gehen. Wie wir mittlerweile wissen, wählen viele die Partei nicht (mehr) aus Protest, sondern weil sie deren rechtsextremes Weltbild komplett unterschreiben: Sie wollen Migrant:innen abschieben und Rechte für Frauen und queere Personen beschneiden. Sie machen sich nicht nur mit dem russischen Kriegstreiber Putin gemein, sondern auch mit anderen Diktatoren dieser Welt. Die AfD und ihre Wähler:innen wollen das Bundesverfassungsgericht umkrempeln und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk am liebsten abschaffen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Kurz gesagt: Sie wollen den Staat nach ihrem rechten Weltbild umformen. Über all das ist über Maß berichtet worden.
So zu tun, als erführe man mit jedem weiteren Interview mehr darüber, was in den Köpfen von AfD-Wähler:innen so abgeht, ist naiv. Das zeigen bereits all die Reportagen und Fernsehberichte, die genau das schon versucht haben. Da steht ein Mann vor der Kamera und behauptet ganz offen, dass Hitler und dessen Taten doch eine gute Sache waren.
Will man das auch noch in der taz lesen? Wer glaubt, durch Diskussionen, Interviews und Streitgespräche mit AfD-Wählenden für einen offenen Journalismus zu sorgen, sitzt einem Trugschluss auf. Jeder neue Text zur AfD und ihren Fürsprecher:innen bringt wenig Neues, sondern reproduziert das bereits Bekannte – und dürfte die AfD jubeln lassen: Jetzt haben wir auch die taz im Sack.
Sie wollen keine Argumente hören
Wer jemals versucht, mit Menschen, die der AfD nahestehen, ein offenes Gespräch zu führen, dürfte in Kürze an die Grenzen eines solchen geraten. Sie wollen keinen Dialog, den Dialog wollen nur wir. AfD-Wähler:innen beharren auf ihren Argumenten, sie wollen nicht einmal hören, was die andere Seite sagt. Ich selbst habe das mehrere Male erlebt und musste leider feststellen, dass sich „die anderen“ in keiner Weise auf Argumente einlassen, die nicht ihre kruden Thesen stützen. Um es noch deutlicher zu sagen: Es gilt einzig ihre Meinung, Punkt.
Die AfD-Gläubigen beanspruchen das Recht auf ihrer Seite, verweisen auf ihre Quellen: all die Fakenews-Seiten, die sie regelmäßig lesen und denen sie zu 100 Prozent glauben. Sie weisen wiederum die (in unseren Augen) seriösen Medien als unseriös ab, gern mit den Worten: „DAS sind Fakenews.“ Erst neulich habe ich das wieder erleben dürfen und mich als „Tagesschau-Verseuchte“ beschimpfen lassen müssen. Gern faseln solche Leute etwas von einer „Apartheid in Deutschland“ und dass es in Deutschland keinerlei Demokratie gebe.
Wie also sollte man ihnen begegnen? Mit Gefühligkeit? Vermutungen? Bitten nach mehr Toleranz? Wer glaubt, diese Hardliner zum Nachdenken oder gar dazu zu bringen, dass sie sich mit ihrem Geschwurbel selbst entlarven, darf sich am Ende nicht wundern, wenn das nicht gelingt. Das Gegenteil wird passieren: Mit Statements in unserer Zeitung würden wir ihnen eine mediale Bühne bieten, die besser nicht sein könnte. Dafür sollte sich die taz auf keinen Fall hergeben. Simone Schmollack
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