Treffen der Nato-Verteidigungsminister: Zeit fürs rote Telefon
Nato-Manöver in Westeuropa sind das falsche Signal. US-Präsident Biden sollte sich jetzt schleunigst persönlich um Deeskalation bemühen.
I n der kommenden Woche wird mitten in Europa der Atomkrieg geübt. Am belgischen Atomwaffenlager Kleine-Brogel, vermutlich aber auch am deutschen Standort Büchel in der Eifel werden schwer bewaffnete Nato-Soldaten trainieren, wie sie Wasserstoffbomben vom Typ B-61 abtransportieren und aus Kampfjets über der Nordsee abwerfen können.
Völlig normal sei das, behauptet Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Es handele sich bei „Steadfast Noon“, so der Name des Manövers, um eine lang angekündigte Routineübung zur atomaren Abschreckung. Niemand müsse sich Sorgen machen, sagte Stoltenberg beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel.
Doch die Menschen machen sich Sorgen, und das zu Recht. Denn die Lage ist nicht normal, sie ist todernst. Kremlchef Putin hat mit dem Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine gedroht, US-Präsident Biden warnt vor einem nuklearen „Armageddon“. Die Situation erinnere an die Kubakrise, als es fast zum Atomkrieg gekommen war, so Biden.
Wenn das so ist – und bei der Nato-Tagung hatte niemand Zweifel daran –, dann setzen die USA und ihre Verbündeten mit „Steadfast Noon“ das falsche Signal. Sie sollten jetzt nicht demonstrieren, dass sie einen Atomkrieg führen können – sondern alles daran setzen, die drohende nukleare Eskalation zu beenden. Biden muss schleunigst zum „roten Telefon“ greifen und sich mit Putin auf Schritte zur Deeskalation verständigen. Damals, vor 60 Jahren, führte der direkte Draht zwischen Washington und Moskau zu einer Lösung der Krise. Warum sollte das heute nicht auch möglich sein?
Vier-Augen-Gespräch nicht ausgeschlossen
Putin hat immerhin Gesprächsbereitschaft bekundet: Beim anstehenden G-20-Treffen in Bali könne er Biden treffen, ließ er seinen Außenminister erklären. Auch der US-Präsident schließt ein Vier-Augen-Gespräch offenbar nicht mehr kategorisch aus.
Doch die USA wollen nur aus einer Position der Stärke heraus verhandeln. In Brüssel wurde daher der Druck auf Putin noch einmal erhöht. Man werde sich nicht mit der Atomangst erpressen lassen, hieß die Botschaft der 30 Alliierten. Diese Botschaft ist richtig – und brandgefährlich. Wenn Putins Drohungen dafür genutzt werden, die Nato auf einen Atomkrieg vorzubereiten, dann ist kein Ende der Eskalation in Sicht. Und wenn die USA mit direktem Eingreifen drohen, gießen sie Öl ins Feuer.
In der Kubakrise haben die Amerikaner von sich aus das Richtige getan. Diesmal muss Biden wohl zum „roten Telefon“ getragen werden. Warum helfen die Europäer nicht nach? Der Atomkrieg würde in Europa ausbrechen, nicht in den USA. Es ist im ureigenen europäischen Interesse, die Eskalation zu beenden, bevor es zu spät ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen