Terrorrazzia gegen Reichsbürger: Beruhigt euch nicht!
Unsere Gesellschaft hat bisher keine Antwort auf die Radikalisierungstendenzen gefunden. Die Gefahr ist deshalb mit der Razzia keineswegs gebannt.
D ie Pandemie ist endlich auf dem Rückzug, aber das Virus des Umstürzlerischen, Reaktionären und ja, Verstrahlten, das unter manchen Coronaleugner:innen grassiert, hat eine schockierende Sichtbarkeit erfahren. Der Generalbundesanwalt hat ein rechtsextremes Verschwörer:innennetzwerk im bürgerlichen Lager aufgerollt, das nur mäßig kaschiert vor aller Augen gewachsen ist. Es reicht von der Bundeswehr über AfD-Splitter bis zum Adel. 50 Leute und mehr glauben an die wahnsinnigsten Fantasien von einem Staatsstreich in Deutschland. Dazu bedarf es schon einer affirmativen Alltagserfahrung.
Man kennt die Bilder der fröhlichen, von Corona getriggerten Zusammenrottung von Neonazis, AfD-Figuren und besorgten Müttern und Vätern im Sommer 2020 und zuweilen bis heute. Ebenso energisch, wie sie die Parolen skandierten, haben diese Menschen der Instrumentalisierung durch Rechtsextreme und der Vereinnahmung in die Reichsbürgerbewegung zugestimmt. Eine Sneakpreview auf das, was jetzt sichtbar geworden ist, wurde mit der versuchten Reichstagsstürmung während der Demonstration im Sommer 2020 aufgeführt. Spätestens da konnte man sehen, was sich findet, welche Stimmung wächst.
Reichsbürger:innen sind Spinner:innen, in diesem Fall sehr gefährliche. Nicht immer bewahrheitet sich zwar alles, was die Bundesanwaltschaft rechten oder gerne auch linken Gruppen zur Last legt. Aber wenn Karlsruhe 3.000 Polizist:innen schickt und die GSG9 ein KSK-Gelände stürmt, ist die Sache tendenziell sehr ernst zunehmen. Selbst wenn es noch keine ausgereiften Pläne für einen fantasierten Staatsstreich gegeben haben sollte, geht von dem Netzwerk eine potenziell tödliche Gefahr aus, und sei es durch Einzeltäter wie beim Tankstellenmörder von Idar Oberstein.
Mit wohligem Schaudern kann man jetzt die Geschichte eines wirren Prinzen lesen, und alles in die irgendwie doch beruhigende Schublade eines extremistischen Skurrilitätenkabinetts packen. Es wäre jedoch ein Fehler, dieses Milieu als Randphänomen zu qualifizieren und die Antwort den Sicherheitsbehörden zu überlassen. Wenn sich ein Prinz, eine Ex-Abgeordnete, ein Sänger, ein Pilot, ein Arzt und ein paar Soldaten und Polizisten zusammenrotten, um in einer Art Delirium vom Umsturz zu faseln und ebenjenen zu planen beginnen – dann hat die Gesellschaft ein Problem.
Bislang hat sie keine Antwort auf die Radikalisierung von Teilen des bürgerlichen Milieus gefunden. Und solange Leute wie Hans-Georg Maaßen verharmlost werden und ihrerseits keine klaren Worte der Abgrenzung finden, wird es nicht lange dauern, bis es Nachahmer gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen