Scheidungsprozess in Frankreich: „Eheliche Pflicht“ zum Sex
Weil sie Sex verweigert hatte, ist eine Frau in Frankreich in einem Prozess schuldig gesprochen worden. Ihr gewalttätiger Gatte hingegen nicht.
Eine Klage der Frau gegen das Urteil von Versailles wurde abgewiesen. Ihr bleibt nun als letztes Rechtsmittel eine Beschwerde wegen „Einmischung in das Privatleben“ und „Verletzung der moralischen und körperlichen Integrität“ vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, die sie, unterstützt von feministischen Organisationen, einreichen will.
Die seit einem Arbeitsunfall behinderte 66-Jährige erklärte zum Kassationsurteil laut Onlinemagazin Mediapart: „Ich empfinde das als Rechtsverweigerung und Skandal.“ Nach 27 Jahren Ehe hatte sie 2015 die Scheidung von ihrem Mann unter anderem wegen dessen Abwesenheiten sowie „Drohungen und Tätlichkeiten“ verlangt. Er beschuldigte sie im Gegenzug, seit 2004 ihren „ehelichen Pflichten“ nicht nachgekommen zu sein, sprich: nicht mit ihm geschlafen zu haben. Sie hat dem nicht widersprochen, dies aber namentlich mit der Gewalt ihres Gatten und ihrer geschwächten Gesundheit begründet.
Das Gericht in Versailles war 2019 jedoch im Scheidungsprozess zur Ansicht gelangt, laut ihrem Eingeständnis habe sie „in schwerer und wiederholter Weise ihre ehelichen Pflichten in einer Art und Weise verletzt, die ein weiteres Zusammenleben (für ihren Gatten) unannehmbar gemacht“ habe.
„Keine sexuelle Leibeigenschaft“
Nun steht im französischen Zivilgesetz nichts von einer ehelichen Sexpflicht. Das Gericht beruft sich auf ein Präzedenzurteil von 1996, in dem es heißt: „Auch wenn es zulässig ist, aus medizinischen Gründen dem Gatten während einiger Wochen die sexuellen Beziehungen zu verweigern, ist dies nicht mehr der Fall, wenn die Weigerung mehr als ein Jahr dauert und nicht (in gegenseitigem Einvernehmen) vorgesehen war.“
In einer gemeinsamen Erklärung protestieren die Fondation des femmes und das Collectif contre le viol: „Die französische Justiz spricht damit den Frauen das Recht ab, ihr Einverständnis zu sexuellen Beziehungen geben zu können. Die Ehe ist keine sexuelle Leibeigenschaft, und darf das nicht sein.“
Es sei darum von größter Bedeutung, dass mit einem europäischen Grundsatzentscheid klar gestellt werde, dass „kein Richter die Frauen zu sexuellen Beziehungen verpflichten kann“. Bereits 1995 habe der Europäische Menschenrechtsgerichtshof diese überholte Interpretation der „ehelichen Pflichten“ aufgegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht