Russlands Armee in der Ukraine: Von Niederlage zu Niederlage
Auf das Debakel in der Ostukraine folgt Moskaus Rückzug im Süden. Ein US-General warnt: Bei russischem Atomschlag werde Putins Armee zerstört.
So setzt die Ukraine ihre Offensive fort, die die russischen Truppen bereits im September fast komplett aus dem Gebiet Charkiw vertrieben hatte. Russland zieht nun auch aus dem Norden des Gebiets Donezk ab. Beim Vormarsch aus der im September befreiten Stadt Isjum nach Osten umzingelten die ukrainischen Streitkräfte Ende voriger Woche die gut 50 Kilometer östlich liegende Stadt Lyman an der Front nördlich Slowjansk.
Am Samstagabend bestätigte Russland auch den Abzug aus Lyman. Die etwa 5.000 russischen Soldaten dort flohen entlang der einzigen noch offenen Straße gen Osten. Seitdem haben sie auch weitere Gebiete im Umland der ukrainischen Armee überlassen – eine Wiederholung der Rückzüge aus dem Gebiet Charkiw mehrere Wochen zuvor.
Berichten zufolge sind viele der betroffenen russischen Soldaten frisch entsandte Reservisten aus der russischen Mobilmachung, die mit nur rudimentärer Ausbildung und Ausrüstung direkt an die Front „geworfen wurden“.
Der Verlust von Lyman setzt den russischen Versuchen ein Ende, von Norden aus in den ukrainisch kontrollierten Teil des Donbass in Richtung der ukrainisch gehaltenen Städte Slowjansk und Kramatorsk vorzustoßen. Russische Militärblogger und Kommentatoren werten das einhellig als Katastrophe und als Zeichen für die andauernde Inkompetenz im russischen Militär, die auch durch die von Präsident Putin verfügte Mobilmachung nicht behoben worden sei.
Ukrainische Truppen wieder im Gebiet Luhansk
Im Gegenteil: Inzwischen nähern sich ukrainische Truppen sogar wieder dem einst heißesten Schlachtfeld des Donbass-Krieges: den Städten Sewerodonezk und Lyssytschansk im Gebiet Luhansk, die im Juni und Juli nach Kämpfen mit Tausenden Toten an Russland gefallen waren.
Seit Sonntag ist auch von größeren ukrainischen Vorstößen an der Südfront des Krieges im Gebiet Cherson die Rede. Am Westufer des Dnipro sollen ukrainische Truppen bis zu 40 Kilometer tief in das besetzte Gebiet vorgestoßen sein, assistiert durch erfolgreiche ukrainische Angriffe an anderen Frontbereichen in Cherson.
Experten zitieren auf Telegram veröffentliche Rufe der russischen Einheiten im Gebiet Cherson nach verstärkter Luftunterstützung. Verstärkung am Boden gibt es für die russische Armee am Westufer des Dnipro, einschließlich der Stadt Cherson, nicht mehr, denn die ukrainische Artillerie hat die Flussbrücken zerstört.
Russische Forderungen nach Eskalation
Das Debakel von Lyman nährt in Russland Forderungen nach einer drastischen Eskalation. Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow kritisierte am Samstag auf Telegram die russischen Kommandeure für den Abzug aus Lyman und schrieb: „Meiner persönlichen Meinung nach sollten drastischere Maßnahmen ergriffen werden, bis hin zur Verhängung des Kriegsrechts in den Grenzregionen und bis zum Einsatz von Atomwaffen mit geringer Sprengkraft.“ Dmitri Medwedew, Nummer zwei des russischen Sicherheitsrates, hatte zuvor mit dem Einsatz „strategischer Atomwaffen“ gedroht, sollten annektierte Gebiete angegriffen werden.
Russlands deutliche atomare Drohung sorgt für deutliche Reaktionen. Der pensionierte US-General und Ex-Geheimdienstchef David Petraeus erklärte am Sonntag in einem TV-Interview mit ABC, in einem solchen Fall würden die USA die gesamte russische Armee in der Ukraine und die russische Schwarzmeerflotte zerstören: „Wir würden darauf antworten, indem wir eine kollektive Nato-Bemühung anführen, die jede russische konventionelle Kraft vernichtet, die wir auf dem Schlachtfeld in der Ukraine sehen und identifizieren können, auch auf der Krim, und jedes Schiff im Schwarzen Meer.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos