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Russische Vermögen und UkrainekriegBeim EU-Gipfel könnte es knallen

Die einen wollen russisches Geld der Ukraine zur Verfügung stellen, andere Länder wie Belgien oder Malta stellen sich quer. Was die Gegner befürchten.

Der Rubel rollt nicht – aber bald könnte er in die Ukraine fließen Foto: Aleksandr Manzjuk/Kommersant/ddp
Eric Bonse

Aus Brüssel

Eric Bonse

So viel Drama ist selten: Kurz vor dem EU-Gipfel, der am Donnerstag in Brüssel beginnt, haben Bundeskanzler Friedrich Merz und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (beide CDU) vor einem Scheitern Europas gewarnt. Auch Gipfelchef António Costa macht großen Druck.

Costa sagte, er werde nicht lockerlassen, bis der Streit über das in der EU festgesetzte russische Vermögen – circa 210 Milliarden Euro – gelöst ist. Damit reiht sich dieser „Schicksalsgipfel“ in die Reihe dramatischer Treffen wie zur Zeit der Schuldenkrise 2015 oder der Coronakrise 2020 ein.

Auch dieses Mal könnten die 27 Staats- und Regierungschefs mehrere Tage und Nächte brauchen, um eine Einigung zu finden. Deutschland will eine Entscheidung zum russischen Geld zwar schon am ersten Gipfeltag erzwingen. Doch das dürfte schwierig werden – denn es regt sich Widerstand.

Für Unruhe sorgt nicht nur das „Reparationsdarlehen“ für die Ukraine, das die EU mit russischem Geld finanzieren will. Streit gibt es auch über das Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Hier treten Frankreich und Italien auf die Bremse. Sie warnen vor übereilten Entscheidungen.

„Sollten die europäischen Instanzen etwas gewaltsam durchsetzen wollen, würde Frankreich sich dem sehr hart entgegenstellen“, sagte Präsident Emmanuel Macron. „Es wäre verfrüht, das Abkommen in den kommenden Tagen zu unterzeichnen“, warnt Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni.

Schwergewichte gehen auf Konfrontation

Damit gehen zwei Schwergewichte auf Konfrontationskurs zu Merz und von der Leyen, die auf einen schnellen Abschluss drängen. Von der Leyen will noch am Samstag nach Brasilien reisen, um den Mercosur-Pakt zu unterzeichnen. Dafür braucht sie grünes Licht der 27 EU-Staaten.

Danach sieht es bisher nicht aus. Sollte das scheitern, wäre es ein schwerer Schlag für Deutschland, das weiter auf Freihandel setzt. Angesichts der Politik von US-Präsident Donald Trump komme dem Mercosur-Deal geopolitische Bedeutung zu, heißt es in Berlin.

Um Geopolitik geht es auch beim russischen Vermögen. Auch hier spielt Trump eine wichtige Rolle. In seinem umstrittenen und mittlerweile überholten 28-Punkte-Plan für einen Ukraine-Frieden hatte der US-Präsident gefordert, das russische Geld aus Europa abzuziehen und für den Wiederaufbau der Ukraine und Geschäfte mit den USA zu nutzen. Das wollen die Europäer unbedingt verhindern.

Das russische Vermögen ist der größte und womöglich letzte europäische Trumpf im Ringen um Frieden. Die EU will diesen allerdings nicht als Hebel für Verhandlungen mit Russland einsetzen, wie es der belgische Premierminister Bart De Wever fordert.

Das russische Geld soll genutzt werden, um die Ukraine vor der Pleite zu retten. Die droht nach Angaben des Internationalen Währungsfonds IWF schon im April 2026. Für die nächsten zwei Jahre brauche Kiew 137 Milliarden Euro, sagte von der Leyen. „Europa muss zwei Drittel davon abdecken, also 90 Milliarden“, erklärte sie.

Was gegen den EU-Plan spricht

Doch Belgien, Italien, Bulgarien und Malta stellen sich quer. Sie fürchten, dass die EU zu große rechtliche, aber auch politische und finanzielle Risiken eingeht. Russland droht Belgien bereits mit Vergeltung. Belgien ist der EU-Staat, indem das meiste Geld liegt – nämlich beim Finanzverwalter Euroclear in Brüssel.

Auch die finanziellen Sorgen sind nicht unbegründet: Am Mittwoch hat die US-Ratingagentur Fitch den Ausblick für Euroclear auf „negativ“ herabgesetzt. Euroclear verwaltet internationale Anlagen im Gesamtwert von 42 Billionen Euro und gilt deshalb als systemrelevant. Auch der IWF und die Europäische Zentralbank haben vor einem unbedachten Zugriff gewarnt.

Im Extremfall könnte die EU eine Finanzkrise auslösen, wenn sie das russische Vermögen antastet, warnen Experten. In Berlin und Brüssel weist man diese Sorgen zwar als unbegründet zurück. Doch eine schwere politische Krise lässt sich wohl kaum noch vermeiden.

Kurz vor dem Schicksalstreffen in Brüssel sind die Fronten verhärtet. Nicht nur De Wever bleibt stur, auch Merz rückt keinen Millimeter von seiner Linie ab. Statt auf Konsens, wie in der EU sonst üblich, stehen die Zeichen auf Konfrontation.

Immerhin aus dem Europaparlament kommt am Tag vor dem EU-Gipfel noch eine klare Entscheidung: ein Zeitplan für das endgültige Ende von russischen Gaslieferungen an die EU. Die Abgeordneten stimmten am Mittwoch in Straßburg dafür, dass spätestens zum 1. November 2027 kein Gas mehr aus Russland importiert werden soll – weder Flüssiggas (LNG) noch über Pipelines.

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22 Kommentare

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  • Viele europäische Firmen haben immer noch Vernögenswerte in Russland. Deutsche Firmen haben 2024 etwa 1.7 Mrd Euro Steuern in RU gezahlt, ich schätze die Invetsitionen daher auf 20 - 40 Mrd Euro. Wenn RU diese Werte als Vergeltung beschlagnahmt, dann werden die enstprechenden Firmen wohl den deutschen Staat auf Schadensersatz verklagen. Es könnten also erhebliche Forderungen sehr schnell auf den deutschen Steuerzahler zukommen. Dazu kommt noch dass die Russen alle Schachspieler and daher gewohnt sind, mehrere Züge im voraus zu entwickeln. Im Gegesatz zu vd Laien, Merz und kajakallas (oder wie die heisst) die offensichtlich weder von jetzt bis gleich denken noch die Realität von Wunschdenken unterscheiden können. ich schätze also dass die Russen einige Überraschungen vorbereitet haben und bin gespannt..

    • @Gerald Müller:

      „ Wenn RU diese Werte als Vergeltung beschlagnahmt,“



      Das halte ich auch für möglich.



      „dann werden die enstprechenden Firmen wohl den deutschen Staat auf Schadensersatz verklagen. „



      Das solche Klagen vor einem deutschen Gericht auch nur angenommen würden, halte ich für ausgeschlossen. Auf welcher juristischen Grundlage denn?

  • Es ist wirklich erschreckend, wie groß das Russlandverständnis in Deutschland immer noch ist.



    Russland muss mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gestoppt werden, den Krieg weiterzuführen. Da sterben jeden Tag Menschen, die ganz sicher anderen Pläne im Leben hatten.



    Und warum?



    Weil ein Irrer Diktator es so will.



    Wenn man Putin nicht endlich stoppt, wird er die EU angreifen, während sich China Taiwan schnappt.



    In was für einer Welt leben wir eigentlich?

    • @Dirk Osygus:

      Können vor Lachen.



      Es wäre ja schön, Putin einfach zu stoppen. Aber so einfach ist das nunmal nicht. Gerade an der Frage der russischen Guthaben kann man es schön sehen: Die Verstrickungen mit Russland sind zu komplex für einfache Lösungen. Jede Aktion zeitigt mögliche Reaktionen, die einem den schönen "Putin Stoppen!"-Effekt um die Ohren fliegen lassen können.

  • Die rechtlichen Risiken wären überschaubar, die Auswirkungen auf den Finanzstandort EU nur schwer kalkulierbar. Europäer die in der Welt von gestern leben wägen natürlich zu gunsten des Finanzstandorts ab.

    Die aufgeweckteren und dazu gehört erstaunlicherweise auch Friedrich Merz, haben begriffen, das ein Überleben der Ukraine als Staat elementar ist für die Sicherheit in Europa und daher das Sicherheitsinteresse der EU überwiegt.

    Die Gewichtung auf Sicherheit könnte sich in der Zukunft als großes Plus erweisen von der ganz Europa profitiert. Dafür bedarf es aber etwas Weitsicht und die Fähigkeit nicht nur in geordneten Bahnen zu denken.

  • "...spätestens zum 1. November 2027 kein Gas mehr aus Russland..."



    Das alleine ist beschämend, peinlich und lächerlich.

  • Ist H. Merz bereit für etwaige Regressforderungen Russlands die persönliche Bürgschaft zu übernehmen und ist er in der Lage diese im Ernstfall auch zu erfüllen? Ansonsten soll er die Finger von den russischen Milliarden lassen um nicht einen riesigen Schaden für die deutschen und europäischen Steuerzahler anzurichten.

  • Russische Staatsvermögen einfach umzuwidmen klingt entschlossen, ist aber vor allem eines: ein Bruch mit dem Völkerrecht. Staatenimmunität gilt offenbar nur so lange, bis sie politisch unbequem wird. Ein rechtskräftiges Urteil zu Reparationen? Gibt es nicht. UN-Resolutionen sind moralische Appelle, keine Freifahrtscheine zur Enteignung.

    Wer heute russische Zentralbankgelder antastet, erklärt stillschweigend: Eigentumsschutz gilt situativ. Eine interessante Botschaft – vor allem an jene Staaten, die ihre Währungsreserven bisher im Euroraum parken. Vertrauen ist schnell verspielt, Finanzmärkte reagieren weniger idealistisch als Leitartikel.

    Die Ukraine braucht Unterstützung, ohne Frage. Aber ein Rechtsbruch im Namen des Guten macht Europa nicht stärker, sondern unglaubwürdiger. Wer den Rechtsstaat verteidigen will, sollte ihn nicht selbst zur Verhandlungsmasse erklären.

  • EU will Ukraine Reparationsdarlehen aus eingefroren russischem Vermögen gewähren. Das soll Kiew vor Pleite retten, doch real ist es schwaches, eskapistisches Signal. Statt echte Solidarität über Eurobonds oder den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM mit 760 Milliarden € zu aktivieren, greift EU auf eingefrorene Gelder zurück, gibt so wichtig geopolitisches Pfund für Friedensverhandlungen mit Russland aus der Hand. Historische Parallele: Zerfall der UdSSR 1991 war auch monetäre Implosion, ausgelöst durch Kapitalflucht, Vertrauensverlust. Ähnliches Risiko droht, wenn Vermögen ohne klare Rechtsgrundlage noch transparente Register genutzt werden. Besonders heikel: Klumprisiko der CFA-Franc-Zone mit 14 Ländern 200 Millionen Einwohnern, deren intransparente Vermögenslage in Krise zusätzlich Instabilität auslösen. Strukturelle Schwäche bleibt Fehlen von Vermögensregistern, in Deutschland seit Aussetzen Vermögenssteuer 1997. In postkolonialer Zeit verschärft sich Problem durch geraubtes Kapital von Eliten, das in EU geparkt ist. Werden eingefrorene Staatsvermögen genutzt, wächst Sorge vor Kapitalflucht. Solange EU ihre monetären Hausaufgaben nicht macht, doht Bumerang Effekt Vollpfost

  • Der Punkt mit dem russischen Vermoegen ist wohl von der Tagesordnung genommen worden.



    Aber unabhaengig was eventuell entschieden wird. Euroclear wird dagegen klagen und gewinnen, der Rechtsbruch koennte eindeutiger nicht sein, und dann?

    • @elektrozwerg:

      Da es auf höchster europäischer Ebene entschieden wird durch jene, die die Mittel haben das geltende Recht zu gestalten, würde ich mir um den Punkt weniger Sorgen machen. Moralisch gesehen steht das Geld der Ukraine zu, nach den Zerstörungen und dem Leid, welches die russischen Faschisten völkerrechtswidrig in der Ukraine verübt haben. Euroclear's Gier auf Profite sollte da keine Rolle spielen.



      Was allerdings befürchtet werden könnte wäre der Vertrauensverlust auf den Finanzmärkten wegen der Konfiszierung der Gelder. Aber da wir heutzutage in eine Phase des Isolationismus eintreten, werden die globalen Finanzmärkte ohnehin langfristig an Bedeutung verlieren. In dem Sinne kann das Freihandelsabkommen mit Südamerika auch gerne in die Tonne wandern.

    • @elektrozwerg:

      Zahlen die EU Staaten. Ehrlicher wäre es, das den Menschen gleich zu sagen.

    • @elektrozwerg:

      Und worin besteht der eindeutige Rechtsbruch genau? Das verbuchte Barvermögen fällt nicht unter die Staatenimmunität, der Immunitätsschutz bezieht sich auf die Ansprüche Russlands gegenüber Euroclear und diese Ansprüche bleiben bestehen. Es geht daher rein um das Haftungsrisiko.

      Bei der Staatenimmunität wird unterschieden zwischen Jure Imperii und Jure Gestionis. Können sie als "Rechtsexperte" ja gerne selbst einmal nachprüfen, wie sich das in Bezug auf russische Vermögenswerte auswirkt.

  • Seit fast vier Jahren tobt der Krieg in der Ukraine und wir füllen immer noch die Kriegskasse Russlands durch den Kauf von Gas - kaum zu verstehen!

  • Die neumodische Auffassung, die EU würde in der Welt nicht ernst genommen, geht IMHO wohl vollkommen fehl!

    Der russische KGB ist wohl in kaum einen Land so politisch aktiv wie in Belgien, so meine Einschätzung, warum Belgien sich querlegt. Dort liegt nämlich die EU-Quasihauptstadt Brüssel. Da den russischen Oligarchen es nicht passt, dass ihre Vermögen in der Ukraine verfrühstückt werden sollen, und sei es auch nur für den edlen Zweck des Wiederaufbaus, haben sie ihren besten Freund im Kreml gebeten, den in Brüssel gut vernetzten KGB anzusetzen auf PolitikerInnen Belgiens und der EU, um sie zu einer Blockade gegen die beabsichtigte Mittelverwendung der großteils in Belgien eingefrorenen Vermögenswerte einzuspannen. Belgische Politiker als russische Marionetten? Putins politisches Weihnachtsgeschenk für seine oligarchischen Freunde?

    • @Uwe Kulick:

      Ich bin wirklich neugierig, woher Sie dieses Insiderwissen haben. Oder doch nur alles Verschwörungsgeraune?

      Vielleicht ist es auch nur so, dass manche der EU-Staaten ein weniger taktisches Verhältnis zum Völkerrecht haben als Herr Merz?

    • @Uwe Kulick:

      Fast beneidenswert, wenn jemand so guten Zugang zu den Interna eines Geheimdienstes hat 😉

    • @Uwe Kulick:

      Den KGB gibt es nur noch in Belarus. Davon abgesehen klingen Ihre Ausführungen absurd. Man muss die starken rechtlichen und wirtschaftlichen Bedenken nicht teilen, aber so zu tun als wenn sie nicht existieren ist unangebracht.

  • Tja, besser wäre es wohl gewesen das Versprechen zu halten, als die Nato weiter Richtung Russland zu erweitern. Aber Gier frisst Hirn.

    • @Peter Teubner:

      Können wir mal bitte von diesem Kremlnarrativ weg?



      Diees Versprechen gab es so nicht. Zusätzlich hat der russische Präsident selbst NATO-Mitgliedschaften zur inneren Angelegenheit der jeweiligen Staaten erklärt.



      Und es auch nicht so, als hätte die NATO Ausbreitungswillen gehabt.



      Es gab Staaten, die Mitgliedschaftsanträge gestellt haben und aufgenommen wurden.



      Warum stellten diese Staaten Mitgliedschaftsanträge? Weil sie zu dem Schluss kamen, dass sich in Moskau zuwenig geändert hat gegenüber den diversen Zeiten in denen von dort befohlen wurde diese Staaten zu unterjochen.

    • @Peter Teubner:

      Gab es so ein Versprechen? Wenn ja, wo steht es geschrieben? Und wollte die NATO die ehemaligen Ostblockstaaten aufnehmen? Oder wollten diese selbst in die NATO?

    • @Peter Teubner:

      "...Versprechen zu halten, als die Nato weiter Richtung Russland zu erweitern."



      Dass das für den Überfall auf die Ukraine außer in der russischen Propaganda keine Rolle gespielt hat, ist eigentlich nicht mehr in Frage zu stellen.



      Dass Russland der Ukraine schriftlich zugestanden hat, Bündnisse frei eingehen zu können (ausdrücklich einschließlich einer NATO-Mitgliedschaft), ist Fakt. Kann man wissen, wenn man sich für dieses Thema interessiert.