Regierungschefs besuchen Kiew: Unmissverständliche Solidarität
Dank der deutschen Zurückhaltung ist die Bedeutung der Länder Ostmitteleuropas im Ukrainekrieg politisch gewachsen. Deutschland gilt als Appeaser.
D ie recht abenteuerlich anmutende Visite der Regierungschefs von Polen, Slowenien und Tschechien in der umkämpften ukrainischen Hauptstadt Kiew am Dienstag beweist mal wieder, dass Raum und Zeit nur Formen unserer sinnlichen Anschauung sind. Denn der Westen reicht heute bis tief in die Ukraine. Als Wertegemeinschaft zumindest.
Die Ministerpräsidenten waren ja nicht auf eigene Faust am frühen Morgen per Zug von Warschau nach Kiew gereist, um dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski ihre „unmissverständliche Unterstützung“ auszudrücken. Sondern auch als Vertreter der EU und des Europarats. Mag die EU ihre ersten Andeutungen eines beschleunigten EU-Beitritts der Ukraine auch relativiert haben, wobei die Idee ja schon von Anfang an eher emotional begründet schien. Zu „Europa“ und ihren Werten gehöre die Ukraine schon jetzt. Das ist die unüberhörbare Meta-Message dieses Besuchs.
Dank der deutschen Zurückhaltung sind die Länder Ostmitteleuropas außenpolitisch enorm gewachsen. Aber wer würde auch die Lage der Ukrainer besser verstehen als die, die sie aus historischer Erfahrung kennen? Die Tschechen zum Beispiel erkennen im Minderheitenkampf im Donbas die Sudetenkrise von 1938 wieder und russische Panzer sind überall in der Region noch in lebhafter und leidvoller Erinnerung.
Sehr viele Menschen in Osteuropa sehen Deutschland heute in der Rolle des „Appeasers“. Die Deutschen glauben offenbar noch immer, so der Eindruck, Autokraten und Diktatoren beschwichtigen zu können. Deutschland, so der Vorwurf, hat viel zu viel Angst vor Putin und seinen Drohungen.
Viel lieber würde Mitteleuropa eine härtere Linie fahren, von Waffenlieferungen bis Flugverbotszone. Die wird inzwischen ja schon von den baltischen Staaten gefordert und findet in den Visegrad-Staaten immer mehr Unterstützung. Aber wenn die EU ihren Eiertanz zwischen Slava Ukraina und Putin-Appeasement so weitermacht, könnte sich bald eine Spaltung der EU-Außenpolitik abzeichnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“