Plattform gegen Steuersünder: Der Staat sind wir
Die Plattform gegen Steuersünder als „Steuer-Stasi“ zu bezeichnen ist absurd. Demokratiefeindlich ist vielmehr die Kritik der Konservativen daran.
F ür FDP und Union müsste ein ganz neues Sabbatical eingeführt werden: Zwangsurlaub in Schweden. Die SpitzenpolitikerInnen dürften es dort durchaus gemütlich haben, mit Sauna und Segelboot, aber täglich müssten sie eine Stunde Fortbildung zum Thema Steuern besuchen. Dann würden die geifernden Konservativen aus Deutschland vielleicht endlich verstehen, wie absurd es ist, von „Steuer-Stasi“ oder „Denunziantentum“ zu sprechen, nur weil Baden-Württemberg jetzt eine Plattform freigeschaltet hat, wo Whistleblower anonym Steuersünder melden können.
In Schweden würden FDP und Union nämlich erleben, wie ein effektiver Steuerstaat funktioniert. Dort sind Steuerzahlungen kein Geheimnis, sondern öffentlich bekannt. Alle SchwedInnen können mühelos ermitteln, wie viel Geld die NachbarInnen an den Fiskus abführen – indem sie einfach beim Finanzamt nachfragen. Der Grund ist schlicht: Es ist Diebstahl, wenn BürgerInnen ihre Steuern hinterziehen. Sie greifen in die Taschen der anderen EinwohnerInnen, denn irgendwer muss den Staat ja finanzieren. Schulen oder Polizei sind nicht umsonst zu haben.
Wir alle sind der Staat, wir alle profitieren von ihm – und wir alle müssen für ihn zahlen. Das ist eigentlich offensichtlich. Genau deswegen ist es kein Zufall, dass sich FDP und Union derzeit einer Sprache bedienen, als sei Deutschland in Wahrheit eine Diktatur, die sich mit der DDR (Steuer-Stasi) oder dem NS-Regime (Blockwart-Mentalität) vergleichen ließe. Es soll der Eindruck erweckt werden, als wäre der Staat nicht das Kollektiv aller BürgerInnen – sondern das feindliche Gegenüber. Und plötzlich erscheint es wie ein Akt der Notwehr und des Widerstands, seine Steuern nicht zu zahlen.
Es ist perfide, mitten in einem demokratischen Wahlkampf so zu tun, als gäbe es diese Demokratie eigentlich gar nicht und als sei man Opfer einer Diktatur. Es ist nicht allein die AfD, die Demokratiefeindlichkeit züchtet; FDP und Union tragen ebenfalls dazu bei.
Zum Glück dürfte sich diese neueste Steuerdebatte bald totlaufen – weil nämlich auch Bayern seine BürgerInnen auffordert, Steuersünder anonym zu melden. Diese Tatsache hatte die CSU kurz übersehen, als sie gegen den grünen Finanzminister in Baden-Württemberg geiferte. Aber ein Trost ist es nicht, wenn an der Steuerfront demnächst wieder Ruhe einkehrt: Die Posse hat einmal mehr gezeigt, dass die bürgerlichen Parteien jederzeit bereit sind, den demokratischen Staat zu diskreditieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich