Pistorius lässt Scholz den Vortritt: Der beschädigte Kandidat
Nach dem Verzicht von Pistorius auf die SPD-Kanzlerkandidatur ist der Weg frei für Scholz. Er behält das Manko, dass seine Partei ihm nur bedingt vertraut.
N un ist der Weg für Olaf Scholz frei. Mit dem Verzicht von Boris Pistorius, der am Donnerstagabend erklärt hat, er stehe nicht als Kanzlerkandidat zur Verfügung, ist klar: Der amtierende SPD-Kanzler wird auch der SPD-Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl am 23. Februar.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass ein Kanzler auch der nächste Kanzlerkandidat ist, es sei denn, er ist alt und tatterig. Doch die SPD-Führung hatte es spannend gemacht. Tagelang ließ sie eine Debatte schwelen, die vom Lagerfeuer zum Großbrand zu werden drohte. Wer wird es denn – Scholz oder Pistorius?
Eine Debatte, die Brandwunden bei allen Beteiligten hinterlässt. Zum einen bei der Parteiführung um Lars Klingbeil, Saskia Esken und Matthias Miersch, die einen Wahlkampf vorbereitet, der den Leuten klarmachen soll, dass die SPD, die richtige Partei ist, dieses Land zu führen.
Nur wer soll das glauben, wenn genau diese SPD nicht einmal imstande ist, die eigenen Führungsfragen zeitnah zu klären, sondern stattdessen Verunsicherung und Irritationen zuließ? Das sind die Worte von Boris Pistorius, mit denen er die Diskussionen beschreibt. Da klingt deutliche Kritik am Führungsversagen der Parteispitze durch.
Die Diskussion der letzten Tage beschädigt aber auch Olaf Scholz. Denn er geht als der Kanzlerkandidat ins Rennen, dem die Partei nur bedingt vertraut. Das zeigt sich an Äußerungen von Orts- und Kreisverbänden und von Bundestagsabgeordneten. Das zeigt sich aber auch am Zögern der Parteispitze.
Wieso hatte die nicht das Momentum des 6. November genutzt, als der Kanzler den Finanzminister entließ, die Ampel für beendet erklärte und Neuwahlen ankündigte, um Olaf Scholz aufs Schild zu heben? Hatten Klingbeil, Esken und Miersch nur gepennt? Oder hatten sie trotz öffentlicher Pro-Scholz-Bekundungen doch Zweifel am Kanzler, der selbst bei den SPD-Anhänger:innen schlechtere Zustimmungswerte hat als Boris Pistorius? Wahrscheinlich beides.
Beliebtheitswerte sind wie Wattebäuschchen
Doch die Nominierung von Boris Pistorius wäre gleichfalls ein Risiko gewesen. Denn Beliebtheitswerte sind wie Wattebäuschchen, sie müssen erst noch umgemünzt werden in harte Währung, heißt in Wähler:innenstimmen. Und da gibt es durchaus berechtigte Fragen, ob der Verteidigungsminister auch als Wirtschaftsexperte, Pflegefachmann oder Sozialsystemerklärer glänzen kann.
Scholz ist, anders als Pistorius, ein Generalist, er steckt in allen Themen drin. Zudem hätte man Scholz, der immer klargemacht hat, dass er Kanzler ist und bleiben will, erst noch stürzen müssen. Und obwohl die Lust am Verrat in der SPD nicht gerade klein ist – niemand liebt den Verräter. Klingbeil der Kanzlerkiller? Das war dann wohl doch eine Nummer zu groß.
Einzig und allein Pistorius geht aus dieser Debatte wohl noch beliebter als zuvor, obwohl man sich schon fragen kann, weshalb er seinen Verzicht nicht früher erklärte. Doch nun hat er der Partei einen Ehrendienst erwiesen und sich gleichzeitig an die Seite von Scholz gestellt. Das hilft.
Hat die SPD nach diesem in jeder Richtung verkorksten Start in den Wahlkampf überhaupt noch eine Chance gegen die Union und Friedrich Merz? Ja, denn die Zeiten sind schnelllebig, das politische Gedächtnis kurz. Merz wirft heute auch niemand mehr vor, dass er zweimal daran scheiterte, Parteivorsitzender zu werden. Er musste seine Kanzlertauglichkeit bislang auch nicht unter Beweis stellen. Stattdessen konnte erst zu allem Nein sagen, sich die letzten Tage entspannt zurücklehnen und dem Scheidungsdrama, das die SPD aufspielte, zusehen.
Der Glauben an die SPD als Problemlöserin hat schwer gelitten
Wenn die SPD es jetzt tatsächlich schafft, zu der Geschlossenheit zurückzufinden, die sie 2021 zum Wahlsieg trug, dann könnte sie der Union die Stirn bieten. Sie wird sich als Bollwerk des Sozialstaats gegen die Angriffe der Union auf diesen generieren. Ob das als Erzählung reicht, wird man sehen. Der Glauben an die SPD als Problemlöserin hat während der vergangenen zwei Jahre schwer gelitten. Der schwerste Kampf steht Olaf Scholz erst noch bevor. Der um die Glaubwürdigkeit.
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