Ole Nymoen und die Frage des Krieges: Kampflos in die Unfreiheit?
Der deutsche Bestseller-Autor Ole Nymoen will nicht für sein Land kämpfen und würde dafür ein Leben in Unfreiheit in Kauf nehmen. Ein Pro und Contra.
B ei der Frage, wie man mit den Thesen des Autors Ole Nymoen in seinem Buch „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ umgehen sollte, ist die Redaktion – wie so oft – nicht einer Meinung. Ein Pro & Contra.
Pro
Von Pauline Jäckels
Für den deutschen Staat weder sterben noch töten zu wollen, ist absolut nachvollziehbar. Wichtiger als die individuelle Haltung ist die Klassenfrage.
Sie ist wieder da, die Debatte um die Wehrpflicht. Noch setzen SPD und CDU auf Freiwilligkeit, doch zumindest die Union wünscht sich langfristig eine Pflicht – für Männer und Frauen. Aus konservativer Sicht ist das folgerichtig. Meint man es mit der neuen deutschen Kriegstüchtigkeit ernst, reichen viele neue, schuldenfinanzierte Panzer allein nicht aus. Es braucht auch Menschen, die sie bedienen – und im Ernstfall, etwa bei einem russischen Angriff auf einen Nato-Partner, bereit sind, damit zu töten. Nur ist der Großteil der jungen Menschen eben dazu nicht bereit: Lediglich 19 Prozent aller Befragten würden laut Forsa-Umfrage im Ernstfall ihr Land mit der Waffe verteidigen. Wer das öffentlich sagt, wird im Netz oder in Talkshows als Vaterlandsverräter oder – in der grün-liberalen Variante – als naive, friedensverwahrloste Lumpenpazifistin beschimpft. Auch ich wage mich hiermit an die deutsche Debattenfront: Weder will ich gebären noch töten oder sterben für Deutschland. Auch nicht für Europa. Und erst recht nicht für die Nato.

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Wenn junge Menschen wie der Autor Ole Nymoen sagen, sie würden „lieber in Unfreiheit leben, als für Freiheit zu sterben“, ist das zunächst eine persönliche Haltung. Sie als naiv abzutun, greift zu kurz. Vielmehr ist sie Ausdruck eines grundlegenden Lebenserhaltungsdrangs, der den kaum ausgeprägten Patriotismus junger Menschen in Deutschland überlagert.
Nymoens eigentliches Argument liegt woanders: Wer kämpft für wessen Freiheit? Staaten führen Kriege nicht primär zum Schutz der Bevölkerung oder abstrakter Werte. Entweder sie wollen Territorium gewinnen, um Macht auszuweiten, oder verteidigen es, um Souveränität zu erhalten. Die Bevölkerung – in Friedenszeiten Humankapital – wird im Krieg zu Menschenmaterial. So funktionieren Nationalstaaten. Warum also sollten Linke diese Logik übernehmen? Um den Gedanken weiter zu präzisieren: Krieg ist eine Klassenfrage. Es sind nicht die Kinder von Abgeordneten, Konzernvorständen, Talkshow-Gästen, die als Erste im Schützengraben landen. Sondern die von Verkäuferinnen, Paketboten, Pflegekräften. Wer über Einfluss oder Geld verfügt, wird Wege finden, die eigenen Kinder vom Wehrdienst zu befreien. Weder ein Angriffs- noch ein Verteidigungskrieg gegen Russland ist im Interesse der arbeitenden Bevölkerung.
Statt die Kriegslogik zu übernehmen, sollten sich Linke dagegen organisieren und Druck ausüben, damit der Staat nicht auf eine gefährliche Aufrüstungspirale setzt, sondern auf diplomatische Mittel, um ein Kriegsszenario abzuwenden. Selbst wenn man meint, man ginge an die Front für Demokratie und Freiheit: Ein Szenario, in dem die AfD in vier oder acht Jahren stärkste Kraft wird, ist nicht unwahrscheinlich. Dass sich der rechte Flügel der CDU durchsetzt und eine blau-schwarze Koalition eingeht, ist vorstellbar. Dann bauen wir heute eine Armee auf, die morgen einer AfD-Regierung dient – und verteidigen eine Unfreiheit gegen die nächste.
Contra
Von Simone Schmollack
Der Autor Ole Nymoen weiß nicht, wovon er spricht, wenn er ein Leben in Unfreiheit dem Kampf für Freiheit vorzieht, wie er in seinem Buch „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ schreibt. Das aber trotzdem vorweg: Ich kann vielen seiner Thesen folgen. Er hat recht, wenn er sagt, dass man im Krieg sterben oder verwundet werden kann. Ich stimme ihm zu in der Annahme, dass man durch einen Krieg – ob mit oder ohne physische Verletzungen – schwere psychische Schäden davontragen kann. Er hat ebenso recht, wenn er fürchtet, im Krieg auf Menschen schießen zu müssen, mit denen er bis dahin friedlich nebeneinander lebte oder die er noch nicht einmal kannte. Ich kann also verstehen, dass der 27-Jährige keine Waffe in die Hand nehmen und schon gar nicht sterben will. Wer will das schon?
Und doch muss ich ihm heftig widersprechen. Seine Idee, lieber in Unfreiheit zu leben, als für Freiheit zu sterben, mag bedeutsam, mutig, postheroisch klingen, weil sich Nymoen damit der neuen deutschen Kriegstüchtigkeit in den Weg stellt. Aber es ist nicht mutig, sich freiwillig in Unfreiheit zu begeben. Im Gegenteil, es ist naiv und zeugt lediglich davon, dass Nymoen keine Ahnung von einem Leben in Unfreiheit hat. Wie sollte er das auch wissen? Er wurde 1998 in Freiheit geboren, er wuchs in Freiheit und Wohlstand auf, er darf, seit er sprechen kann, alles sagen, was er denkt. Als Journalist wird er wegen seiner Arbeit weder bestraft noch verhaftet, gefoltert,ermordet. Anders als viele andere Menschen, die in ihren Ländern für Freiheit kämpfen: Russland, Türkei, China, Afghanistan, Saudi-Arabien, Iran – um nur einige zu nennen.
Nymoen lebt ein privilegiertes Leben in einer Demokratie, das Leben in einer Diktatur, in Unfreiheit, kennt er nur theoretisch. Ich bin in einer Diktatur groß geworden und weiß, was das heißt. Auch wenn ich nicht, so wie viele DDR-Dissidenten, im Stasi-Knast war und dort vergiftet, gefoltert, gedemütigt wurde. Von der Stasi verfolgt und bedroht indes wurde ich schon, sie legte mehrere Dossiers über mich an, meine Wohnung war verwanzt. In einer Diktatur hat schon jedes kleine Kind die berühmt-berüchtigte Schere im Kopf: Was darf ich im Kindergarten und in der Schule sagen, damit meine Eltern keinen Ärger bekommen? Studierende umso stärker, weil sie exmatrikuliert werden könnten.
Wer etwas Falsches, etwas Kritisches sagt, wer demonstriert und aufbegehrt, der muss damit rechnen, inhaftiert und getötet zu werden. Müttern werden ihre Kinder weggenommen, Menschen verschwinden. Es geht den Diktatoren immer darum, maximalen Druck gegen Gegner:innen aufzubauen, Angst zu schüren, Denunziantentum zu produzieren. DAS ist Unfreiheit in einer Diktatur – und nicht etwa ein Deutschland wie heute, nur mit ein paar Einschränkungen.
Aber Ole Nymoen kann ganz gelassen bleiben: Die Wehrpflicht wird zunächst nicht wieder eingeführt, es ist auch in absehbarer Zeit nicht realistisch. Er muss also gar nicht in den Krieg. Ich wünsche ihm, dass er nie in Unfreiheit leben muss. Autoritäre Regime aber, die gibt es nach wie vor. Und es dürften mehr werden.

leitet das Meinungsressort der taz und ist jeden Tag dankbar für die Freiheit, in der sie seit dem Mauerfall lebt.
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