Nach der Bundestagswahl: Jetzt kommt es auf den Kanzler an
Drei Erkenntnisse aus der Wahl: Einen so harten Rechtsruck gab es noch nie. Die SPD muss leider regieren. Merz wird hoffentlich erwachsen.
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Z umindest unterhaltsam war diese Wahl. Die totgeglaubte Linkspartei erlebt, unter tätiger Mithilfe von Friedrich Merz, eine Wiederauferstehung, an die nur Unvernünftige glauben konnten. Christian Lindner bringt das Kunststück fertig, in sechs Monaten eine Regierung und die eigene Partei in den Abgrund zu stürzen. Bei seinem Rückzug aus der Politik redet er über das, was ihm am wichtigsten ist – sich selbst. Die Anti-Ampel-Stimmung beendet die politische Karriere von Olaf Scholz und wohl auch von Robert Habeck. Sahra Wagenknechts Stern strahlt hell und verglüht schnell – und illustriert lehrbuchhaft, dass Populismus stimmungsabhängig ist. Die Wahlbeteiligung ist so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. Die Gesellschaft ist extrem polarisiert – und das nutzt der rechtsextremen AfD.
Und nun? Es gibt eine bittere Erkenntnis und eine Frage.
Diese Wahl ist ein Rechtsruck, wie es ihn seit 1949 noch nicht gab. Die AfD wird zum Player im politischen Geschäft. Es ist ihr gelungen, ohne Grenzziehung zum Rechtsradikalismus, millimeterweise als normaler Teil des politischen Spektrums wahrgenommen zu werden. Der Parlamentarismus hatte bisher, wie die Geschichte der Grünen und auch der Linken zeigte, eine mäßigende Wirkung. Das gilt bei der AfD nicht mehr.
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Für ihren Erfolg brauchen Weidel & Co. kein entfernt realitätstüchtiges Programm. Die Anti-EU-Politik der AfD würde Deutschland jäh in eine katastrophale Wirtschaftskrise stürzen. Es reicht der AfD, eine aggressive Sehnsucht nach einem besseren Früher zu schüren – weil der Zukunftshorizont vielen bedrohlich dunkel erscheint. Je finsterer die Stimmung, desto erfolgreicher ist die AfD. Die Mitte-Links-Parteien haben keine Gegenerzählung, hissen mal kurz die Antifa-Fahne und schauen ratlos zu. Die Ampel ist auch gescheitert, weil viele bei dem Wort Fortschritt derzeit Schlimmes befürchten.
Die AfD sitzt mit am Tisch
Im Osten entwickelt sich die AfD zur führenden Volkspartei, die bei Jungen und Alten, Arbeitern und Mittelschicht gleichermaßen akzeptiert wird. Die Brandmauer wird wohl endgültig im Osten abgerissen werden. Warum soll die CDU in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg denn künftig nicht mit der AfD zusammenarbeiten, wenn das sogar im Bundestag schon vorexerziert wurde?
Merz, Kanzler in spe, hat den Prozess der Normalisierung der Rechten extrem beschleunigt, als er ohne jede Not ausgerechnet bei der Migration, dem rechten Kernthema, die AfD auf die Auswechselbank platziert hat: Die Rechtsextremen dürfen zwar noch nicht mitspielen. Aber schon die vage Vorstellung, dass dies möglich ist, verschiebt die politische Landschaft nach rechts.
Die neue Macht der AfD beeinflusst auch die neue Regierung. In den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD wird die AfD als Erpressungsmacht unsichtbar mit am Tisch sitzen. Denn nichts diszipliniert die Sozialdemokratie wirksamer als das Szenario, dass Rechtsextreme in Deutschland an die Macht kommen könnten – und sie auch noch Mitschuld an dem Debakel hätten. Diese Drohung muss gar nicht ausgesprochen werden. Merz kann so oft und heftig dementieren, niemals mit der AfD zu regieren. Die Drohung, dass es andere Mehrheiten geben kann, wirkt unsichtbar.
Zur Macht verdammt
Die Große Koalition ist alternativlos – und so klein wie noch nie. Diese Groko repräsentiert noch nicht mal die Hälfte der WählerInnen. Sie ist das letzte Aufgebot der alten politischen Mitte der Bundesrepublik.
Und die SPD ist zum Regieren verdammt. Sie wirkt tapfer, gefasst – und noch ratloser als 2017, als sie sich schon mal unwillig in eine Groko presste. Weil die politische Dramaturgie nach Niederlagen Konsequenzen vorsieht, wird Lars Klingbeil Fraktionschef. War er als Parteichef nicht verantwortlich für die Niederlage?
Die SPD regiert fast ununterbrochen seit 1998 mit. Sie ist eine technokratisch verholzte Machterhaltungsmaschine. Nur die Opposition könnte eine Art Sauerstoffzufuhr für die Partei sein. Es ist fast tragisch, dass die SPD sich diesen Luxus nicht leisten kann.
Denn jetzt regiert eisern Verantwortungsethik. Angesichts der eskalierenden Krisen – dem möglichen Zusammenbruch der Ukraine, dem Ende des Westens und des Bündnisses mit den USA und der wankenden EU – braucht die Bundesrepublik ja schnell eine Regierung.
Bricht die alte bundesrepublikanische Ordnung?
In der politischen Kultur der alten Bundesrepublik wurde die SPD für die undankbare Rolle als Juniorpartner entschädigt. Für die Union waren Inhalte und Programme sowieso nicht so wichtig – sie beschenkte die SPD mit freundlichen Kompromissen. In dieser Logik würde die Union der lädierten SPD jetzt Brücken bauen und bei deren Kernthemen wie Mindestlohn oder Rente großzügig entgegenkommen.
Aber existieren die Regeln der alten, konsensorientierten Bundesrepublik noch? Viel hängt von Merz und seinen schneidigen Mitstreitern Linnemann und Spahn ab. Nutzen sie die Erpressungsmacht AfD, um die SPD, die Merz für einen Teil der „schwindenden linken Minderheit“ hält, an die Wand zu drücken? Das ist der Lackmustest, der zeigt, ob die Union noch ein Pfeiler der alten bundesrepublikanischen Kompromiss-Ordnung ist – oder ob sie auf die dunkle Seite der Macht und in das Lager der Disruption wechselt.
Dennoch: ein paar Lichtblicke
Wo bleibt das Positive? Nun: Es hätte noch schlimmer kommen können. Weil dem BSW ein paar tausend Stimmen fehlten, bleibt uns der noch größere Schrecken erspart – das Zwangsbündnis von Union, SPD und Grünen. In diesem Stück wäre Christian Lindners Rolle des nörgelnden Zerstörers ansatzlos von Markus Söder übernommen worden. Die Kenia-Koalition hätte den Vorteil gehabt, dass die Umwelt- und Klimapolitik nicht, wie jetzt zu befürchten ist, „unter ferner liefen“ verhandelt wird. Aber diese Konstellation wäre stets Gefahr gelaufen, zum qualvoll zerstrittenen Wiedergänger der Ampel zu werden.
Deutschland braucht mehr Geld für Verteidigung, mehr Geld für Infrastruktur, vielleicht auch für Flüchtlinge aus der Ukraine. Union, Grüne und SPD haben auch mit den Grünen keine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag, um eine Reform der Schuldenbremse zu beschließen. Aber die Groko kann ein Sondervermögen oder die Aussetzung der Schuldenbremse beschließen und diese absurde Selbstfesslung beenden. Dass die FDP der Union nicht mehr im Nacken sitzt, mag das erleichtern.
Auch hier hängt fast alles von Merz ab. Begreift er, dass er für eine stabile Groko und für die Republik die ideologische Fixierung auf die Schuldenbremse hinter sich lassen muss? Streift er seinen hektischen Populismus im Kanzleramt ab?
Man kann hoffen, dass Merz, der sich schon immer als kommender Kanzler sah, nun, am Ziel seiner Wünsche angekommen, ruhiger, klüger, ja besonnener wird. Man kann hoffen, dass der Gestus des aggressiven Kulturkämpfers, dass das überschäumend Unerwachsene in ihm verschwindet und das Staatsmännische zum Vorschein kommt. Auf den Kanzler kommt es an. Es ist eine wacklige Hoffnung.
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