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Möglicher Sturz des Regimes in IranKeine spontane Heilung

Was nach einem Sturz des Regimes in Teheran passieren würde, ist gänzlich unklar. Das Fehlen jeglicher Systemalternative ist beängstigend.

Der oberste Führer Ajatollah Ali Chamenei (3l) beim Besuch einer Militärakademie in Teheran

D ie meisten Iraner und Iranerinnen kennzeichnet ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein; so ist es im Inland wie im Ausland. Das könnte eine gute Voraussetzung sein für eine organisierte politische Opposition, in enger Abstimmung mit der Expertise von Protagonisten im Exil. Die Realität ist indes anders: Weder im Inland noch im Ausland ist eine demokratische Kraft erkennbar, die in Teheran Verantwortung übernehmen könnte, wenn das jetzige System implodiert. Und es scheint in erschreckendem Maße unklar, was überhaupt an dessen Stelle treten soll.

Es ist richtig, für die Proteste Partei zu ergreifen, und der Mut der Kämpfenden schreibt Emanzipationsgeschichte. Und doch wächst Tag für Tag meine Beklemmung und meine Furcht, Iran gehe entweder einer Militärdiktatur oder einem Staatszerfall entgegen.

Wer auf die gegenwärtige Situation analytisch blickt, statt sich allein moralisch zu positionieren, wird leicht der Sympathie für die Islamische Republik verdächtigt. Deshalb sei vorausgeschickt: Die Frauen und Männer in Iran haben jedes Recht der Welt, so zu protestieren, wie sie es für richtig halten. Unübersehbar aber ist zugleich, wie der Mangel an politischer Repräsentanz sie zusätzlich verletzlich macht und dem Sicherheitsapparat ausliefert. In hiesigen Medien aber ist es üblich geworden, an den Zahlen der Getöteten zu messen, wie stark die Bewegung ist, als seien Todeslisten ein Ersatz für Manifeste.

Wie könnte sich ein künftiger Iran, im Einklang mit seiner Kultur, seiner Geschichte und seiner sensiblen geostrategischen Lage in Westasien definieren? Mit welchem Wirtschaftssystem, welcher Außenpolitik? Wie seine Ressourcen und Grenzen schützen? Auf alle diese Fragen gibt es keine Antwort.

Keine Vision, die Vertrauen findet

Stattdessen höre ich: Dies ist ein revolutionärer Moment, es gibt kein Zurück, Staat und Regime müssen stürzen, und zu dessen Beschleunigung soll Deutschland seine Beziehungen zu Iran abbrechen. Müsste es nicht Teil politischer Verantwortung sein, eine Systemalternative zu erörtern, mit aller verfügbaren internationalen Kompetenz, und daran auch den Takt eigener Forderungen auszurichten?

In 43 Jahren Islamischer Republik ist es der großen westlichen Diaspora mit so vielen hervorragenden Individuen in Wissenschaft und Politik nicht gelungen, eine Vision oder ein Übergangsmodell hervorzubringen, das im Land selbst auf Anklang stoßen würde, gar Vertrauen fände. Während in Iran eine hochdiverse Gesellschaft entstanden ist, stechen aufseiten des Exils immer noch (oder wieder) Gestrige hervor: die autoritäre Sekte der Volksmudschaheddin und die Monarchisten. Der gewachsene Einfluss Letzterer zeigt sich an der Popularität eines beschönigenden Blicks auf die Schah-Zeit: als hätte die Masse der Iraner und Iranerinnen damals besser und freier gelebt.

Gesellschaft ohne Schuld?

Die Überzeugung, in jenem Moment, da das herrschende Regime implodiert, werde es eine spontane Selbstheilung der Gesellschaft geben, eine intuitive Befähigung, alles auf gute Weise in die Hand zu nehmen, entspringt gewiss der Liebe zum Land. Andererseits zeigt sich gerade hier die verhängnisvolle Wirkung von Nationalstolz. Die Annahme, die iranische Zivilisation sei besonders hochstehend und in der Islamischen Republik demütige eine exzeptionell miese Herrscherclique ein exzeptionell wertvolles Volk, nährt ein künstliches, rosig homogenisiertes Iran-Bild. Typisch dafür ein Satz der Comedian und Aktivistin Enissa Amani: „Diese Diktatur hat seit vier Jahrzehnten ein ganzes Land mit allen darin lebenden Völkern gekidnappt.“ Eine Gesellschaft ohne Schuld und Mitverantwortung als Geisel einer Clique von Verbrechern?

In Iran habe ich solcher Art Holzschnitt nie angetroffen. Für einen Großteil der westlichen Öffentlichkeit saß hingegen in Teheran immer schon das exzeptionell Böse. Donald Trump rühmte die hochstehende iranische Seele, um sie dann mit seinen Sanktionen zu knechten. Auf progressiver Seite hat die Fixierung auf die Spezifik Irans, auf ein einzigartiges polit-religiöses System, wiederum verhindert, die Erfahrungen mit anderen autokratischen Regimen zu Rate zu ziehen, etwa der revolutionären Bewegungen Ägyptens und jüngst des Sudans.

Iran nur an Iran gemessen

Weil Iran stets nur an Iran gemessen wird, geht nun der Vergleich mit 1979 um – obwohl eigentlich die Unterschiede zu damals überwiegen. Die Gesellschaft hat sich durch Bildung, Verstädterung, moderne Infrastruktur grundlegend gewandelt, und die so entstandene Heterogenität erklärt zum Teil, warum sich keine Systemalternative entwickelt. 1979 galt der Schah ja nicht nur als Diktator, sondern als Marionette des Westens. Sein Sturz wurde durch eine Vision außenpolitischer Unabhängigkeit befeuert, wozu die Hoheit über die eigenen Energie-Ressourcen gehörte.

Und heute? Wie würde sich ein postislamistischer Iran international positionieren, bedrängt von russischen, chinesischen, saudischen, israelischen Interessen? Und was ist mit dem weit entwickelten Nuklearprogramm? Wer den raschen Sturz des herrschenden Regimes wünscht, kann diesen Fragen nicht ausweichen. Verführerisch, wenn nun in den Staatskanzleien westlicher Hauptstädte zan – zendegi – azadi angestimmt wird, als würden Frauen- und Menschenrechte nicht regelmäßig hinter harten Eigeninteressen zurückstehen, siehe die geplanten deutschen Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien oder die Geschäfte mit Ägyptens al-Sisi, dem Herrscher über Zehntausende politische Gefangene, der demnächst mit einem Klimagipfel geehrt wird.

Im Umgang mit einem taumelnden Iran werden inmitten eines globalen Energiekrieges nicht Human Rights bestimmend sein, sondern geopolitische Strategien. Und Planspiele der CIA zur Balkanisierung Irans entlang potenzieller ethnischer Bruchlinien wurden schon vor Jahren bekannt.

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67 Kommentare

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  • Die Autorin dieser Bericht zeigt ihre Mangel an richtigen Informationen über heutige Lage im Iran und an Oppositionellen. Sie erwähnt nur zwei politische Gruppierungen, die nicht besser als islamische Republik sind. Sie ignoriert den demokratischen Oppositionellen und Parteien mit bestimmtem Anführer, die in Ausland sehr aktiv und bekannt sind und mit einheimischen demokratischen Kräften in Verbindung setzen. Sie will durch pessimistische Auffassung die revolutionäre Bewegung, besonders die Frauen Bewegung, für niedrig oder sinnlos halten und den Westen vor noch größerer Gefahr warnen. Was ist schlimmer und gefährlicher als Islamisten in Iran, die 43 Jahre gegen Westen gekämpft haben, die Terroristen der Welt Unterstützen und bei Russland und China stehen und die Bevölkerung repressiv unterdrücken? So steht die Autorin dieser Bericht, bewusst oder unbewusst, bei Autoritäre Regime Irans und deren Schreiben funktioniert nur zu Gunsten des Mullahs Regimes.

    • @MFM:

      Charlotte Wiedemann gehört zu den wenigen profunden Iran-Kennern in der deutschen Medienlandschaft; ausgerechnet ihr mangelnde Kenntnisse vorzuwerfen ist also absurd (zumal Sie ihr Argument nicht richtig wiedergeben!); davon abgesehen finde ich es grundsätzlich fragwürdig, einer Journalistin, die eine Situation anders bewertet, Kooperation mit der jeweiligen Regierung vorzuwerfen, ob nun bewusst oder nicht. Argumente widerlegt man mit Argumenten, nicht mit Diffamierungen.

      • @O.F.:

        Vielleicht gehört für Sie Frau Wiedemann zu den wenigen profunden Iran-Kennern in der deutschen Medienlandschaft. Mein Fachbereich ist Iranistik und als ein Iranist kenne ich die ganze Geschichte Persiens. Sie sollen sich zuerst aus anderen Quellen mehr über persische Geschichte, besonders über aktuelle Lage im Iran informieren lassen. So vielleicht dann finden Sie mein Schreiben nicht mehr “absurd!!“ Das große Demo in Berlin (heute, 22. Oktober) zeigt viele Skeptiker, was für eine Rolle die Oppositionellen spielen. Außerdem schreiben Sie, dass ich mein „Argument nicht richtig wiedergebe!“ Das ist nur eine Lesebrief, nicht ein Aufsatz bzw. ein Artikel.

        • @MFM:

          Ich bin mit der Geschichte und Gegenwart Irans (!) bestens, aus verschieden Quellen und eigener Anschauung vertraut; sollte ich mich irgendwo irren, können Sie mich natürlich gerne darauf aufmerksam machen; aber einfach nur zu behaupten, dass man mehr weiß ersetzt kein Argument.



          Die Demo in Berlin widerlegt Wiedemann nicht: denn erstens ist Mobilisierungsfähigkeit nicht dasselbe wie Mehrheit (wenn diejenigen demonstrieren, die die IR ohnehin schon immer abgelehnt haben, ändert das nichts an realen Machtverhältnissen), zweitens war es eine Demonstration in Europa und bei weitem nicht alle Teilnehmer waren Iraner (wenn Deutsche demonstrieren, ist das löblich, betrifft aber die iranische Regierung nicht) und drittens ist eine gemeinsame Demonstration noch lange kein politisches Bündnis - und genau das war ja ein Kernargument von Wiedemann: dass es zwar viele Unzufriedene, aber keine sie vereinigende politische Kraft gibt.

          • @O.F.:

            Woher wissen Sie, dass es keine vereinigende politische Kraft gibt? Wenn Sie, wie Sie behaupten, „mit der Geschichte und Gegenwart Irans bestens vertraut“ sind, müssen Sie wissen: 1. Schon lange kooperieren einige politischen Oppositionellen miteinander; 2. Demokratisch nicht legitimierte Regierungen islamischer Länder wie Iran, Türkei, Saudi-Arabien u.a. bemühen sich mittels Lobbyarbeit islamische Werte, ihr politisches Ziel auch in den demokratischen Rechtsstaaten des Westen schleichend zu etablieren. Sie haben genug Lobbyisten als „Iran-Experten“, Berater, Orientlisten, Autoren usw., die versuchen sich unparteiisch und liberal zur Schau stellen, diejenigen, die bei vielen europäischen Parteien aller Arten oder bei anderen Gemeinschaften und Medien, besonders in Deutschland, tätig sind. Leider vertrauen viele PolitikerInnen in Westen diesen Maulwürfen mehr als Exilanten. Ich hoffe die Demo in Berlin rüttelt solche PolitikerInnen wach. (Sie können über die Wirkung der Demo wieder anders interpretieren).



            Ich bin mein Wissen über die persische Geschichte und Kultur nicht wie Sie nur durch Bücher oder journalistische Infos zu verdanken, sondern auch durch eigene Erfahrungen bzw. Erlebnisse. Ich habe lange in diesem Land gelebt und für die Freiheit gekämpft. Deshalb musste ich Folter erleben und Jahrelang in Gefängnis setzen. Sie brauchen nicht mich über dieses Land zu belehren.



            Sie ignorieren den Hauptkern dieses Artikels: Nämlich wie dieser Artikel durch pessimistische Auffassung die revolutionäre Bewegung, besonders die Frauenbewegung, für niedrig oder sinnlos halten und den Westen vor noch größerer Gefahr warnen will. Mehr über dieses Thema hat Frau Ingrid Werner (in einem anderen Lesebrief) gut und gekonnt erklärt. Ich muss mich bei ihr bedanken.

            • @MFM:

              Die punktuelle Kooperation einzelner Organisationen ist noch keine einheitliche politische Kraft; die Demonstration zeigt das doch ehr: glauben Sie wirklich, dass sich Kurden, MeK und Liberale wirklich auf ein politische Programm einigen können. Wenn es eine solches Bündnis oder eine entsprechende einigende Partei gibt, dürfen Sie mich gerne belehren; aber bisher sehe ich das nicht. Und Berlin ist nun einmal nicht Teheran; die Protestbewegung im Iran (und die ist entscheidend!) ist kleiner als z.B. 2009 (und auch damals wurde sie im Westen oft überschätzt - ich war zu dieser Zeit im Iran und kann Ihnen aus eigener Anschauung bestätigen, dass mediale Bilder oft verzerrt sind).



              Ihr Angriff auf Wiedemann ist gefährlich, weil er mit einer geradezu klassischen Diffamierungstaktik arbeitet: er widerlegt sachlich begründete Zweifel an der Kraft der Opposition als gewollte oder ungewollte Kollaboration aus; das ist ein Argument, mit dem man sich nicht nur in unangenehme Gesellschaft begibt, sondern sich letztlich auch selbst schadet: weil man durch eine solche Immunisierung gegen Kritik auch blind für die eigenen Schwächen wird. Es bringt nichts, den Botschafter für schlechte Nachrichten zu bestrafen.



              Exilanten sind als Quelle besonders problematisch, weil sie natürlich nicht neutral sind; nun mache ich niemand, der aus seinem Land fliehen musste, seine Parteilichkeit zum Vorwurf, aber für eine nüchterne Einschätzung der Lage ist eine distanziertere Perspektive meistens sinnvoller; es wäre ja nicht das erste Mal, dass sich die Einschätzungen der Exilierten als falsch erwiesen haben. Wie gesagt: es genügt nicht, Demonstrierende zu fragen; entscheidend sind diejenigen, die zu Hause belieben sind.

          • @O.F.:

            seit wann interessieren sich die Mullahs für Mehrheiten. Wenn sie Mehrheiten erringen wollten, wäre die Grundvoraussetzung erst einmal freie Wahlen und freier politischer Wettbewerb. Allenfalls wollen Sie Wahlen u politischen Wettbewerb simulieren, in den engen Grenzen die der Revolutionsführer erlaubt. Reale Mehrheiten haben die Mullahs nicht. Die reale Macht haben sie, aber es ist eine usurpierte.

      • @O.F.:

        MFM hat offensichtlich ein besseres Textverständnis als Sie als dt. Muttersprachler. Und ein besseres Verständnis von Macht. Derartige Artikel wie der von Wiedemann "funktionieren" zu gunsten des Regimes, weil aus Angst es könnte ja noch schlimmer kommen, es besser wäre nichts zu tun, so das implizite Argument. Derartige Diskussionen gab es auch im Osten in den 80ern (oder im Nachklapp hieß es dann man hatte Glück weil es hätte ja alles viel schlimmer kommen können, wie auf dem Tiananmen, oder so). Das ist auch keine besonders komplexe Argumentation, gewürzt das ganze mit ein bisschen Angst v "Balkanisierung". Hätte man sich von dieser Angst nicht befreit, hätte es rechts der Elbe 89 auch nichts getan, weil die Russen könnten ja usw usf. Auch wenn die reale Gefahr bestanden hätte, es wäre trotzdem richtig gewesen es zu versuchen.

        Außerdem, die Tatsache, dass es keine organisierte Opposition im Iran gibt, ist 1.) deutlichster Beweis für ihre Unterdrückung. zusammen mit den Leuten in allen Teilen des Landes auf der Straße, die offensichtlich keine Repräsentation haben, obwohl das System Ihnen O.F. zufolge doch sehr offene gesellschaftliche Debatten erlauben täte, aber offenbar sind sehr viele mit den Ergebnissen dieser gesteuerten Debatten nicht zufrieden. Auch 2.) sollte die wie v Fr. Wiedemann beschrieben, zu 1979 veränderte iran. Gesellschaft (gebildeter, urbanisierter) noch besser in der Lage sein die fehlende Opposition aufzubauen, jedenfalls sind die gesellschftl Veränderungen kein Hindernis. Es fehlt die Freiheit dazu. Tatsache ist, ein Großteil, wenn nicht der größte Teil der Bevölkerung will aus diesem Unterdrückungsregime ausbrechen, man braucht nur die vielen Bilder aus dem Iran anschauen, ein paar Exiliraner sprechen und Informationen aus dem Iran gibt es auch genug. alles andere ist Esoterik. Dass es auch Bruchlinien entlang ethnischer Grenzen gibt, im Iran Kurden u Belutschen, haben sich autoritäre Regime in der Regel auch selbst zuzuschreiben.

  • Wenn ich nicht wusste, wer diesen Artikel geschrieben hatte, würde ich sofort auf Regierung im Iran tippen! Das ist erstaunlich was man hier reinschreibt, angesicht der Protesten und viele Opfer iranisches Volkes. Man könnte auch ein Besipiel an anderen Journalisten nehmen, welche die Wahrheit so wie es ist darstellen.

    • @A. Kianian:

      Das ist absurd. Die Regierung würde sagen, dass Zionisten und Imperialisten dies aus Arroganz und Übermut geschrieben haben, dass sie den Iran kolonialisieren wollen und die iranischen Frauen in Freudenhäusern anbieten wollen. Die Logik der Regierung ist derart extrem und sonderbar ... davon war und ist dieser Artikel sehr weit entfernt.

    • @A. Kianian:

      Was ist denn bitte "die Wahrheit so wie es ist"?



      Im Kontext eines Kommentar- /Meinungs-/Leserforums ist damit eigentlich meist " die Wahrheit so wie ich sie mir vorstelle" gemeint.



      Und wenn Sie in diesen Artikel die Ansicht der derzeitigen iranischen Regierung erkennen,dann ist zumindest klar ,das Sie keine Ausnahme sind.



      Ich finde die Argumente und/ oder Fragen von Frau Wiedemann berechtigt, gerade angesichts der vielen Opfer des iranischen Volkes !

    • @A. Kianian:

      Der Artikel untersützt nicht die iranische Regierung, sondern zeigt die Schwierigkeiten der Opposition - ich finde es bezeichnend, dass das mittlerweile schon als Regierungsnähe ausgelegt wird. Ich kann mich nur wiederholen: es ist eigentlich nicht die Aufgabe von Journalisten, als Sprachrohr einer Seite zu dienen (auch wenn das mittlerweile oft der Fall ist). Wer wirklich an der "Wahrheit" interessiert ist, sollte über diesen kenntnisreichen und differenzierten Artikel froh sein.

  • Eigentlich sollten die innenpolitischen Entwicklungen in den Ländern, die damals vom sogenannten Arabischen Frühling erfasst wurden, für die Einschätzung der Vorgänge im Iran aus westlicher Sicht eine Warnung sein … denn keine der euphorischen Erwartungen, die seinerzeit in diese arabischen “Revolutionen” gelegt wurden, hat sich bewahrheitet. Entweder sehen wir heute failed states (Libyen), die Rückkehr/Durchsetzung alter Diktatoren nach langem, blutigem Bürgerkrieg (Syrien) oder die Etablierung neuer Autokratien (Tunesien, Ägypten) … und die Probleme, die seinerzeit zu diesen gesellschaftlichen Eruptionen in den arabischen Ländern geführt haben, sind heute bei weitem nicht gelöst.



    Ein Grundirrtum der westlichen Wahrnehmung solcher Proteste/Aufstände liegt darin, dass angenommen wird, die versammelten, gegen das Regime gerichteten Menschenmassen - so eindrucksvoll sie auch sein mögen - wären in dem einen Ziel vereint, Demokratie und Menschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen … das ist ein Trugschluss, denn es ist etwas anderes, ob sich Studenten und Intelektuelle von den Fesseln der Mullah-Herrschaft befreien wollen, Handwerker und Selbständige wegen der desaströsen wirtschaftlichen Lage in den Ruin getrieben werden oder die Menschen schlicht nicht mehr wissen, wie sie das Brot für ihre Kinder noch bezahlen sollen.



    Von daher möglicherweise auch die offensichtliche Zurückhaltung der USA und Ihrer Verbündeten, aus der Situation im Iran Kapital schlagen und einen aktiven Regime Change betreiben zu wollen … woher sollten denn die Kräfte im Land selbst kommen, die das vorantreiben könnten.



    In Venezuela - wenn dieser Vergleich gestattet ist - ist der von den USA propagierte Regime Change seinerzeit in sich zusammengebrochen … nicht weil Maduro als ein von der Bevölkerung überaus beliebter und erfolgreicher Maximo Leader gesehen wird, sondern sein Kontrahent Guaido zu offensichtlich eine Marionette der USA war. Und im Iran fehlt selbst so ein Strohmann.

  • Zum Glück musste Frau Wiedemann die Umwälzungen in Osteuropa 1989 / 90 noch nicht kommentieren. Wahrscheinlich hätte sie angemerkt, dass "(k)eine demokratische Kraft erkennbar (ist), die in (Warschau, Prag, Bukarest, Budapest, Sofia, Tirana, Riga, Tallin, Vilnius...) Verantwortung übernehmen könnte, wenn das jetzige System implodiert." Und am Ende nur Planspiele der CIA gesehen.

    • @Hans aus Jena:

      Nun ja,in so einigen der erwähnten Länder sind Kräfte an der Regierung,deren Definition von Demokratie schon sehr speziell ist. Man bedenke weiterhin das "Osteuropa" geographisch bis zum Ural reicht. Also auch Weißrussland ,Russland und Ukraine dazu gehören.



      Der Begriff "Demokratie" ist zudem eine Hülse, mit sehr unterschiedlichen Inhalten. Die misogynen Sklavenhalterstaaten der griechischen Antike gelten als Ursprung des westlichen Demokratiebegriffes, die Volksrepublik China ist rein formal die größte Demokratie der Welt,usw.

  • Eine neue Regierung kann nur mit einer Unterstützung einer Autorität einhergehen, die die anderen bewaffneten Gruppen des Irans davon abhält die Transition in einem Bürgerkrieg untergehen zu lassen. Das kann eigentlich nur die Armee sein, denn die anderen sind viel zu stark am Status Quo oder schlimmer interessiert. Die Kleriker hätten zwar ohne Waffen die Autorität, aber es schaut nicht so aus, dass da nach Chamenei ein iranischer Gorbi oder BinSalman nachkommt.



    Unabhängig davon finde ich, dass bei der aktuellen Protestwelle in der Berichterstattung ein wenig “übertrieben“ wird bzw. da etwas zu sehr durch die Wunschbrille geschaut wird.

  • Schlechter und gieriger als das jetzige klerikal-Regime kann man es kaum machen.

    Zur Abwechslung mal: Frauen an die Macht!

    So geht Männer-Regime:

    ZEIT: "Iran. Im Wartezimmer des Todes"



    Iran: Im Wartezimmer des Todes | ZEIT ONLINE

    So auch das Volk exzessiv ausgebeutet:



    Handelsblatt: "Iran - Die Mullah AG



    Irans Wirtschaft: Die Mullah AG (handelsblatt.com)

    Das Volk wird verhungern und verdursten. Die Mullahs lassen es geschehen. Iran wird mittelfristig unbewohnbar sein.



    Tagesanzeiger: "Wenn das Volk hungert"



    Wenn das Volk hungert | Tages-Anzeiger (tagesanzeiger.ch)

    Iran ist ein Albtraum. Beispiel dafür ist die Menschrechrechtlerin und Anwältin Nasrin Sotoudeh, die letztes Jahr zu 38 Jahren Gefängnis und 148 Peitschenhieben verurteilt wurde, weil sie Frauen verteidigte, die gegen den Kopftuchzwang protestiert hatten.



    Dazu Amnesty International:



    33 Jahre Haft und Peitschenhiebe für Nasrin Sotoudeh | Amnesty International

  • "Auch die letzte iranische Monarchie wurde mit amerikanischen Waffen errichtet."

    Ergebnis bekannt.

    Die Iraner werden hoffentlich selbst entscheiden, wohin der Weg geht. Eine Monarchie wäre ein Schritt rückwärts. Hoffentlich geht es vorwärts.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Eine Monarchie muß nicht zwangsläufig ein Rückschritt sein, siehe Spanien nach Francos Tod…

      • @Saile:

        In Spanien gibt es ein Monarchie, weil es der Diktator als Nachfolge wollte. Er wollte eine reine Demokratie verhindern.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Dabei kann ja eine moderne parlamentarische Monarchie eine „reinere“ Demokratie sein als irgendeine dubiose Republik, wie es z.B. die islamische Republik Iran ist…kaum noch jemensch idealisiert die Zustände im Iran vor 1979, aber „ein Schritt rückwärts“ ist ja bei den momentanen Zuständen dort kaum noch möglich.

  • Demokratie ist keine explizit westliche Erfindung oder Kultur, sie ist die logische Folge aus der Not heraus, wenn bei einem Systembruch verschiedenste Interessengruppen um Macht und Einfluss ringen und eine neue Ordnung aufgebaut werden muss. Von daher auch im Iran nach einem Umsturz möglich/ wahrscheinlich: Übergangsregierung aus verschiedensten Interessensgruppen und Oppositionsvertretern, Vorbereitung von demokratischen Wahlen für Parlament und Präsident. Bei der Präsidentenwahl besteht wohl die beste Chance, einen Konsenskandidaten zu etablieren. Gleichzeitig wird man um neue individuelle Freiheiten ringen und diese in einer Verfassung zementieren, ebenfalls eine typisch demokratische Reaktion zum Schutz vor (staatlicher oder autoritärer) Repression. Von daher wirkt der Artikel sowohl wirr als auch kulturpessimistisch. Und selbst wenn sich der kurdische oder belutschische Teil abspalten würde, muss das kein Nachteil sein, wenn diverse Interessen und Minderheitenrechte gewahrt werden. Brandt würde sagen: Mehr Demokratie wagen (schon weil es kaum anders geht). Das wird vermutlich keine europäische Parteiendemokratie sein, aber lassen wir uns überraschen.

    • @Dorian Müller:

      Wo Sie schon mit Willy Brandt argumentieren: der Slogan „Mehr Demokratie wagen“ zielte in erster Linie darauf, endlich die verknöcherten restaurativen gesellschaftlichen Zustände der deutschen Nachkriegsära aufzubrechen … er war mitnichten eine Aufforderung zum Regime Change in anderen Ländern.



      Im Gegensatz zu den heute vorherrschenden konfrontativ-bellizistischen und „wertebasierten“ Richtlinien westlicher Außenpolitik - denen die Bundesrepublik mittlerweile leider vollkommen unkritisch und bedingungslos folgt - war man in der sozialliberalen Koalition damals der Meinung, dass gesellschaftlicher Systemwandel durch eine Politik der Annäherung tatsächlich erreicht werden könne, die divergierendere geopolitische Interessen überhaupt erst einmal wahrnimmt und auf Augenhöhe im Gespräch bleibt. Das galt besonders mit Blick auf die damalige Sowjetunion.



      Ich lasse aus ethischer Perspektive hier mal die Frage offen, ob es außenpolitisch verantwortlich sein kann, die Bevölkerung eines anderen, autokratisch oder diktatorisch regierten Systems zu einem blutigen bewaffneten Aufstand zu ermutigen, der am Ende aussichtslos ist (Syrien) oder einen failed state (Libyen) hinterlässt, in dem die Bevölkerung dem Terror und der Willkür rivalisierender Banden schutzlos ausgeliefert ist.



      Ich weiß, das wird heutzutage nicht mehr gerne gehört: aber kann es nicht verantwortungsbewusster sein, den Gesprächsfaden zu solchen Regimen nicht ganz abreißen zu lassen, damit es für die Menschen dort nicht noch schlimmer wird?

    • @Dorian Müller:

      "Demokratie ... ist die logische Folge aus der Not heraus, wenn bei einem Systembruch verschiedenste Interessengruppen um Macht und Einfluss ringen und eine neue Ordnung aufgebaut werden muss."



      Entschiedenes Jain! ;-) Es wäre wohl die wünschenswerteste Folge,doch nicht zwangsläufig oder unausweichlich. Der Kampf der verschiedenen Machtgruppen kann sich über lange Zeiträume hinziehen,das man eher von einem failed state sprechen kann. Oder es kristallisiert sich eine Gruppe bzw. ein Bündnis als Stärkster raus und übernimmt die Macht. Das auf eine Diktatur eine neue Diktatur folgt, ist nicht besonders ungewöhnlich.

  • Es gibt noch mehr als Monarchisten und Mujahedin-e Khalq, es gibt die Tudeh-Partei, sozialdemokratisch-nationalistische und kurdische bzw. belutschitsche Parteien.

    Sie würden wohl eine große Koalition des Übergangs bilden, wobei die Monarchisten diesen Prozess mit der Forderung nach einer konstitutionellen Monarchie beginnen würden. Das würden mehr oder weniger alle anderen Parteien ablehnen, bzw. die Sinnhaftigkeit der Forderung in Frage stellen. Reza Pahlavi II. hat nicht das Standing im ganzen Land.

    Dazu kommt noch, dass die Islamische Republik auch Anhänger hat, es dürften immer weniger sein, aber es gibt sie und sie sind organisiert und bewaffnet. Insofern könnte ich mir eine bürgerkriegsähnliche Situation vorstellen.

    Dass Militär halte ich nicht für fähig, einen Übergang zu organisieren, noch eine Militärdiktatur zu bilden. Dazu sind die Pasdaran und Basij zu sehr zu ihren Lasten hoch gezüchtet worden, die Armee ist geschwächt und im Zweifel eher auf die islamische Republik ideologisiert, ich kann mir aber auch nicht vorstellen, dass sie aktiv auf Seiten des Regimes eingreiffen würden.

    Eine besondere Herausforderung wären Kurdistan und Belutschistan - hier könnte die Islamische Republik schnell beendet werden. Es würde sich aber die Frage stellen, wie die 'Regierung' oder was auch immer in Teheran damit dann umgehen kann und soll.

    Zumindest Kurdistan hätte sofort Möglichkeiten und Ressourcen, die sie aktivieren könnten. Die Bevölkerung ist dort seit langer Zeit der Unterdrückung und der Unterentwicklung leid. Aber die Kurden haben prozentual einen geringen Anteil in Teheran, sie könnten auch nicht für eine Regierung garantieren.



    All die Bedenken - das wird einen Zerfall des Islamischen Systems in Iran nicht stoppen. Der Iran ist seit 1979 auf purer Repression und religiöser Indoktrination aufgebaut. Die Gefängnisse sind voll und viele Menschen flüchten einfach, alles sieht (momentan) nach einem Ende aus.

  • "Israeliscche Interessen" bedrängen den Iran? Mich würde schon interessieren, welche das denn sein sollen. Etwa das Interesse daran, nicht von einer iranischen Atombombe ausgelöschte zu werden? Oder nicht ständig vor den Raketen der Hmas und der Hisbollah in den Bunker fliehen zu müssen?

  • "Wer auf die gegenwärtige Situation analytisch blickt, statt sich allein moralisch zu positionieren, wird leicht der Sympathie für die Islamische Republik verdächtigt."

    Dieser Satz der Autorin erinnert mich an einen Artikel in der taz von Gereon Asmuth vom 29.09.



    "Eins vorab, weil es wichtig ist: dies ist kein Putin-Versteher-Kommentar."



    taz.de/Russische-D...bb_message_4398199

    Es steht schon traurig um unsere Diskussionskultur, wenn AutorInnen solche Sätze ihren Artikeln voranstellen (müssen), weil man Bashing befürchtet oder gar der Sympathie mit den Regimen verdächtigt wird.

    In der Kolumne von S. Wiedemann selbst stört mich allerdings heftig, dass sie schreibt..."Und heute? Wie würde sich ein postislamistischer Iran international positionieren, bedrängt von russischen, chinesischen, saudischen, israelischen Interessen?"



    Warum hat sie die US-amerikanischen Interessen verschwiegen?



    Seit Ewigkeiten haben die USA im Iran ihre Hände im Spiel, erinnert sei an den Sturz von M. Mossadegh mit tatkräftiger Hilfe der CIA und den Iran - Irak - Krieg, in dem die USA Saddam Hussein (!)massiv mit Waffen unterstützten. Und natürlich sind die USA auch heute noch neben den von C. Wiedemann genannten Staaten ein großer Player in der Region.

  • 》Die Realität ist indes anders: Weder im Inland noch im Ausland ist eine demokratische Kraft erkennbar, die in Teheran Verantwortung übernehmen könnte, wenn das jetzige System implodiert《

    Was meinen Sie mit "demokratische Kraft", wenn sie die Menschen, die da im Iran demonstrieren für 'nicht erkennbar' halten?

    》Wie könnte sich ein künftiger Iran, im Einklang mit seiner Kultur, seiner Geschichte und seiner sensiblen geostrategischen Lage in Westasien definieren? Mit welchem Wirtschaftssystem, welcher Außenpolitik? Wie seine Ressourcen und Grenzen schützen? Auf alle diese Fragen gibt es keine Antwort《 - wer, wenn nicht die Iraner*innen selbst, sollte sie geben?

    Demokratie braucht Organisation, die in Repräsentanz mündet - hier z.B. www.change.org/p/o...erin-frau-baerbock werden in einer Petition an Außenministerin Baerbock Forderungen gestellt, deren Erfüllung dafür Voraussetzungen zu schaffen helfen würde.

    Übrigens auch jede*r Einzelne taz.de/!5888366/#bb_message_4407671

    》Im Umgang mit einem taumelnden Iran werden inmitten eines globalen Energiekrieges nicht Human Rights bestimmend sein, sondern geopolitische Strategien《 - und gerade deshalb ist es wichtig, nicht auf ein 'Ruhe im Karton' zu setzen, sondern z.B. seitens der Regierung einen eigenen Weg des Irans tatkräftig zu unterstützen.

    Etwa die Strategie der Mullahs zu unterlaufen, sich nun durch militärische Unterstützung Russlands zu behaupten.

    Sanktionen beispielsweise gezielt, statt gegen die Bevölkerung einzusetzen, keine eigenen Ziele obenan zu setzen.

    Also nicht jetzt auch noch 'das wird den Iran ruinieren' - ob dies im AA vielleicht doch hinzukriegen sein wird, zur Abwechslung mal ohne Bombast?

  • Ich finde kein eines Indiz dafür das im Iran eine Revolution im Gange sei. Wo ist das klerikale Regime gefährdet?



    Wer sich Bilder der Querdenkerdemos anschaut müsste dann auch überzeugt sein das der Reichstag niedergerissen wird und die deutsche Regierung schon Asyl auf den Bahamas beantragt hätte. Das Iranische Militär steht fest hinter den Mullahs und die Mullahs können mit Iranischem Wahlrecht nicht abgewählt werden.



    Es geht bei den Demos um ein paar kleine, aber wichtige Freiheitsrechte. Und sollte der Westen sich erdreisten dort mitzumischen bekommen die Kleriker das Recht, nach ihrer Queren Sicht, richtig blutig alles zu zerschlagen statt einen Kompromiss zu finden der ihnen das Gesicht wahrt und der Bewegung die Möglichkeit ihren Hidschab zu tragen wie sie es möchten.

    • @Ramaz:

      Wenn trotz Verbote die Menschen demonstrieren, ist das in Iran ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft sich gegen das Regime wendet. Das sind in dieser Form auch neue Zeichen. Proteste und Konflikte hat es immer mal wieder gegeben, aber jetzt sind sie sehr bret und mutig geworden.

      • @Andreas_2020:

        Wenn Menschen demonstrieren ist das ein Zeichen dafür, dass ein Teil der Gesellschaft sich gegen den Staat wendet ("das Regime" besteht auch aus Iranern); im Grunde wiederholt sich hier das Schema, das man aus anderen Protestwellem im Iran kennt: die Opposition mobilisiert ihre Anhänger, schafft es aber nicht, unpolitische Kreise oder gar Unterstützer der IR auf ihre Seite zu ziehen; es ist natürlich verlockend, Mobilisierungfähigkeit mit wachsender Unterstützung zu verwechseln, aber bei jeder Protestbewegung darf man diejenigen nicht vergessen, die zu Hause bleiben, wenn man die Kraftverhältnisse richtig einschätzen will.

  • So kann man nur schreiben, weil man Zeit hat, Zeit irgendwelche Historie und irgendwelche Theorien zu durchdenken, und mit Schlaumeiertum zu analysieren.



    So kann man nur schreiben, weil man gerade nicht in Teheran, Yazd, Mashhad, Orumiyeh, Rascht, Isfahan, Schiras, Kerman, Ardabil etc. auf der Straße steht. Weil man gerade dort auf der Straße steht und allen Ernstes sein Leben riskiert.

    Die Menschen im Iran haben keine Zeit- sie kämpfen, sie fliehen, sie haben kein Geld, sie haben keine Arbeit, sie haben keine Perspektive, sie werden festgenommen, sie werden weggesperrt, sie werden ermordet.

    Was für Mut braucht es, auf die Straße zu gehen, offen für Freiheit zu demonstrieren- was für Mut braucht es, zu gehen, und zu wissen, dass man es vielleicht mit dem Leben bezahlen wird????

    Wissen wir das????



    Nein!!!!



    Wir lesen diesen Artikel- lehnen uns zurück: in so eine Situation werden wir höchstwahrscheinlich nie kommen- wir haben Zeit, Latte Macchiato und Frieden um klug über „die da“ daherzureden.

    Mensch Leute- wir sind Menschen- wir haben eine Seele- wir müssen zu den Menschen stehen, die leiden und Unterstützung brauchen!!!!!

    Natürlich versucht der Rest der Welt seinen Vorteil aus dem „taumelnden Iran“ zu ziehen- alles schon geschehen.

    • @Todsünde:

      Das ist ein wenig überzeugender Einwand, der noch dazu einen Großteil der Auslandsberichterstattung in Frage stellt. Deutsche Journalisten sind im Allgemeinen nicht selbst von den Konflikten und Krisen, über die sie berichten betroffen. Ja und? Gerade der Abstand macht es manchmal leichter, sachlich und analytisch auf schwierige Situationen zu blicken. Das als "Schlaumeiertum" abzutun, ist geradezu anti-intellektuell. Agit-Prop ist eigentlich nicht die Aufgabe von Journalisten.

  • Ich kann ja viele Sorgen von Frau Wiedemann teilen, aber halte es für einen systemischen Fehler, wenn „der Westen“ oder irgendeine andere äußere Gruppe schon mal prophylaktisch einen Fahrplan für einen postislamischen iranischen Staat definiert haben will. Mal abgesehen davon, dass das der Fama der Mullahs in die Hände spielte, die Revoltierenden seien vom Ausland gesteuert, funktioniert es doch regelmäßig nicht, wenn auf ein bestimmtes Modell gesetzt wird, ohne die Unterstützung durch die Bevölkerung kennen zu können.

    • @o_aus_h:

      Für mich klingt es auch eigentlich so, als würde Frau Wiedemann diese Frage nicht (hauptsächlich) den westlichen Politikern und Strippenziehern stellen, sondern eher den Prominenten Iranern der Diaspora. Ein solcher Text müsste aufrütteln, vielleicht - im besten Fall - dazu führen, dass ehemalige Einflussträger Irans sich im Exil zusammenfinden, eine Gruppe bilden, einen Fürsprecher aufstellen - eben diese Vision beginnen zu entwickeln und publik zu machen, zur Diskussion zu stellen.



      Das wäre sicher sehr sehr wichtig. Mir fehlt jede Ahnung, ob es so etwas irgendwo schon gibt - womöglich ja außerhalb meines Sprachraums, in Frankreich oder einem anderen europäischen Land. Wenn auch Deutschland aufgrund historischer Beziehnungen sicher ein möglicher Kristallisationsort sein könnte.

      • @Annette Thomas:

        Das ist jedenfalls eine sehr konstruktive Rezeption, die hoffentlich gehört wird!

  • Deutschland erinnert mich an die Mitschüler, die immer hinter dem Ober-Bully standen & wahlweise diesen anfeuerten oder mich hänselten. Für jeden von ihnen kam der Tag, an dem der Ober-Bully Grippe hatte...

  • Es ist erschreckend, dass es immer noch Leute gibt, die dieses faschistische Mullah-Regime im Iran, das derzeit wohl grausamste Regime auf diesem Planeten, allen Ernstes mit dem Shah-Regime vergleichen. Ich verstehe nicht, dass eine Zeitung wie die TAZ, die sich doch angeblich als links versteht, eine Verteidigung eines faschistischen Regimes abdruckt. Jede Alternative zum Mullah-Regime, wie immer sie aussieht, ist besser als das derzeitige Regime. Das Mullah-Regime terrorisiert die eigene Bevölkerung auf massive Weise: Jede friedliche Demonstration wird umgehend von Sepah, Bassij und Polizei mit brutaler Gewalt (und dazu gehören auch Erschießungen auf der Straße) aufgelöst. Demonstranten verschwinden im Gefängnis und werden dort zu Tode gefoltert oder gehängt. Die Angehörigen ermordeter Demonstranten erhalten oft nicht einmal die Körper der Mordopfer ausgehändigt, damit niemand die massiven Folterspuren zu sehen bekommt. Gründe, im Iran auf eine Demonstration zu gehen, gibt es reichlich: Löhne von Arbeitern werden oft monatelang nicht ausgezahlt. Rentner erhalten kein Geld. Spareinlagen in den Banken werden regelmäßig vom Regime gestohlen. Selbst die Mittelklasse kann sich nur noch zweimal im Jahr Fleisch leisten. Die Arbeiterklasse kann oft nicht einmal mehr Brot kaufen ! Frauen, die keinen Hidjab tragen, verschwinden für bis zu 18 (!) Jahre im Gefängnis. Von solchen Zuständen war das Shah-Regime weit, sehr weit entfernt und ein Vergleich des Shah-Regimes mit diesem Mullah Regime zeugt von einer nicht mehr zu überbietenden Unkenntnis der Verhältnisse im heutigen Iran.

    • @JörgL:

      Ich kann nur dazu raten, den Artikel noch einmal zu lesen; dort wird nicht die Islamische Republik verteidigt, sondern lediglich die Schwäche der Opposition behandelt - das zeugt nicht von "Unkenntnis der Verhältnis im heutigen Iran", sondern von eines Fähigkeit zur differenzierten Betrachtung, die heute leider immer seltener wird und auch nicht mehr honoriert wird. Gerade im Falle Irans ist das dringend nötig, weil die Köpfe voll von Klischees und Feindbildern sind (ihre "Beschreibung" ist dafür leider ein gutes Beispiel). Es sollte nicht die Aufgabe von Auslandsberichterstattung sein, uns auf das gängige Schwarz/Weiß-Denken einzuschwören, sondern Nuancen und andere Perspektiven sichtbar zu machen - der Artikel oben ist ein gelungenes Beispiel dafür.

      • @O.F.:

        Leider zeugt ihr Beitrag von einer kompletten Unkenntnis der Verhältnisse im Iran. Statt "Zeit" zu lesen, wo die "Influencer" des iranischen Regimes wie Adnan Tabtabai das Regime schönreden und rechtfertigen, sollten Sie sich vielleicht mal die iranischen Oppositionskanäle wie "ManotoTV", oder "IranIntl" ansehen. Dort erhalten Sie einen Einblick, was gerade im Iran abgeht.

        • @JörgL:

          Ich lese weder "Die Zeit" (die nur noch ein Werbeblett für den rechten SPD-Flügel ist), noch bin ich auf das Internet angewiesen, um mir ein Bild inneriranischer Verhältnisse zu machen (IranIntl wird übrigens aus Saudi-Arabien finanziert...); ich kann Ihnen nur nahelegen, ein wenig Farsi zu lernen und selbst durch das Land zu reisen. Sie werden rasch merken, wie einseitig und unterkomplex das im Westen verbreitete Bild Irans ist.

          • @O.F.:

            Ich spreche fließend Farsi, wie anders sollte ich wohl das Programm von ManotoTV oder IranIntl verfolgen können. Die Reise in den Iran, die ich gerne antreten würde, verkneife ich mir lieber: Das Regime verhaftet bekanntermaßen regelmäßig Ausländer, inhaftiert sie unter erfundenen "Spionage"-Vorwürfen und setzt sie als Verhandlungsmasse ein, um seine Terroristen freizupressen.

            • @JörgL:

              Dass man die Namen von zwei Sendern kennt, impliziert noch nicht, dass man ihr Programm auch verfolgt, aber sei es darum. Es reisen jedes Jahr Tausende Touristen in den Iran, ohne verhaftet zu werden, mit dem Adverb "regelmäßig" wäre ich also vorsichtig (zumal man auch die genauen Umstände jedes Falls betrachten muss).



              Mein Punkt ist aber auch gar nicht Ihre Urlaubsplanung: Man kann sich kein adäquates Bildes eines Landes machen, wenn man sich allein über oft offen feindliche Medien informiert (und damit meine ich leider nicht nur InranIntl, das mit saudi-arabischen Mitteln finanziert wird, sondern auch Teile der deutschen Tagespresse, die unangenehm oft ins kampagnenhafte abrutschen). Auch wenn es nicht wahrhaben will: Propaganda ist nicht nur das, was die anderen machen...



              Der Artikel von Wiedemann oben ist eine seltene Ausnahme, die zeigt, wie man über Iran schreiben muss, wenn man dieses Land wirklich verstehen will, statt sich nur an einem Feindbild zu berauschen: man einem Sinn für Nuancen, Grautöne und wechselnde Perspektiven. Ich bin der taz wirklich dankbar dafür, dass sie eine so seltene und weise Stimme zu Wort kommen lässt.

    • @JörgL:

      Das es schlimmer werden kann als das gibt es genug Beispiele -> Afganistan



      Militärdiktaturen



      Und der Vergleich zu Shah ist nicht sehr weit hergeholt.



      denn wer bei ihm für strengeren Bezug zum Koran in der Gesellschaft forderte verschwand nicht für 18 Tage, sondern für immer



      Damals durfte Frau studieren, Tanzen und im Minnirock in die Bibliothek



      gefährdet war damals der erzkonservative Mitbürger.



      das ist sehr ähnlich wie heute, nur von der anderen Seite betrachtet

      • @Ramaz:

        Ich habe nicht von 18 Tagen, sondern von 18 JAHREN geschrieben. Derartige Strafen erhalten Frauen, die ihren Hidjab abnehmen, im heutigen Iran. Außerdem entspricht das Regime in Afghanistan ziemlich genau dem Mullah-Regime und ist daher ein schlechtes Beispiel, dass es nicht mehr schlimmer werden kann. Und eine Militärdiktatur ist das iranische Regime ohnehin, siehe die Rolle der Sepah Pasdaran.

        • @JörgL:

          Egal ob 18 Tage oder 18 Jahre - diese Behauptung stimmt einfach nicht; auch der Vergleich mit Afghanistan ist absurd - völlig unabhängig davon, was man von der IR hält, sollte man in der Lage sein, politische und soziale Strukturen sowie zugrundeliegende Ideologien präzise zu beschreiben - und die sind im Iran nun einmal fundamental anders als in Afghanistan.

          • @O.F.:

            man muss gar nicht lang rumschwiemeln, die Kenntnisse über die politischen Strukturen des Irans sind leicht zugänglich und anders als Sie behaupten ist dieses System ganz offensichtlich nicht demokratisch legitimiert, mit so vielen Instanzen versehen, die die Macht des bestehenden Unterdrückungssystems sichern sollen Revolutionsführer, Wächterrat, Revolutionsgarden, dass nicht davon auszugehen ist, dass dies vom Volk gewollt ist. Die Taliban sind radikaler und ungebildeter aber die institutionelle, polizeiliche und militär. Kontrolle über den Staat dürfte eher geringer sein als im Iran, da man nicht die Mittel dazu hat und auch erst zu kurz (wieder) an der Macht ist. Sie tun immer so als wären die sozialen u politischen Strukturen, kulturell bedingt, quasi naturwüchsig und von der Bevölkerung gewollt. Natürlich richtet sich Mensch in beinahe jedem System irgendwie ein, diesen aber so entstandenen Status Quo und die talkingpoints der Hofschranzen mit Zustimmung zu verwechseln geht völlig fehl

      • @Ramaz:

        "Damals durfte Frau studieren"damals, zu Zeiten des Shahs war der allergrößte Teil der weiblichen Bevölkerung, 2/3, noch Analphabetinnen, unter Männern gab es weniger Analphabeten, aber auch bei ihnen war die Hälfte (1976) Analphabeten. Vielleicht war das, die fehlende Bildung, ein entscheidender Faktor dafür, dass die Mullahs damals die Macht ergreifen konnten. Heute sind Analphabeten in der Minderheit und es gibt mehr weibliche als männliche Studenten. Nichts läge mit ferner als die Mullahs zu loben aber hier haben sie eine deutliche Verbesserung bewirkt.

  • Das ist der beste Weg in die Depression. Ich habe keinen Plan, was die Folge meines Handelns wäre und mach lieber nichts.

    Den ersten Schritt machen und mal schauen. Wenn man weiß, was man nicht mehr will, ist das für eine Diktatur schon ein ausgereifter Plan.

  • ich glaubs nicht:"Israel bedrängt den Iran" schleicht sich da ein bisschen Antisemitismus ein? Iran droht Israel mit Vernichtung, streitet ihm jedes Existenzrecht ab. wer bedrängt hier wen?

  • Das würde genauso enden wie die sog. Arabischen Frühlinge.



    Andere obskure Kräfte, wie z.B. in Ägypten die Muslim-Brüderschaft, werden das Vakuum für ihre skandalös Ziele ausnutzen. Zum Gl0ck wurde dem Spuk da schnell ein Ende bereitet

    • @Max Sterckxc:

      Eine Wiedergeburt der Muslim-Brüderschaft, die in Ägypten ähnliche Verhältnisse wie im Iran schaffen wollte, ist bei einem Sturz der Mullahs wohl eher nicht zu erwarten.

    • @Max Sterckxc:

      " Zum Gl0ck wurde dem Spuk da schnell ein Ende bereitet"

      Die brutale Diktatur Al Sissis ist besser?

  • Ich halte eine konstitutionelle Monarchie für am wahrscheinlichsten.



    Besser als die Zerschlagung des Staates wäre seine Kontrolle.



    Auch die letzte iranische Monarchie wurde mit amerikanischen Waffen errichtet.

  • Das Schlimmste ist die allgegenwärtige Einmischung von aussen in die Angelegenheiten des Iran und das auf dem Hintergrund einer fatalen Boykottpolitik die jede Integration des Iran behindert.



    Ein Auseinanderbrechen des Iran an seinen vielfältigen Widersprüchen kann nicht im Interesse einer Gestaltung einer gemeinsamen Kooperation sein.

  • Ich kann mich für diesen Artikel nur bedanken; es tut wirklich gut, in all dem medialen Gepolter eine so sachliche und kenntnisreiche Stimme zu hören, die keine einfachen Lösungen verspricht, sondern der komplexen Situation gerecht zu werden versucht. In einer Zeit, in der moralisierender Furor allzu oft mit politischer Klugheit verwechselt wird, sind Artikel wie dieser wichtiger denn je.

  • Sehr guter Artikel, danke.

  • Antworten bekommt man indem man zuhört, etwa den Iraner*innen die aktuell auf die Straße gehen. Für was wird denn da protestiert? Für die Rückkehr des Schahs, für eine Militärdiktatur oder nicht doch für eine Gesellschaft die wenigstens etwas freier als die gegenwärtige Klerikaldiktatur ist?

    • @Ingo Bernable:

      Das ist gut beobachtet. Aber um den Staat zu entislamisieren, eine Verfassung zu begründen und Institutionen einzurichten, bedarf es schon erfahrenen und kompakten Macht-Gruppen. Das lässt sich schwer durch Demonstranten und zivilen Protest aus der Taufe heben, auch wenn einige Menschen sich als Anführer und Beispiel-Vorbilder herauskristalisieren werden.

  • ich fürchte, es gibt genug Planspiele anderer Mächte was mit dem Iran passieren soll. Die hier beschriebene Gefahr einer Balkanisierung halte ich zumindest für eine sehr wahrscheinliche Version bei einem Regimesturz.

  • Ein überraschend sachlicher Artikel, der Punkte aufgreift, die schnell übersehen werden. Tunesien und Lybien sind nicht gerade Blaupausen für Systemwechsel.

    • @Dirk Osygus:

      Alle sehen nur eine Demokratie als Lösung und vergessen, dass eine nachhaltige Demokratie als Prozess zu sehen ist und wachsen muss. Wie wäre es, wenn man erst mit einer, weiterhin diktatorischen Militärregierung anfängt, in der die persönliche Freiheit gewährleistet ist (wie es beim Schah der Fall war) und dann schrittweise zu einem demokratischen Regime Wechsel, um eben nicht da landen, wo die meisten arabischen Frühligsbewegungen gelandet sind. Die Idee ist nich salonfähig aber pragmatisch!!

  • Jede Menge Fragen und keine Antworten.

    Und was jetzt?

    • @Jim Hawkins:

      Besser besonnene Fragen ohne Antworten als aus der Hüfte geschossene Imperative zur Demonstration seines Gratismutes.

      • @Ignaz Wrobel:

        Ich habe zwar nicht geschossen, aber was soll's.

        Also setzen wir uns aufs Sofa, stellen besonnene Fragen und schauen ansonsten zu.

    • @Jim Hawkins:

      Wir warten darauf, daß in Iran eine Revolution stattfindet, damit wir das Regime vor den EuGH zerren können.

      • @Picard:

        Sollte es eine Revolution geben, brauchen die Iraner und Iranerinnen keinen EuGH.