Machtfrage bei den Grünen: Habeck will's wissen
Eigentlich tun die Grünen-ChefInnen Robert Habeck und Annalena Baerbock gern so, als stünden sie über Machtfragen. Diese Erzählung implodierte.
Von vorn. Es gehört zu den unausgesprochenen Gepflogenheiten bei Koalitionsverhandlungen, Personalfragen früh mitzudenken, sie aber erst ganz am Ende öffentlich zu machen. So soll der unschöne Eindruck vermieden werden, dass es vor allem um Posten und Dienstwagen gehe. Besonders die Grünen-ChefInnen Robert Habeck und Annalena Baerbock tun gerne so, als stünden sie über profanen Machtfragen, als gehe es ihnen zuallererst um Inhalte. Diese Erzählung, die natürlich nur die halbe Wahrheit ist, implodierte am Montagabend spektakulär.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte einen Text mit brisantem Inhalt. Habeck solle in einer künftigen Regierungskoalition mit Beteiligung der Grünen den Posten des Vizekanzlers bekommen, hieß es darin. Baerbock, zitierte die FAZ ungenannte Quellen bei den Grünen, habe ihre Chance gehabt. Mit den personellen Konsequenzen müsse man deutlich machen, dass die Grünen nicht einfach in der bisherigen Formation weitermachen könnten, sondern „verstanden haben“. Am Wahlsonntag waren die Grünen mit 14,8 Prozent deutlich unter den eigenen Erwartungen geblieben.
Übernimmt nun Habeck als starker Mann – und Baerbock wird als gescheiterte Kanzlerkandidatin abgesägt? Die Nachricht machte in der Partei in Windeseile die Runde und sorgte für Erstaunen, aber auch Empörung. Den Eindruck zu erwecken, Annalena werde degradiert, sei schädlich, sagt einer aus der Fraktion. Mit Blick auf das bevorstehende Gespräch der Grünen mit FDP-Chef Christian Lindner sagt er: „Das Bild ist: Jetzt kommen die starken Jungs Robert und Christian und regeln das mal unter sich. Das regt gerade viele Frauen bei den Grünen auf.“
Bei den Grünen kommt allzu offensichtliche Machtverliebtheit schlecht an
eine Stimme aus der Fraktion
Eine Abgeordnete aus dem linken Flügel findet die Aktion „uncool“. Einen Teil des grünen Sondierungsduos vor Beginn der Gespräche zu schwächen sei keine gute Idee. „Stattdessen müssen wir die Reihen schließen und stark in die Sondierungen gehen.“ Der ehemalige Fraktionschef und Bundesminister Jürgen Trittin gab dem Spiegel ein unmissverständliches Zitat frei. „Wir verhandeln eine Regierung, die Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad bringt“, sagte er. „Danach wird entschieden, wer welchen Posten bekommt. Das entscheidet die Partei und nicht nur zwei Personen in persönlichen Gesprächen.“
Trittin thematisiert einen heiklen Punkt. Bei den Grünen, die sich als basisdemokratische Partei verstehen, kommt allzu offensichtliche Machtverliebtheit schlecht an – und zwei Leute können die besten Jobs nicht unter sich auskungeln. Auch diesen Eindruck versucht Habeck in seinem Statement vor der Fraktion auszuräumen. Am Ende des Prozesses entscheide „selbstverständlich“ die Partei über Inhalte und Personal – über einen Parteitag oder eine Mitgliederbefragung.
Entscheidend ist aber eines: Die tatsächliche Nachricht, dass Habeck Vizekanzler in einer neuen Regierung werden soll, wird auf taz-Anfrage in der Partei nicht dementiert. In der Sache stimmt es also, dass Habeck etwas nach vorne rückt. Der Posten des Vizekanzlers wäre in einer Ampelkoalition mit SPD und FDP durchaus wichtig. Zum einen wird die FDP neben den Grünen vermutlich keinen zweiten Vizekanzlerposten beanspruchen können, weil sie bei der Wahl schlechter abgeschnitten hat. Zum Zweiten würde der Vizekanzler die Arbeit der grünen Minister in einer Koalition koordinieren. Und zum Dritten wird Habeck nun in Sondierungen eine zentralere Rolle spielen, einfach weil die Nachricht in der Welt ist.
Der Hintergrund wird bei den Grünen so erklärt: Baerbock und Habeck hätten schon vor längerer Zeit eine Absprache getroffen, dass ein schlechtes Ergebnis auch personelle Konsequenzen haben müsse. Von einer Abstrafung Baerbocks könne keine Rede sein, heißt es weiter. Dazu passt ihr gemeinsamer Auftritt in der Berliner Bundespressekonferenz am Montag. Er fand statt, bevor der FAZ-Text veröffentlicht wurde. Auf die Frage, ob er der künftige Vizekanzler sein werde, antwortete Habeck, dass Baerbock und er die Verhandlungen gemeinsam als Bundesvorsitzende führten – und auch alle weiteren Fragen geklärt seien. „Gehen Sie davon aus, dass wir komplett sortiert sind.“ Baerbock fügte hinzu, dass beide dies vor Monaten besprochen hätten.
Wer hat die Vizekanzler-News an die FAZ durchgestochen?
Das kann man als sehr subtilen Hinweis darauf verstehen, dass die jetzt öffentlich gewordene Neusortierung im Falle eines mäßigen Ergebnisses früh besprochen wurde, vielleicht sogar schon vor der Nominierung Baerbocks als Kanzlerkandidatin im April. Das ist eine mögliche Version. Vielleicht war es aber auch ganz anders. Das Wahlergebnis hat die Grünen ordentlich durchgeschüttelt, auch wenn das keiner zugeben mag. Es könne sein, dass Habecks Leute Druck auf Baerbock ausübten, ihm nun das Prä zu überlassen, mutmaßen andere Grüne.
Sicher ist: Auch die Grünen können ihre Führungskräfte kalt abservieren, wenn es darauf ankommt. Jürgen Trittin wurde nach dem miesen 8,4-Prozent-Ergebnis 2013 von Realos zum Rückzug aus der ersten Reihe gedrängt, die noch kurz zuvor seinen finanzpolitischen Kurs mitgetragen hatten. Der aktuelle Vorgang ist aber anders gelagert. Das Wahlergebnis ist deutungsoffen. Einerseits ist es ein historischer Erfolg, andererseits eine Enttäuschung. Dass Baerbock angesichts dessen einen Schritt zurücktritt, aber weiter ein wichtiger Teil des Führungsteams bleibt und auch Ministerin wird, ist eine vertretbare Klärung.
Alle sind bemüht, sie trotz allem gut aussehen zu lassen. Zu behaupten, dass Baerbock allein die Wahl verloren habe, „das ist doch eine ziemlich banalisierende Lesart davon, was da schieflief“, schrieb Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer auf Twitter. Baerbock habe Fehler gemacht und enorm gut gekämpft. „Jetzt das Wahlergebnis und seine Gründe gar nicht zu analysieren, sondern einfach als die Niederlage einer Person zu definieren, ist nicht nur falsch und unfair, sondern verhindert auch, dass man/frau aus den gemeinsamen Fehlern, die gemacht wurden, was lernt.“
Aber eine Frage bleibt: Wer hat die Vizekanzler-News an die FAZ durchgestochen? Eine interne Klärung öffentlich zu machen, bevor das Personal in Koalitionsverhandlungen fest steht, ist ein handwerklicher Fehler. Zumal, wenn die Veröffentlichung die Partei in helle Aufregung versetzt. Manche Grüne haben Habeck und sein Umfeld im Verdacht. Jener wolle offensichtlich mit Lindner sein Ding durchziehen, so wie er es mit Wolfgang Kubicki 2017 in Schleswig-Holstein getan habe, mutmaßen sie. Damals verbündete sich Habeck früh mit dem FDPler, um ein Jamaika-Bündnis zu organisieren.
Aber das ist nur ein Verdacht. Fest steht: Habeck ist in der Öffentlichkeit wichtiger geworden, weil er jetzt als Nummer eins wahrgenommen wird. Bei den Grünen aber dürfte sein Standing eher gelitten haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen