Landkreistag und Asylanträge: Sinnbefreit und unmenschlich
Rassistisch-völkische Träume werden mittlerweile selbst von linksliberalen Parteien umgesetzt. Das ist ein Angriff auf die Demokratie.
W ährend die rechtsextremen Übergriffe in Deutschland Rekordzahlen erreichen und eine faschistische Partei in einer Landtagswahl die Mehrheit erlangt, macht der Landkreistag Vorschläge, die schlicht unverantwortlich sind: So sollen Asylanträge von Personen, deren Identität durch Dokumente nicht gesichert festgestellt werden kann, abgelehnt werden.
Wer eine Brandmauer sein will, darf keine Maßnahmen formulieren, die rassistisch und zudem rechtlich nicht umsetzbar sind. Asylanträge aufgrund fehlender Papiere abzulehnen ist sinnbefreit. Abgesehen von den humanitären Widersprüchen dieser Forderung, ist das völkerrechtlich nicht möglich. Ebenso unrealistisch ist die Idee, Menschen pauschal an deutschen Grenzen zurückzuweisen, was europarechtlich unzulässig ist und keinen Rückhalt in der EU finden dürfte.
Lea Reisner, geboren 1989, ist Krankenpflegerin, Seenotretterin und Co-Autorin von „Grenzenlose Gewalt. Europas unerklärter Krieg gegen Flüchtende“ und Mitglied der Linkspartei.
Menschenunwürdige Aufnahmebedingungen zum Anlass zur Abschottung zu nehmen, anstatt die bisherigen Lebensrealitäten für Geflüchtete in Deutschland zu verbessern, pervertiert die Grundidee einer offenen Gesellschaft.
Dem Maßnahmenpaket fehlen Forderungen, die tatsächlich zur (sozialen) Sicherheit beitragen: mehr Lehrpersonal, Schulpsycholog*innen, Deutschkurse. Schluss mit Arbeitsverboten und Unterbringung in Massenunterkünften, ebenso mit Kettenduldungen. Ein wirksames Demokratiefördergesetz könnte der Radikalisierung – sowohl islamistischer als auch rechtsextremer Art – entgegenwirken. Laut einer Umfrage sehen deutsche Bürger*innen übrigens in Letzterem die größere Gefahr.
Die politischen Kampagnen, in denen Migrierende gezielt zu Objekten sowie zur Gefahr stilisiert werden, zeigen Wirkung. Was vor einigen Jahren noch als unsagbar galt, wird heute auch von „linksliberalen“ Parteien gefordert. Stück für Stück werden völkisch-rassistische Träume der rechtsradikalen Identitären Bewegung von demokratisch gewählten Parteien in die Realität umgesetzt. Polemische und rechtlich fragwürdige Forderungen sind ein Angriff auf die Demokratie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren