Kritik am Bürgergeld: Völlig unangemessene Vorstellungen
Das Handwerk beklagt zu hohe Sozialbezüge. Eine solche Haltung ist angesichts der rasant steigenden Preise nicht nur zynisch, sie ist auch falsch.
D as Handwerk sucht händeringend nach Arbeitskräften. Das wird wohl auch so bleiben angesichts der negativen Signale, die der oberste Repräsentant sendet. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, kritisiert die Höhe des neuen Bürger:innengelds, das die Bundesregierung einführen will.
Der Mann beschwert sich also darüber, dass Schikanen gegen lange erwerbslose Menschen wegfallen, Heizkosten übernommen werden sollen und der Regelsatz für Erwachsene auf 502 Euro im Monat angehoben werden soll. Er behauptet, dass Leute dann keine Motivation zum Arbeiten hätten.
Eine solche Haltung ist angesichts der rasant steigenden Preise nicht nur zynisch, es ist auch einfach falsch. Deutschland hat einen der größten Niedriglohnsektoren Europas. Das funktioniert nur, weil die Leute ein hohes Arbeitsethos haben. Die Menschen hierzulande nehmen die miesesten Jobs mit schlechter Bezahlung und zu prekären Bedingungen an, etwa mit unzumutbaren Arbeitszeiten. Und weil Hunderttausende trotzdem nicht über die Runden kommen, sind sie auf zusätzliche Hartz-IV-Leistungen angewiesen.
Der Handwerkspräsident hat völlig unangemessene Vorstellungen davon, was Leute verdienen sollten, wenn er überzeugt ist, dass Einkommen und die künftige staatliche Existenzsicherung zu nahe beieinanderliegen. Statt sich über das – weiterhin viel zu niedrige – Bürger:innengeld zu beschweren, sollte er sich für höhere Löhne einsetzen. Das ist im Übrigen das beste Mittel gegen Fachkräftemangel auch im Handwerk.
Wer zum Mindestlohn schuftet, ein niedriges oder mittleres Einkommen bekommt, auf den oder die kommen angesichts der Inflation und der galoppierenden Energiepreise enorme finanzielle Probleme zu. Die Reallöhne sinken. Wieder einmal droht die Krise auf Beschäftigte mit geringen und mittleren Einkommen abgewälzt zu werden. Auch die Arbeitgeber:innen müssen sich etwas einfallen lassen, um dem etwas entgegenzusetzen – und das muss mehr sein als billige Missgunst gegenüber Armen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken