Konsequenzen für die rechte Sylt-Feier: Job weg, Ruf ruiniert: berechtigt?
Weil sie beim Feiern rassistische Texte grölten, haben Beteiligte Jobs verloren, ihre Fotos wurden veröffentlicht. Gerechtfertigt?
Ja,
denn diese Folgen sind die konsequente Umsetzung des Konzepts „Brandmauer gegen rechts“, das seit Jahren über Parteigrenzen hinweg beschworen wird. Die etwas schräge Metapher – gaukelt sie doch vor, rechtes Gedankengut käme nur am Rand, nicht in der Mitte der Gesellschaft vor –, wird vor allem in Abgrenzung zur AfD genutzt. Doch wenn wir uns als Zivilgesellschaft konsequent gegen rechts stellen wollen, kann das nur heißen, dass das Rufen rassistischer und nationalistischer Parolen Folgen haben muss.
Denn das passiert noch viel zu selten. Der Vorfall in Sylt mit seinen Folgen ist ein Positivbeispiel. Nachdem am Donnerstag ein Video aufgetaucht war, in dem eine Gruppe Menschen vor dem Club „Pony“ ausländerfeindliche Parolen gegrölt hatte, war die Empörung groß. Doch es blieb nicht bei der Empörung: Einige Partygäste wurden identifiziert, der Clubbetreiber stellte Strafanzeige, erste Arbeitgeber_innen entließen ihre Mitarbeiter_innen, die sie in dem Video wiedererkannt hatten.
Nicht alle finden dieses Vorgehen richtig, „Online-Pranger“ und „Hexenjagd“ heißt es von kritischen Stimmen. Doch davon kann keine Rede sein. Wer in der Öffentlichkeit „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen“ singt und einen Hitlergruß macht, kann sich nicht mit einem betrunkenen Ausrutscher rausreden. Nein, diese Menschen offenbaren ihr zutiefst rassistisches und rechtes Weltbild.
Ob es sich dabei um strafrechtlich relevantes Verhalten handelt, haben Gerichte zu entscheiden. Doch das kann für die Gesellschaft nicht bedeuten, die Augen zu verschließen und so zu tun, als sei nichts gewesen. Die einzig richtige Folge dafür ist der gesellschaftliche Ausschluss. Denn wieso sollten Hetzer und Rassisten das Recht haben, unsichtbar zu bleiben? Sie gehören enttarnt. Wenn Arbeitgeber_innen dann entscheiden, nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten zu wollen, scheinen sie verstanden zu haben, was es bedeutet, eine Brandmauer gegen rechts aufzubauen.
Zu lange wurden Rechte und Rechtsextreme auf Bühnen und in Talkshows gesetzt, AfD-Politiker_innen und ihre Wähler_innen in gefühligen Waldspaziergängen in die Zeitungen dieses Landes gehievt. Verstehen und zuhören schien die Devise. Die Folgen waren nicht nur ein Anstieg der Zustimmungswerte für die AfD, sondern auch von rechten Straftaten. Nun bleibt festzuhalten, was eh klar war: Der Kuschelkurs ist gescheitert.
Sylt ist kein Einzelfall, die rassistische Umdeutung des Partysongs von Gigi D’Agostino ist bei Tiktok und rechten Partys in den letzten Monaten zum Klassiker geworden. Dass es nun endlich Konsequenzen gibt, kann als Symbol gar nicht überschätzt werden. Um wirklich eine Brandmauer zu errichten, wird es allerdings nicht reichen. Dazu müssen sich alle – ob bei der Wahl, bei Demos, bei der Party, am Arbeitsplatz oder im Sportverein – konsequent gegen „Ausländer raus“-Rufe stellen. Auch da, wo die Rufe längst politische Praxis geworden sind. Carolina Schwarz
Nein,
denn das lenkt vom eigentlichen Problem ab. „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ war für mindestens 4.791 Menschen in diesem Jahr schon erlebte Praxis: sie wurden abgeschoben. Die Abschiebezahlen sind im Vergleich zum Vorjahr bereits um mehr als 30 Prozent gestiegen, und sollte sich der Trend fortsetzen, hieße es zum Jahresende: 20.000 Ausländer raus.
Wenn das mal kein Grund für einen Freudentanz auf Sylt ist. Anlässe zum Partymachen gibt es noch mehr: Die AfD kann seit Sonntag mit neuen Mehrheiten in den Thüringer Stadtparlamenten mehr Druck auf die lokalen Ausländerbehörden ausüben, die CDU will mit ihrem Grundsatzprogramm keine Asylverfahren mehr in Deutschland zulassen, die deutschen Grünen unterstützen mit der Geas-Reform die europäische Flüchtlingsabwehr. Und dann gibt es ja noch die Geschichte mit dem SPD-Bundeskanzler. „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben“, hatte Olaf Scholz im Herbst gesagt.
Mit den Abschiebezahlen liefert die Bundesregierung, da darf man doch auch mal feiern. Aber bitte nicht so „eklig“ wie jetzt auf Sylt (Scholz) oder so, dass das Gebaren „auch mit Alkoholkonsum nicht mehr zu erklären“ ist (Friedrich Merz).
Wer sich darüber wundert, dass auch Sylt-Schnösel rechtsradikal sein können, demonstriert nichts als seine eigene Schnöseligkeit. Nazi-Allüren waren im modernen Deutschland nie ein Unterschichtsphänomen. Im Gegenteil: Die für sich beanspruchte (kulturelle) Überlegenheit (auf kulturell unterlegene Art) zu feiern ist in elitären Kreisen geradezu identitätsstiftend.
Dass Leute ihre Jobs verlieren können, wenn sie „Ausländer raus“ grölen oder den Hitlergruß zeigen, ist gegenüber den 90er Jahren eine positive Entwicklung. Doch diese Tendenz kann schnell dazu pervertieren, Dinge, die man nicht sehen will, zu verbannen, anstatt darüber einen Streit zu suchen. Denn der Wunsch, diese Menschen gesellschaftlich an den Pranger zu stellen, folgt einem falschen Bedürfnis. Dieses Bedürfnis lautet, Rechtsextremismus zu einem Randphänomen zu erklären, das sich mit einem aseptischen Cut von dem Rest der Gesellschaft trennen ließe. Die Feiernden auf Sylt sind eine reine Projektionsfläche, ähnlich wie die der ewigen ostdeutschen Nazis.
Beide Bilder eignen sich, um die eigene Überlegenheit zu demonstrieren oder um sich in der Annahme bestätigt zu sehen, dass Rechtsextremismus in Deutschland das Problem einiger weniger sei. Das ist eine beschränkte Sicht, und der Jobverlust der Sylt-Faschos ist eine genauso beschränkte Konsequenz daraus. Denn nichts ist damit gewonnen – außer eine Ablenkung davon, wie weit rechtsextreme Positionen in die Mitte der Gesellschaft ragen.
Im Schatten des Prangers schiebt Deutschland weiter ab. Mit dem Jobverlust der Feiernden werden viele auch dieses Schlaglicht auf die rechten Umtriebe in Deutschland als erledigt betrachten und so den Slogan „Ausländer raus“ weiter etablieren. Cem-Odos Güler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen