Kai Wegner gegen gendergerechte Sprache: Der Weiterbildungsverweigerer
Berlins Bürgermeister (CDU) spricht sich gegen „Gendersprache“ aus. Ein Beispiel für rechte Kulturkämpfe, die das Scheitern von Politik kaschieren sollen.
Kai Wegner, neuer Regierender Bürgermeister Berlins, CDU, antwortete am Wochenende im Interview mit der Bild am Sonntag (BamS) auf die verführerische Frage, ob die Berliner Verwaltung weiter gendern müsse: „Ich habe noch keinen Brief in Gendersprache unterschrieben. Mir ist wichtig, dass die Sprache der Verwaltung verständlich ist. Jeder kann privat sprechen, wie er möchte. Aber ich möchte gern das Deutsch sprechen, das ich in der Schule gelernt habe und das alle verstehen. Wir erwarten ja auch von Menschen, die nach Deutschland kommen, dass sie Deutsch lernen, und gerade die Behörden sollten es ihnen nicht unnötig schwer machen.“
Dass die Sprache der Berliner Verwaltung nicht nur deswegen unverständlich wäre, weil in ihr gegendert wird, weckt natürlich Zweifel an der Qualität der intellektuellen wie sittlichen Erziehung, die Kai Wegner an der von ihm als Vorbild benannten Schule empfangen hat.
Um es in einfacher Sprache zu sagen: Die Aussage ist strunzdumm. Sie ist unaufrichtig, insofern sie die wahren Probleme der amtsverschimmelten Sprache der nicht nur Berliner Verwaltung gar nicht erst zum Thema macht. Sie ist aber vor allem auf wirklich extrem unangenehme Art heuchlerisch, weil Wegner Schwächere, nämlich Menschen, die sich tatsächlich die deutsche Sprache erst aneignen müssen, für seine Ideologie benutzt.
Es ist ja verständlich, dass ein in seiner bisherigen Laufbahn immer wieder hart am Rande des Rechtsextremismus operierender Politiker wie Wegner nun – um einigermaßen glaubhaft einer Metropole wie Berlin vorstehen zu können – jedes Stückchen Kreide frisst, das er auf seinem Weg durch die notwendigen Debatten finden kann; aber dass ihm auch der Mumm fehlt, dafür mit seiner sehr privaten Weiterbildungsverweigerung einzustehen und er damit moralisch noch indifferenter als seine in dieser Hinsicht schon beträchtlich kaltschnäuzige Vorgängerin Franziska Giffey agiert – das überrascht dann doch; wenn einen denn in Berlin noch was überraschen könnte.
Berlin soll wieder boomern
Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass Wegner mit seinem problematischen Charakter gerade ganz gut zu einer Stadt passt, deren Stimmung zwischen bewundernswert liberaler Hinnahme großstädtischer Zumutungen und dem unbedingten Willen, nicht zu kurz zu kommen, changiert. Die Geschichte ist ja bekanntlich offen, und wer als Regierender in der Lage ist, an ihrem Rad zu drehen, kann natürlich das Steuer auch herumwerfen und dann Vollgas Richtung Vergangenheit geben.
Anzustreben scheint die schwarz-rote Koalition eine Art Diktatur der Berliner Fly-over-Bezirke. Der Feind ist eine in weiten Teilen lediglich imaginierte gaga-gendernde Mittelschicht, die auf ihrem Weg von der 140-Quadratmeter-Altbaueigentumswohnung innerhalb des S-Bahn-Rings zum Landsitz in der Uckermark auch noch in den nicht zu vermeidenden Außenbezirken Radfahrstreifen absetzen will.
Dazu gehört die Sprachregelung, nun nicht mehr, wie noch im Wahlkampf, Vornamen von Randalierern einzufordern und damit Jugendgewalt und Verwahrlosung zu rassifizieren, sondern von „Berliner Jungs“ zu sprechen, die es zu erreichen gelte, „mit guter Bildung und Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt“ (BamS). Ach so. Klar. Na dann.
„Berlin soll wieder boomern“, ließe sich dieses Programm des 1972 geborenen Boomers Wegner auf den generationsspezifischen Slogan bringen. Aber auch Begriffe wie der einer „sozialen Rechten“ (Destra sociale), wie sie aktuell Giorgia Meloni in Italien führend repräsentiert, oder eines „Paternalistic conservatism“ sind angebracht: Kulturkämpfe werden eröffnet, um das absehbare Scheitern einer letztlich den Kapitalinteressen verpflichteten Politik zu kaschieren und die zwangsläufige Wut auf Sündenböcke abzulenken. Mal sehen, wie lange die sich das gefallen lassen. Der Polizei hat Wegner präventiv schon mal seinen „vollen Rückhalt“ zugesichert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag